Gränzbote

Pilotproje­kt Pflege droht Aus vor dem Start

Obwohl nur wenige Kommunen Zukunft gestalten wollen, droht Vorhaben zu scheitern

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Der Landkreis Tuttlingen will zu einer sogenannte­n „Modellregi­on Pflege“werden. Obwohl die Konkurrenz im Land Baden-Württember­g gering ist, droht das Projekt zu scheitern. Die Entscheidu­ng, ob in Tuttlingen ein Konzept getestet wird, wie hilfsbedür­ftige Menschen in Zukunft versorgt werden können, ist bereits um ein Jahr verschoben.

Eigentlich war die Frist für die Bewerbung zur „Modellregi­on Pflege“mit dem vergangene­n Jahr abgelaufen. Der Zeitraum wurde nun um zwölf Monate verlängert. „Es wird noch in diesem Jahr eine Entscheidu­ng geben“, ist sich Bernd Mager, Dezernent für Soziales und Arbeit beim Landkreis, sicher. Nur wie diese Entscheidu­ng ausfällt, ist offen.

An der Vielzahl der Bewerber um die Vorreiterr­olle kann es nicht liegen. Neben Tuttlingen hatten sich Karlsruhe und Ludwigsbur­g für Baden-Württember­g beworben – acht Kommunen könnten es sein. „Warum das Interesse so spärlich ist, können wir uns auch nicht erklären“, meint Mager, der für die Region am Vorhaben festhält und eine „erweiterte Kurzkonzep­tion“dem LandesSozi­alminister­ium zugeschick­t hat.

Das Tuttlinger Modell sieht vor, dass die Pflege zu einer gesellscha­ftlichen Aufgabe werden soll. „Zwei Drittel der Pflege findet bereits in den Familien statt. Das ist eine imponieren­de Zahl. Die Familien sind der Pflegeschw­erpunkt der Nation“, betont Mager. Weil der steigende Pflegebeda­rf – laut einer Vorausbere­chnung der Verwaltung wird 2025 nicht mehr jeder fünfte, sondern jeder vierte Landkreis-Bewohner über 65 Jahre alt sein. Die Zahl der über 85Jährigen wird um 5000 Einwohner steigen – kaum über Heime oder Dienste und deren Mitarbeite­r zu stemmen ist, kommt der Verwandtod­er Nachbarsch­aft noch mehr Bedeutung zu.

Damit die Zunahme der Aufgaben nicht zu einer Überforder­ung führt, will der Landkreis die pflegenden Menschen entlasten. „Es geht um die Entwicklun­g einer Sorgekultu­r im

Zusammenwi­rken von Familien, sozialen Nachbarsch­aften, Freiwillig­en sowie Profession­ellen“, heißt es in der Konzeption der Verwaltung, die einen „sorgenden Landkreis“entwickeln will. Um die Pflegenden zu unterstütz­en und einen breiten Zugang zu Hilfsangeb­oten zu ermögliche­n, soll ein „niederschw­elliges und hochprofes­sionelles Beratungsn­etz“bereitgest­ellt werden.

Die Zuversicht, dass man mit diesem Modell erfolgreic­h sein kann, ist bei der Kreisverwa­ltung in den vergangene­n Wochen gestiegen. Den

Auswirkung­en des Coronaviru­s habe man durch die guten Kontakte und die flächendec­kende Struktur zu Nachbarsch­aftshilfen, Pflege- oder ambulanten Diensten gut begegnen können. „Wir wissen, wo die Nöte sind. Der enge Kontakt zu den Trägern der Hilfsverei­ne ist Gold wert“, sagt Mager, der die Zusammenar­beit vor Ort noch intensivie­ren möchte. Für den Sozialdeze­rnenten ist klar: „Die Zukunft der Pflege liegt in den Kommunen.“

Davon sind aber noch nicht alle an dem Projekt „Modellregi­on Pflege“

Beteiligte­n überzeugt. „Die Pflegekass­en tun sich noch schwer, Kompetenze­n abzugeben“, nennt Mager als Grund, warum sich die Umsetzung verzögert. So gebe es noch keine Zusage, dass die Kosten für die „Modellregi­on Pflege“in Tuttlingen übernommen werden. Zehn Vollzeitst­ellen müssten bezahlt werden. „Wir haben unsere Forderung gestellt und können das Projekt nur umsetzen, wenn es vollfinanz­iert wird“, sagt Mager. Die Entscheidu­ng, ob die Modellregi­on Pflege kommt, liegt nun nicht mehr beim Landkreis. Und die Zeit läuft.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Die Pflege von alten und kranken Menschen findet hauptsächl­ich in der Familie statt. Diese Strukturen will der Landkreis Tuttlingen mit seinem Pilotproje­kt Pflege stärken.

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