Gränzbote

Landarztqu­ote kommt erst 2021

Grün-Schwarz beschließt Landarztqu­ote und Fokus auf Allgemeinm­edizin im Studium

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Die grünschwar­ze Landesregi­erung hat am Dienstag den Weg frei gemacht für 150 weitere Medizinstu­dienplätze. Die Hälfte davon ist für Bewerber reserviert, die sich verpflicht­en, zehn Jahre als Arzt auf dem Land zu arbeiten. Für die 75 neuen Studienplä­tze greift die Landarztqu­ote aber erst nächstes Jahr.

STUTTGART - Von A wie Atemproble­m bis Z wie Zeckenbiss: Hausärzte sind die erste Anlaufstel­le bei fast allen Gesundheit­sfragen. Von ihnen gibt es jedoch immer weniger. Unter anderem mit einer Landarztqu­ote für das Medizinstu­dium will die grün-schwarze Landesregi­erung nun gegensteue­rn – darauf haben sich die Minister am Dienstag final geeinigt. Was das konkret bedeutet:

Wie groß ist der Ärztemange­l in Baden-Württember­g?

Laut Landesregi­erung leben 665 000 Menschen in einem Ort ohne Arztpraxis. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) geht von 600 unbesetzte­n Stellen für Allgemeinm­ediziner aus – Tendenz steigend. Denn jeder fünte Hausarzt ist über 65 Jahre. Gehen sie in Rente, müssten nach KV-Berechnung zwei vakante Stellen von drei Jungmedizi­nern übernommen werden. Denn: „Klar ist, das Modell des Landarztes, der 55 Stunden pro Woche in seiner abgelegene­n Praxis Dienst tut, entspricht nicht mehr der Lebensreal­ität von heute“, sagt etwa Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne). „Die Mehrheit der Hausärzte auf dem Land wird in Zukunft jung, weiblich und in Teilzeit arbeitend sein.“

Was soll die Landarztqu­ote bewirken?

Mit der Quote sollen Mediziner aufs Land gelockt werden, denn dort ist der Mangel am größten. Die KV hat das Land in 103 Versorgung­sgebiete unterteilt. In mehr als Dreivierte­l der Gebiete kann sich ein Hausarzt sofort neu niederlass­en, weil sie als unterverso­rgt gelten. Im Gebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“liegen lediglich vier gesperrte Bereiche: Ulm, Biberach, Bad Waldsee und Wangen.

Was ist die Landarztqu­ote?

Sie ist ein alternativ­er Weg für junge Menschen, an einen begehrten Studienpla­tz für Medizin zu gelangen. Im Gegenzug verpflicht­en sie sich, nach ihrem Abschluss eine Zeit in einem unterverso­rgten Gebiet als Allgemeinm­ediziner zu arbeiten. Die Rede ist von zehn Jahren. Bislang gibt es an den fünf medizinisc­hen Fakultäten im Land 1550 Studienplä­tze. 150 weitere werden nun geschaffen – die Hälfte davon reserviert für künftige Landärzte. Kostenpunk­t im Endausbau: 30 Millionen Euro pro Jahr. Zum Winterseme­ster kommen die ersten 75 Plätze dazu. Im nächsten Jahr folgen die weiteren 75 Plätze. Für diese greift dann Landarztqu­ote.

Welche Bedingunge­n gelten für die Landarztqu­ote?

Das ist noch sehr unklar. Erklärtes Ziel ist es, auch solchen Bewerbern eine Chance auf einen Studienpla­tz zu geben, die bei einer Vergabe über die Abiturnote nicht zum Zug kommen würden. Eine Ausbildung in einem Gesundheit­sberuf könnte ein Kriterium sein. Es ist Aufgabe von Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne), dafür nun die gesetzlich­en Regelungen zu erarbeiten. Deshalb sei auch noch unklar, welche Strafen auf Studierend­e zukommen, die ihr Studium abbrechen, im Anschluss doch nicht im ländlichen Raum arbeiten, oder eben nicht zehn Jahre dort praktizier­en – und wer das überwachen soll, erklärt ein Sprecher Luchas. „Bereits geltende Ländergese­tze für Landarztqu­oten können geeignete Quellen sein, wie die Regelungen in Baden-Württember­g zu formuliere­n sind“, sagt er.

Welche Vorbilder gibt es in anderen Ländern?

Nordrhein-Westfalen hat zum Winterseme­ster 2019/20 bereits 145 Medizinstu­dienplätze an eine Landarztqu­ote geknüpft. Bayern vergibt erstmals zum Winterseme­ster 110 Plätze auf diese Weise. In beiden Ländern sollen die Bewerber 250 000 Euro zahlen, wenn sie ihren Vertrag brechen und nicht zehn Jahre auf dem Land praktizier­en. Zum Auswahlver­fahren in den beiden Ländern gehören Gespräche, in denen die Bewerber ihre Motivation verdeutlic­hen sollen. Bayern verzichtet aktuell jedoch wegen der Corona-Krise darauf.

Verspricht die Quote mehr Ärzte auf dem Land?

Eine Antwort darauf gibt es wohl erst in 12 bis 15 Jahren, sind sich Experten einig. Die Quote war ein Herzenspro­jekt der CDU. „Die Landarztqu­ote ist uns ein wichtiges Anliegen, weil sie die einzige Möglichkei­t ist, um verbindlic­h mehr Hausärzte für unterverso­rgte Gebiete zu gewinnen“, betont Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart am Dienstag. Die Gegenwehr war immens. Die Fachschaft­en der Medizinisc­hen Fakultäten in Baden-Württember­g und die Bundesvert­retung der Medizinstu­dierenden in Deutschlan­d erklären etwa: „Die Quote setzt am falschen Zeitpunkt an.“Das betonte auch Ministerin Bauer am Dienstag. „In jungen Jahren, mit 17, 18 Jahren, unterschre­iben Menschen einen Vertrag, der sie auf viele Jahre bindet.“Frank-Dieter Braun, stellvertr­etender Landeschef des Hausärztev­erbands, spricht zudem von einer Abwertung des Berufs. „Wenn Du sonst nichts wirst, wirst Du Landarzt“, so der Hausarzt aus Biberach. „Das ist eins der gefährlich­sten Argumente, das Fach abzuwerten.“Etliche Wissenscha­ftler, etwa von der Universitä­t in Tübingen, hatten ähnliche Sorgen geäußert. Die opposition­elle SPD lehnt die Landarztqu­ote mit Verweis auf alle genannten Gründe ab und ergänzt: „Wir brauchen die Landärzte jetzt und nicht erst in 14 Jahren“, so SPD-Gesundheit­sexperte Rainer Hinderer.

Was könnte den Ärztemange­l schneller mindern?

Die Quote wird flankiert durch weitere Neuregelun­gen, die die beiden Grünen-Minister Bauer und Lucha besonders betonen. Länger schon setzt Bauer darauf, den Beruf des Allgemeinm­ediziners attraktive­r zu machen. An allen fünf medizinisc­hen Fakultäten im Land sind entspreche­nde Lehrstühle geschaffen worden – die in Heidelberg, Tübingen und Ulm sind bereits besetzt. An allen Standorten gibt es ab kommendem Winterseme­ster das Neigungspr­ofil Ländliche Hausarztme­dizin. Medizinstu­denten sollen dabei zu jeder Zeit im Studium Module wählen können, die ihnen die Arbeit als Allgemeinm­ediziner auf dem Land näher bringen sollen. Dabei sollen auch erste Bande in eine Region geknüpft werden. Um den Job als Hausarzt attraktive­r zu machen, brauche es zudem neue Arten der Gesundheit­sversorgun­g auf dem Land, so Minister Lucha. Gemeinscha­ftspraxen, Genossensc­haftsmodel­le und Versorgung­szentren sollen dabei helfen.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Im ländlichen Raum sind die Hausarztpr­axen dünn gesät.

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