Pilotprojekt Pflege droht Aus vor dem Start
Obwohl nur wenige Kommunen Zukunft gestalten wollen, droht Vorhaben zu scheitern
TUTTLINGEN - Der Landkreis Tuttlingen will zu einer sogenannten „Modellregion Pflege“werden. Obwohl die Konkurrenz im Land Baden-Württemberg gering ist, droht das Projekt zu scheitern. Die Entscheidung, ob in Tuttlingen ein Konzept getestet wird, wie hilfsbedürftige Menschen in Zukunft versorgt werden können, ist bereits um ein Jahr verschoben.
Eigentlich war die Frist für die Bewerbung zur „Modellregion Pflege“mit dem vergangenen Jahr abgelaufen. Der Zeitraum wurde nun um zwölf Monate verlängert. „Es wird noch in diesem Jahr eine Entscheidung geben“, ist sich Bernd Mager, Dezernent für Soziales und Arbeit beim Landkreis, sicher. Nur wie diese Entscheidung ausfällt, ist offen.
An der Vielzahl der Bewerber um die Vorreiterrolle kann es nicht liegen. Neben Tuttlingen hatten sich Karlsruhe und Ludwigsburg für Baden-Württemberg beworben – acht Kommunen könnten es sein. „Warum das Interesse so spärlich ist, können wir uns auch nicht erklären“, meint Mager, der für die Region am Vorhaben festhält und eine „erweiterte Kurzkonzeption“dem LandesSozialministerium zugeschickt hat.
Das Tuttlinger Modell sieht vor, dass die Pflege zu einer gesellschaftlichen Aufgabe werden soll. „Zwei Drittel der Pflege findet bereits in den Familien statt. Das ist eine imponierende Zahl. Die Familien sind der Pflegeschwerpunkt der Nation“, betont Mager. Weil der steigende Pflegebedarf – laut einer Vorausberechnung der Verwaltung wird 2025 nicht mehr jeder fünfte, sondern jeder vierte Landkreis-Bewohner über 65 Jahre alt sein. Die Zahl der über 85Jährigen wird um 5000 Einwohner steigen – kaum über Heime oder Dienste und deren Mitarbeiter zu stemmen ist, kommt der Verwandtoder Nachbarschaft noch mehr Bedeutung zu.
Damit die Zunahme der Aufgaben nicht zu einer Überforderung führt, will der Landkreis die pflegenden Menschen entlasten. „Es geht um die Entwicklung einer Sorgekultur im
Zusammenwirken von Familien, sozialen Nachbarschaften, Freiwilligen sowie Professionellen“, heißt es in der Konzeption der Verwaltung, die einen „sorgenden Landkreis“entwickeln will. Um die Pflegenden zu unterstützen und einen breiten Zugang zu Hilfsangeboten zu ermöglichen, soll ein „niederschwelliges und hochprofessionelles Beratungsnetz“bereitgestellt werden.
Die Zuversicht, dass man mit diesem Modell erfolgreich sein kann, ist bei der Kreisverwaltung in den vergangenen Wochen gestiegen. Den
Auswirkungen des Coronavirus habe man durch die guten Kontakte und die flächendeckende Struktur zu Nachbarschaftshilfen, Pflege- oder ambulanten Diensten gut begegnen können. „Wir wissen, wo die Nöte sind. Der enge Kontakt zu den Trägern der Hilfsvereine ist Gold wert“, sagt Mager, der die Zusammenarbeit vor Ort noch intensivieren möchte. Für den Sozialdezernenten ist klar: „Die Zukunft der Pflege liegt in den Kommunen.“
Davon sind aber noch nicht alle an dem Projekt „Modellregion Pflege“
Beteiligten überzeugt. „Die Pflegekassen tun sich noch schwer, Kompetenzen abzugeben“, nennt Mager als Grund, warum sich die Umsetzung verzögert. So gebe es noch keine Zusage, dass die Kosten für die „Modellregion Pflege“in Tuttlingen übernommen werden. Zehn Vollzeitstellen müssten bezahlt werden. „Wir haben unsere Forderung gestellt und können das Projekt nur umsetzen, wenn es vollfinanziert wird“, sagt Mager. Die Entscheidung, ob die Modellregion Pflege kommt, liegt nun nicht mehr beim Landkreis. Und die Zeit läuft.