Gränzbote

Streit um Rassismus

Polizei widerspric­ht Esken – Söder appelliert

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN (klw) - Nach den Demonstrat­ionen gegen Rassismus und Polizeigew­alt am Wochenende streiten Politiker und Gewerkscha­fter über Rassismus in deutschen Sicherheit­sbehörden. Nachdem SPD-Chefin Saskia Esken gegenüber der Funke Mediengrup­pe einen „latenten Rassismus“in den Sicherheit­sbehörden diagnostiz­iert hatte, gab es Widerspruc­h: „Die Polizei braucht keine verbalen Backpfeife­n von Frau Esken“, erklärte der Vizevorsit­zende der Polizeigew­erkschaft GdP. Die Vorwürfe hätten mit der Realität „nichts zu tun“.

CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer wünschte sich, dass jeder den Kampf gegen Rassismus persönlich ernst nehme. Auch CSUChef Markus Söder forderte im Newsletter „Morning Briefing“, dass die Demokraten untereinan­der solidarisc­h gegen Rassismus, Antisemiti­smus und Extremismu­s vorgehen.

BERLIN - SPD-Chefin Saskia Esken hat eine Debatte um Rassismus in der Polizei ausgelöst. Angesichts der Demonstrat­ionen nach dem gewaltsame­n Tod von George Floyd nach einem Polizeiein­satz in den USA verwies sie auf das eigene Land: „Auch in Deutschlan­d gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheit­skräfte“, sagte Esken den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe – und forderte eine „unabhängig­e Stelle“zur Bearbeitun­g von Beschwerde­n über ungerechtf­ertigte Polizeigew­alt.

In Berlin war es nach einer Demonstrat­ion gegen Rassismus am Wochenende zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen zwischen Demonstran­ten und der Polizei gekommen. Im Netz kursieren Bilder von Verhaftung­en, die insbesonde­re von Linken scharf kritisiert werden. In der Stadt gibt es sowieso schon rege Diskussion über die Arbeit der Polizei: Der rot-rot-grüne Senat hat gerade ein „Antidiskri­minierungs­gesetz“verabschie­det, nach dem die Beamten bei Einsätzen nachweisen müssen, dass sie niemanden diskrimini­ert. Nun will das Land Berlin noch einen Polizeibea­uftragten einsetzen – so wie ihn sich Esken wünscht.

Für viele Polizeifun­ktionäre ist das alles eine Zumutung: Der für markige Worte bekannte Chef der Polizeigew­erkschaft DPolG, Rainer Wendt, gab sich empört, „wie leichtfert­ig beispielsw­eise Frau Esken über latenten Rassismus in der Polizei schwadroni­ert, die Einsatzkrä­fte verunsiche­rt und diejenigen aufhetzt, die ohnehin schon ein gestörtes Verhältnis zum Staat und seinen Institutio­nen haben.“Tatsächlic­h gebe es in der deutschen Polizei „erheblich weniger“Rassismus als in der Gesamtbevö­lkerung. Auch Dietmar Schilff von der konkurrier­enden Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) kritisiert­e die Esken-Vorwürfe als „abwegig“und populistis­ch.

Auch die Politik fühlt sich von Esken vielfach nicht angesproch­en: Die Bundespoli­zei verfüge bereits über eine Beschwerde­stelle, erklärte ein Sprecher von Bundes-Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), zudem gebe es nur Einzelfäll­e: In acht Jahren sei nur 25mal intern wegen Rassismus ermittelt worden. Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) verwahrt sich ebenfalls gegen die Anschuldig­ung: „Die Polizei Baden-Württember­g steht fest auf dem Boden des Grundgeset­zes und verdient unser Vertrauen – und wir dürfen der Polizei auch Vertrauen entgegenbr­ingen“, erklärte der Minister. Antiextrem­ismus und Antirassis­mus sei fester Bestandtei­l der Ausbildung jedes Polizisten, Vorgesetzt­e würden keinerlei rassistisc­hes, extremisti­sches oder antisemiti­sches Verhalten durchgehen lassen.

Doch ist dem wirklich so? Maria Scharlau von Amnesty Internatio­nal (AI) relativier­t: „Amnesty Internatio­nal geht schon länger davon aus, dass es institutio­nellen Rassismus in Deutschlan­d gibt. Dabei geht es aber weniger um Rassismus durch absichtlic­he Ausgrenzun­g, sondern vielmehr um unbewusste Handlungen, Stereotype und die polizeilic­he Fallbearbe­itung.“

Ein größeres Problem als offener Rassismus Einzelner sei fehlende Sensibilis­ierung der vielen. Erst im März sei Deutschlan­d vom Europarat kritisiert worden. „Deutschlan­d hat noch viel zu tun“, sagte Scharlau der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dabei sei dies ausdrückli­ch nicht nur ein Thema der Polizei: „Strukturel­ler

Rassismus ist auf jeden Fall auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmar­kt in Deutschlan­d weit verbreitet.“

Und die Benachteil­igung sei auch bei der Polizei oft gar nicht beabsichti­gt: „Das Deutschsei­n sieht man heute nicht mehr. Wenn die Bundespoli­zei dann schwarze Deutsche bei der Suche nach illegal Eingereist­en kontrollie­rt, wirkt das für die Betroffene­n eben rassistisc­h“, erklärt sie.

Als Beispiel für institutio­nelles Versagen nennt Scharlau auch die Mordserie des rechtsextr­emen Terrortrio­s

NSU, bei der die Polizei jahrelang gezielt gegen Migranten ermittelte.

Auch der FDP-Innenpolit­iker Benjamin Strasser wirbt für Differenzi­erung: Eskens „Pauschalvo­rwurf“sei der falsche Weg, doch rassistisc­he Vorfälle in der Polizei wie das „NSU 2.0“-Drohschrei­ben müssten konsequent aufgearbei­tet und geahndet werden. Dafür seien „unabhängig­e, parlamenta­rische Polizeibea­uftragte“das Richtige, meint Strasser.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Wie in vielen anderen Städten, wurde auch in Stuttgart am Samstag gegen Polizeigew­alt demonstrie­rt. Mancherort­s kam es dabei zu Gewalt – gegen Polizisten. Zumeist blieb der Protest aber friedlich.

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