CDU will höhere Strafen bei Missbrauch
Nach Kinderschänderfall von Münster fordern Experten Konsequenzen auf breiter Ebene
BERLIN/ULM - Nach der Aufdeckung schweren Kindesmissbrauchs in Münster werden Forderungen nach einem konsequenteren Vorgehen bei sexueller Gewalt gegen Minderjährige laut. Die CDU drängt auf eine Erhöhung des Strafmaßes bei Missbrauch von Kindern. „Es muss möglich sein, für Täter und Mittäter sexuellen Missbrauchs drastische Strafen zu ermöglichen“, sagte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach der CDU-Präsidiumssitzung
in Berlin. „Es kann nicht sein, dass der einfache Ladendiebstahl mit einem höheren Strafrahmen belegt ist, als es der Fall ist, wenn man sich kinderpornografisches Material verschafft“, so die CDU-Vorsitzende.
Der Ulmer Kinderpsychiater Jörg Fegert, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen, spricht sich für eine Vorratsdatenspeicherung aus. Persönlich sei er lange gegen dieses Instrument gewesen, sagte Fegert der „Schwäbischen Zeitung“. „Dass wir in Deutschland aber in diesem Kontext nicht die IPAdressen erfassen und Hinweise auf
Täterinnen und Täter fast nur aus Staaten bekommen, wo solche ,Nutzer’ nachverfolgt werden können, zeigt mir, dass wir hier zur Prävention und Intervention umdenken müssen.“Der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, erklärte, die Täter seien den Ermittlungsbehörden technisch oft voraus. „Wir brauchen deshalb bundesweit eine personell gut ausgestattete Polizei, die ihrerseits mit modernster Ermittlungstechnik ausgestattet ist.“Rörig appellierte auch an die Bürger. „Die betroffenen Kinder haben ein soziales Umfeld. Sie haben Nachbarn, gehen in Kitas, Schulen oder Sportvereine. Es kann nicht sein, dass nie jemand etwas bemerkt haben will“, sagte Rörig.
Wolfgang Schoch von der Opferschutzorganisation Weißer Ring fordert, Sexualstraftäter nach Haftentlassung „zu therapieren, zu führen und zu lenken“. Das sei notwendig, „um der Bevölkerung Ängste zu nehmen“.
Die Polizei in Münster war in den vergangenen Wochen auf ein professionelles Kindesmissbrauchsnetz gestoßen, elf Verdächtige wurden festgenommen.
ULM - Ist ein 43 Jahre alter Deutscher der Mörder der 2007 an der Algarve verschwundenen dreijährigen Madeleine „Maddie“McCann? Fieberhaft sammeln Ermittler in Deutschland, Großbritannien und Portugal derzeit Beweise, ohne bislang einen Durchbruch vermelden zu können. Derweil stellt sich eine ganz andere Frage: Über welche Mittel verfügt der Rechtsstaat, um Intensivtäter wie jenen Mann dauerhaft aus dem Verkehr ziehen zu können? Nach Medienberichten weist das Strafregister des Mannes insgesamt 17 Einträge auf, immer wieder wurde er auch wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Doch ist unklar, ob er sich einer Therapie unterziehen musste, auch verhängte kein Gericht jemals eine Sicherungsverwahrung. Dort können Täter, verurteilt wegen besonders schwerer Verbrechen, theoretisch unbegrenzt eingesperrt bleiben.
Und auch der Hauptbeschuldigte der jetzt bekannt gewordenen Missbrauchstaten in Münster ist der Justiz bekannt: Der 27-jährige IT-Spezialist aus Münster ist bereits mehrfach auf Bewährung verurteilt vorbestraft. Ebenso wie der Verdächtige im Fall Maddie kam auch er immer wieder frei. Der sich zu seiner pädophilen Neigung bekennende Mann hatte nicht gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Außerdem hatte er seine Therapie wie auferlegt begonnen. Sein Therapeut äußerte sich vor Gericht positiv über ihn.
Aus Sicht der Opfer ist der Umgang des Rechtsstaates mit Intensivtätern unbefriedigend: „Diese Menschen brauchen nach Verbüßung ihrer Strafe eine intensive Führung und Betreuung, damit sie nicht rückfällig werden.“Wolfgang Schoch, ehemaliger Pressesprecher des Polizeipräsidiums Tuttlingen und jetzt als Außenstellenleiter im Landkreis Tuttlingen wie auch auf Bundesebene in der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“tätig, fordert einen ganz neuen Umgang mit Sexualstraftätern: „Die bisher angewandten Instrumente wie die Führungsaufsicht, auch durch die Polizei, sind nicht wirksam genug, denn wir rechnen mit einer Dunkelziffer von 80 Prozent bei Taten des sexuellen Missbrauchs!“Bei Sexualund Gewalttätern, die eine mehrjährige Strafe voll verbüßt haben, wird bisher in der Regel eine Führungsaufsicht angeordnet. Diese Aufsicht soll Straftätern mit ungünstiger Sozialprognose den Übergang in die Freiheit erleichtern und verhindern, dass sie neue Taten begehen. Dabei werden sie überwacht und müssen bestimmte Vorgaben erfüllen. Die Führungsaufsicht dauert zwei bis fünf Jahre. Die Entlassenen werden von Bewährungshelfern betreut. Doch diese Maßnahmen reichen Schoch nicht aus: Die Opfer leiden unter Depressionen, „auch Erwachsene, die als Kinder missbraucht werden, kommen nach Jahren zu uns“. Daher müssen Justiz und Sozialbehörden nach Schochs Überzeugung viel stärker als bisher die Möglichkeit erhalten, Sexualstraftäter nach Entlassung aus der Haft „zu begleiten, zu therapieren, zu führen und zu lenken“. Die Reform sei kostenintensiv, „aber überfällig und notwendig, um der Bevölkerung Ängste zu nehmen“.
Ein anderes juristisches Mittel ist in Vorbereitung: die zeitlich unbegrenzte Aufnahme von Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in das erweiterte Führungszeugnis. Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) hatte das Gesetz eingebracht und begründet: „Wir wollen, dass Sexualstraftätern, die wegen Taten zum Nachteil von Kindern verurteilt wurden, der berufliche und ehrenamtliche Umgang mit Kindern und Jugendlichen dauerhaft verwehrt werden kann.“Der Bundesrat hatte das Gesetz
bereits im Februar beschlossen, im Bundestag blockiert die SPD die Umsetzung. Bei dem Verdächtigen im Fall Maddie hätte dieses Mittel, wäre es denn in Kraft getreten, nicht gegriffen: Er war, so weit bekannt, nicht ehrenamtlich mit Jugendlichen tätig. Im Münsteraner Fall allerdings dürfte es einer der Hauptverdächtigen, sie ist Erzieherin aus einem Kindergarten in Münster, nach der Verbüßung einer möglichen Haftstrafe die Rückkehr in den Beruf verwehren: Die Ermittler werfen der Frau vor, dass sie mit Vorsatz Beihilfe zu den Missbrauchstaten geleistet hat.
Am Montag forderte der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, zudem „eine Schärfung der Ermittlungsinstrumente wie die EU-rechtskonforme Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen“. Auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sprach sich für die Vorratsdatenspeicherung aus. Datenschutz sei an der Stelle Täterschutz, sagte sie.
Bleibt als letztes Mittel zum Schutz vor rückfälligen Sexualstraftätern die Sicherungsverwahrung. Alexander Spengler, Richter am Landgericht Ulm und dort als Pressesprecher in Strafsachen tätig, nennt die aus seiner Sicht engen Voraussetzungen, die das Strafgesetzbuch vorsieht: „Neben einigen formellen Voraussetzungen, wie beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Vorverurteilungen, muss ein Hang des Täters zu erheblichen Straftaten, die den Rechtsfrieden in besonders schwerwiegender Weise stören, vorliegen. Aufgrund dieses Hangs muss der Täter für die Allgemeinheit gefährlich sein. Es muss eine bestimmte Wahrscheinlichkeit bestehen, dass es zu einem Rückfall und erneuten schwerwiegenden Straftaten kommt!“
Sicherungsverwahrung verhängen Gerichte nach Angaben des Justizministeriums in Stuttgart nicht als Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Sie soll die Bevölkerung vor Tätern schützen, die ihre eigentliche Strafe für ein besonders schweres Verbrechen verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten. Die Täter können theoretisch unbegrenzt eingesperrt bleiben. Die Sicherungsverwahrung ist grundsätzlich zeitlich nicht begrenzt. Ob sie fortbesteht, wird regelmäßig von einem Gericht geprüft.
Entsprechend der strengen Voraussetzungen ist die Zahl der Sicherungsverwahrten klein: Derzeit befinden sich 60 ausschließlich männliche Sicherungsverwahrte in den Justizvollzugsanstalten
des Landes. In der Justizvollzugsanstalt Freiburg sitzen aktuell 54 Sicherungsverwahrte, weitere vier Personen befinden sich in der Sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg und jeweils ein weiterer Sicherungsverwahrter in den Justizvollzugsanstalten Bruchsal und Heilbronn. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Regelungen 2011 für verfassungswidrig erklärt hatte, gibt es seit 2013 ein neues Konzept für die Sicherungsverwahrung. So müssen die Bedingungen deutlich besser sein als in der Strafhaft, und es muss ein größeres Therapieangebot geben.
In Justizkreisen wird das Instrument der Sicherungsverwahrung als „ultima ratio“, als letztes Mittel betrachtet. Frank Grundke, Erster Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Rottweil, sieht den Ruf der Öffentlichkeit und der Boulevardpresse nach der Sicherungsverwahrung kritisch: Vor dem Gesetz seien Sexualdelikte „Taten wie andere auch“. Aber: „Die Sicherungsverwahrung ist ein scharfes Schwert, das in engen Grenzen angewandt werden darf, nicht jeder Sexualverbrecher darf nach Verbüßung seiner Strafe weggesperrt werden.“Eine weitere Möglichkeit: „Die Behandlung in einer Psychiatrischen Klinik.“In beiden Fällen müsse eine negative Langzeitprognose vorliegen. Aber es gelte das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit: „Natürlich sind Sexualdelikte und Rückfälle besonders öffentlichkeitswirksam.“Die Gerichte ordnen die Sicherungsverwahrung nach Grundkes Worten regelmäßig an. Drei Beispiele aus Südbaden aus der jüngsten Vergangenheit seien zu nennen: Der frühere Leiter einer evangelischen Pfadfindergruppe in Staufen bei Freiburg war wegen sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen am 19. Februar zu acht Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Ein wegen Mordes an einer 27-Jährigen am Kaiserstuhl vom Landgericht Freiburg verurteilter Fernfahrer muss nach einem Urteil im Dezember 2017 lebenslang in Haft und anschließend in Sicherungsverwahrung. Schließlich verurteilte das Landgericht Freiburg einen jungen Mann, der im Jahr 2016 in Freiburg eine Studentin ermordet hatte, im März 2018 zu lebenslanger Haft und ordnete unter Vorbehalt Sicherungsverwahrung an. Grundke ist sich daher sicher: „In unserem Rechtsstaat haben wir die Notwendigkeit und Möglichkeit, die Bevölkerung zu schützen. Und dieser Aufgabe kommt die Justiz nach.“