Streit um Rassismus
Polizei widerspricht Esken – Söder appelliert
BERLIN (klw) - Nach den Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt am Wochenende streiten Politiker und Gewerkschafter über Rassismus in deutschen Sicherheitsbehörden. Nachdem SPD-Chefin Saskia Esken gegenüber der Funke Mediengruppe einen „latenten Rassismus“in den Sicherheitsbehörden diagnostiziert hatte, gab es Widerspruch: „Die Polizei braucht keine verbalen Backpfeifen von Frau Esken“, erklärte der Vizevorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP. Die Vorwürfe hätten mit der Realität „nichts zu tun“.
CDU-Chefin Annegret KrampKarrenbauer wünschte sich, dass jeder den Kampf gegen Rassismus persönlich ernst nehme. Auch CSUChef Markus Söder forderte im Newsletter „Morning Briefing“, dass die Demokraten untereinander solidarisch gegen Rassismus, Antisemitismus und Extremismus vorgehen.
BERLIN - SPD-Chefin Saskia Esken hat eine Debatte um Rassismus in der Polizei ausgelöst. Angesichts der Demonstrationen nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd nach einem Polizeieinsatz in den USA verwies sie auf das eigene Land: „Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte“, sagte Esken den Zeitungen der Funke-Mediengruppe – und forderte eine „unabhängige Stelle“zur Bearbeitung von Beschwerden über ungerechtfertigte Polizeigewalt.
In Berlin war es nach einer Demonstration gegen Rassismus am Wochenende zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Im Netz kursieren Bilder von Verhaftungen, die insbesondere von Linken scharf kritisiert werden. In der Stadt gibt es sowieso schon rege Diskussion über die Arbeit der Polizei: Der rot-rot-grüne Senat hat gerade ein „Antidiskriminierungsgesetz“verabschiedet, nach dem die Beamten bei Einsätzen nachweisen müssen, dass sie niemanden diskriminiert. Nun will das Land Berlin noch einen Polizeibeauftragten einsetzen – so wie ihn sich Esken wünscht.
Für viele Polizeifunktionäre ist das alles eine Zumutung: Der für markige Worte bekannte Chef der Polizeigewerkschaft DPolG, Rainer Wendt, gab sich empört, „wie leichtfertig beispielsweise Frau Esken über latenten Rassismus in der Polizei schwadroniert, die Einsatzkräfte verunsichert und diejenigen aufhetzt, die ohnehin schon ein gestörtes Verhältnis zum Staat und seinen Institutionen haben.“Tatsächlich gebe es in der deutschen Polizei „erheblich weniger“Rassismus als in der Gesamtbevölkerung. Auch Dietmar Schilff von der konkurrierenden Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte die Esken-Vorwürfe als „abwegig“und populistisch.
Auch die Politik fühlt sich von Esken vielfach nicht angesprochen: Die Bundespolizei verfüge bereits über eine Beschwerdestelle, erklärte ein Sprecher von Bundes-Innenminister Horst Seehofer (CSU), zudem gebe es nur Einzelfälle: In acht Jahren sei nur 25mal intern wegen Rassismus ermittelt worden. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) verwahrt sich ebenfalls gegen die Anschuldigung: „Die Polizei Baden-Württemberg steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes und verdient unser Vertrauen – und wir dürfen der Polizei auch Vertrauen entgegenbringen“, erklärte der Minister. Antiextremismus und Antirassismus sei fester Bestandteil der Ausbildung jedes Polizisten, Vorgesetzte würden keinerlei rassistisches, extremistisches oder antisemitisches Verhalten durchgehen lassen.
Doch ist dem wirklich so? Maria Scharlau von Amnesty International (AI) relativiert: „Amnesty International geht schon länger davon aus, dass es institutionellen Rassismus in Deutschland gibt. Dabei geht es aber weniger um Rassismus durch absichtliche Ausgrenzung, sondern vielmehr um unbewusste Handlungen, Stereotype und die polizeiliche Fallbearbeitung.“
Ein größeres Problem als offener Rassismus Einzelner sei fehlende Sensibilisierung der vielen. Erst im März sei Deutschland vom Europarat kritisiert worden. „Deutschland hat noch viel zu tun“, sagte Scharlau der „Schwäbischen Zeitung“. Dabei sei dies ausdrücklich nicht nur ein Thema der Polizei: „Struktureller
Rassismus ist auf jeden Fall auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt in Deutschland weit verbreitet.“
Und die Benachteiligung sei auch bei der Polizei oft gar nicht beabsichtigt: „Das Deutschsein sieht man heute nicht mehr. Wenn die Bundespolizei dann schwarze Deutsche bei der Suche nach illegal Eingereisten kontrolliert, wirkt das für die Betroffenen eben rassistisch“, erklärt sie.
Als Beispiel für institutionelles Versagen nennt Scharlau auch die Mordserie des rechtsextremen Terrortrios
NSU, bei der die Polizei jahrelang gezielt gegen Migranten ermittelte.
Auch der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser wirbt für Differenzierung: Eskens „Pauschalvorwurf“sei der falsche Weg, doch rassistische Vorfälle in der Polizei wie das „NSU 2.0“-Drohschreiben müssten konsequent aufgearbeitet und geahndet werden. Dafür seien „unabhängige, parlamentarische Polizeibeauftragte“das Richtige, meint Strasser.