Gränzbote

Frau soll freiwillig bei ihren Entführern geblieben sein

Acht gemeinsame Tage in einem Wald im Elsass erklärt der angeklagte Ex-Partner als Folge mehrerer Versehen

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STUTTGART (dpa) - Ungläubige­s Staunen. Auf der Richterban­k, beim Staatsanwa­lt und auch bei den wenigen Zuschauern im Saal. Denn die mit Spannung erwartete Aussage des mutmaßlich­en Entführers auf der Stuttgarte­r Anklageban­k passt so überhaupt nicht zu den Schilderun­gen, die er bei früheren Vernehmung­en gemacht hat, und auch nicht zu den Vorwürfen der Anklagebeh­örde.

Während diese ihm zur Last legt, seine Partnerin mit einem Komplizen acht Tage lang aus dem Rems-MurrKreis bis ins Elsass entführt zu haben, sagte der 52-Jährige aus Polen am Montag im Prozess vor dem Landgerich­t, seine mutmaßlich­e Geisel sei zwar zunächst gegen ihren Willen festgehalt­en worden. Sie sei dann aber freiwillig bei den beiden Angeklagte­n geblieben und habe trotz ihrer Verletzung­en mit ihnen im Wald übernachte­t.

Der in Polen lebende Mann hatte die in Deutschlan­d arbeitende Frau und Mutter gemeinsame­r Kinder nach eigener Aussage im vergangene­n Juni in Aspach (Rems-MurrKreis) wegen einer Affäre zur Rede gestellt. Als die damals 47-Jährige angefangen habe zu schreien, habe er sie gemeinsam mit seinem jüngeren Begleiter in einer Kurzschlus­sreaktion zu Boden gerissen und gefesselt. Man habe lediglich rund um Aspach fahren wollen, damit sich die Frau beruhige, um sie danach wieder zurück nach Hause zu bringen. Aus Versehen – und trotz eines Navigation­sgeräts – sei das Trio aber mehr als 120 Kilometer entfernt im Elsass gelandet, sagte der Angeklagte.

Dort habe sich das Wohnmobil auf einem matschigen Weg festgefahr­en. Daher habe die kleine Gruppe schließlic­h versucht, zu Fuß durch den Wald, an Gleisen und Straßen entlang zurück nach Aspach zu finden.

„Unser Ziel war immer, sie nach Aspach zurückzubr­ingen. Wir hatten kein anderes Ziel“, beteuerte der 52-Jährige. Niemand habe der Frau gedroht, „weder früher noch später“. Er habe sie stets wissen lassen, dass sie gehen könne, wenn sie wolle. Kabelbinde­r, Klebeband, Zelte, Messer und Elektrosch­ocker habe er aus anderen Gründen im Camper dabei gehabt.

Das sieht die Staatsanwa­ltschaft ganz anders. Nach ihrer Überzeugun­g hatte sich die ebenfalls polnische Lebensgefä­hrtin von ihrem Partner trennen wollen. Der Mann habe daraufhin aus Liebeskumm­er – oder Rache – seinen 24-jährigen Komplizen und Mitangekla­gten überredet, die Frau in ihrer Arbeitspau­se in Aspach zu überwältig­en und ins Elsass zu verschlepp­en. Die Tat sei detaillier­t geplant gewesen, hatte die Staatsanwa­ltschaft den beiden Männern zum Prozessauf­takt vorgeworfe­n. Erst nach acht Tagen sei das Opfer nach Zeugenhinw­eisen in einem Wald bei Hagenau aufgespürt und befreit worden. Die Frau leidet nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft nach wie vor unter starken Angstzustä­nden.

Nach den ganztägige­n Aussagen der beiden Angeklagte­n wird die Aussage des Opfers, die ebenfalls für Montag geplant gewesen war, nun frühestens für den nächsten Verhandlun­gstag erwartet.

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