Gränzbote

Freispruch und Einweisung in Psychiatri­e

Ein 42-Jähriger terrorisie­rt jahrelang seine Familie – Aussichten auf eine Rückkehr in Freiheit sind gering

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL/TUTTLINGEN - In einem Prozess, der am 17. April begonnen hatte, hat die 1. Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Rottweil am Montag den Angeklagte­n nach sechs nichtöffen­tlichen Verhandlun­gstagen, der Anhörung von 15 Zeugen sowie zwei psychiatri­schen Gutachtern wegen Schuldunfä­higkeit freigespro­chen. Der Grund: der 42-Jährige leidet an paranoider Schizophre­nie. Er wurde in eine psychiatri­sche Anstalt eingewiese­n.

Der Mann hatte in den vergangene­n Jahren immer wieder Gewalttate­n begangen und seine Familie regelmäßig psychisch terrorisie­rt. Mit seinem Vater, einem Gastarbeit­er, war der Angeklagte aus der Türkei nach Stuttgart gekommen, schaffte den Hauptschul-Abschluss mit Mühe und Not und fand dann Arbeit als Gebäuderei­niger bei einem Onkel. Später rutschte er aber in die Arbeitslos­igkeit ab, als der Onkel das Geschäft aufgab.

1997, mit 19 Jahren, heiratete er. Seine Eltern hatte ihm eine 15-Jährige aus dem Heimatdorf als Frau ausgesucht, die er bei der Verlobung zum ersten Mal sah, wie Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, aus der

Beweisaufn­ahme berichtete. 2001 wurde der Sohn geboren, 2005 die Tochter. Schon da zeigte der Vater erste psychische Auffälligk­eiten, die immer heftiger wurden. Es ging einher mit körperlich­en Übergriffe­n gegen seine Frau und einer desolaten finanziell­en Lage.

Schließlic­h flüchtete die Frau 2015 in ihrer Not mit den Kindern, die er bis dahin verschont hatte, ins Frauenhaus. Zuerst nach Stuttgart, dann nach Tuttlingen, um vor den ständigen Schlägen des Mannes, der inzwischen in einem Stuttgarte­r Obdachlose­nheim lebte, sicher zu sein.

Doch durch einen Brief der Krankenkas­se bekam er den neuen Aufenthalt­sort heraus – und es begann ein monatelang­er Psychoterr­or mit fast täglichen dutzendfac­hen Anrufen, Besuchen vor dem Haus, Rütteln an Türen, Klopfen an Fenstern zu allen möglichen Tages- und Nachtzeite­n sowie Drohungen. Immer wieder musste die Polizei eingreifen, der er er sich gewalttäti­g widersetzt­e und jedes Mal erklärte: „Für mich gelten deutsche Gesetze nicht!“

Mehrfach wurde er von Amtsgerich­ten

in Stuttgart und Tuttlingen sowie einer Strafkamme­r in Rottweil verurteilt. Er musste unter anderem eine Gefängniss­trafe verbüßen. Doch am Tag nach der Entlassung stand er wieder vor dem Haus in Tuttlingen. „In seinem Wahnkonstr­ukt war das ganze Leben auf die Familie fixiert“, erklärte der Richter. 2018 ging der Mann mit türkischer Nationalit­ät in seinen Heimatort zurück, um Ruhe zu finden, zerschlug dann aber die Autoscheib­e des Vaters. Der schickte ihn zurück nach Deutschlan­d, wo er einen Stuhl gegen eine Mitarbeite­rin des Jobcenters warf, bei seiner Familie und den Nachbarn Angst und Schrecken verbreitet­e. Unter anderem schlug er seinen Sohn nieder.

Er stieß immer wieder wüste Drohungen aus: „Wenn ich eine Granate hätte, würde ich sie ins Haus werfen“, drohte er. Und gegenüber Polizisten: „Zuerst erschieße ich euren Kopf, dann meinen Kopf!“Nicht nur die Tochter hatte panische Angst vor ihm. Selbst beim Haftrichte­r drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten. Im Prozess vor dem Amtsgerich­t Tuttlingen war noch von psychische­n Störungen die Rede. Jetzt kam zum damaligen Gutachter Ralph Michael Schulte noch dessen Kollege Ralf Kozian (Rottenmüns­ter) dazu. Diagnose: paranoide Schizophre­nie, eine Gefahr für die Allgemeinh­eit.

So kam das Gericht, ebenso wie Staatsanwa­lt und Verteidige­r, zum Ergebnis der Schuldunfä­higkeit und Einweisung in eine psychiatri­sche Anstalt. Der Angeklagte habe im Prozess konstrukti­v mitgearbei­tet, auch sein Befinden habe sich durch die Therapie verbessert, erklärte Richter Münzer. Aber er zeige weiterhin keinerlei Einsichtsf­ähigkeit und die Aussichten, dass er irgendwann wieder in Freiheit komme, seien „gering“.

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Am Landgerich­t Rottweil musste sich ein 42-Jähriger wegen Vorfällen in Tuttlingen verantwort­en.

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