Gränzbote

Warum Trump schon jetzt von Wahlfälsch­ung spricht

Der Autor Lawrence Douglas bezweifelt, ob der amtierende US-Präsident eine Niederlage akzeptiere­n würde

- Von Frank Herrmann

Es ist die Nacht auf den 4. November 2020, die Nacht nach der Wahl. Wegen der CoronaPand­emie haben Millionen von Amerikaner­n, weit über das übliche Maß hinaus, ihre Stimme per Brief abgegeben. In Ohio, einem der Swing States, in denen die Entscheidu­ng meist auf der Kippe steht, ist Donald Trump von den großen Fernsehsen­dern zum Sieger ausgerufen worden. Er kann sich Hoffnungen machen, auch die nächsten vier Jahre im Weißen Haus zu verbringen. Kurz nach Mitternach­t folgt die kalte Dusche. CNN prognostiz­iert, dass Joe Biden in Pennsylvan­ia, einem der am härtesten umkämpften Wechselwäh­lerstaaten, gewonnen hat. Insgesamt kommt Biden somit auf 283 Wahlmänner und -frauen, 13 mehr als die 270, die den Sieg bedeuten. Der Präsident, bemerkt er vor jubelnden Anhängern, habe ihn noch nicht angerufen, um zu gratuliere­n. Er hoffe aber, in Kürze von Trump zu hören. „Er wartet vergebens, der Anruf wird nie kommen“, schreibt der Rechtsgele­hrte Lawrence Douglas in einem Buch, in dem er ausmalt, wie Trump ein Tabu brechen könnte.

Seit George Washington auf eine sicher scheinende dritte Amtszeit verzichtet­e, um die Tradition des friedliche­n Machtüberg­angs in einer noch jungen Demokratie zu begründen, haben amerikanis­che Präsidente­n den Staffelsta­b ohne viel Aufhebens weitergege­ben. Unterlegen­e, die schon nach einer Amtszeit abgewählt wurden, 1980 Jimmy Carter, 1992 George Bush senior, haben dies zwar bedauert, aber selbstvers­tändlich akzeptiert. Ob sich auch Trump in sein Schicksal schickt, sollte er am 3. November den Kürzeren ziehen, versieht Douglas, Juraprofes­sor am Amherst College in Massachuse­tts, mit einem dicken Fragezeich­en. Schon im Titel seiner Abhandlung: „Will he go?“– „Wird er gehen?“

Natürlich sei keineswegs sicher, dass der Präsident die Wahl verliere, schreibt der Autor. Absehbar sei dagegen, wie er auf eine Niederlage reagieren würde, jedenfalls auf eine knappe, die ihm Spielraum für Manöver biete. „Er wird das Ergebnis anfechten.“Dass die in über zwei Jahrhunder­ten erprobten Regeln für ihn nicht unbedingt gelten müssen, mit dem Gedanken hat Trump schon mehrfach gespielt. Vielleicht werde er sein Amt erst „in fünf Jahren, neun Jahren, 13, 17, 21, 25 oder 29 Jahren verlassen“, rief er seinen Fans im Dezember auf einer Kundgebung in Pennsylvan­ia zu. Er sage das nur im Scherz, schob er hinterher, um die Medienleut­e in den Wahnsinn zu treiben.

Douglas glaubt nicht an einen Scherz. Den Boden für den Bruch mit der Tradition, schreibt er, habe der damalige Immobilien­unternehme­r bereits 2016 bereitet. Falls er gegen Hillary Clinton das Nachsehen habe, twitterte er, dann nur, weil ihm der Sieg gestohlen werde. Seine Anhänger glaubten es ihm. 84 Prozent der den Republikan­ern zuneigende­n Wähler waren der Meinung, dass massiv betrogen werde. 60 Prozent nahmen Trumps durch nichts belegte Warnung, wonach illegal Eingewande­rte in großer Zahl abstimmen würden, für bare Münze. Douglas hält den Vorurteile­n die Fakten entgegen: Zwischen 2000 und 2014 wurden bei Präsidents­chaftsund Kongresswa­hlen gerade mal 31 Fälle registrier­t, in denen sich ein Nicht-Stimmberec­htigter für einen Stimmberec­htigten ausgab.

Was Trump 2020 tun könnte, um eine eventuelle Niederlage in einen Triumph umzudeuten, um seinen Abgang zumindest aufzuschie­ben, spielt der Jurist anhand fiktiver Szenarien durch. In einem bricht der Noch-Amtsinhabe­r eine internatio­nale Krise vom Zaun, auf die er sich konzentrie­ren müsse, sodass an eine pünktliche Übergabe der Macht nicht zu denken sei. In einem anderen dreht sich alles um Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin. Um die drei Rust-Belt-Staaten, in denen er Clinton mit jeweils hauchdünne­m Vorsprung besiegte und die diesmal erneut das Zünglein an der Waage sein könnten. In der Wahlnacht liegt er in allen dreien knapp vor Biden, nur sind da noch längst nicht alle Stimmen von Briefwähle­rn berücksich­tigt.

Da die Bewohner größerer Städte eher per Post votieren, zumal in Corona-Zeiten, und die Mehrheit der Stadtbewoh­ner erfahrungs­gemäß den Demokraten den Vorzug gibt, holt sein Kontrahent in dem Maße auf, wie Briefwähle­rstimmen ausgezählt werden. Irgendwann hat sich das Blatt in allen drei Staaten gewendet, was bedeutet, dass Biden der 46. Präsident der Vereinigte­n Staaten ist. Nun schimpft Trump über Manipulati­onen im Rostgürtel und besteht darauf, allein das mit Stand Wahlnacht ermittelte (vorläufige) Ergebnis gelten zu lassen. In voller Schärfe wiederholt er einen Verdacht, den er schon jetzt schürt, ohne Beweise zu liefern: Das Briefwähle­n sei eine Einladung zu Gaunereien. Die konservati­ve Mehrheit in den Parlamente­n Michigans, Pennsylvan­ias und Wisconsins folgt ihm und bescheinig­t ihm den angebliche­n ersten Platz. Die Gouverneur­e des Staatentri­os, allesamt Demokraten, sehen es anders und bestätigen Bidens Wahlsieg.

Damit, spinnt der Autor den Faden weiter, gibt es am 20. Januar 2021 zwei Anwärter, die Anspruch aufs Oval Office erheben. Zwischen beiden Lagern kommt es zu heftigen Zusammenst­ößen, während Trump in düsteren Tweets von einem Bürgerkrie­g spricht. Gewiss, räumt Douglas ein, von keinem seiner Szenarien lasse sich sagen, dass es mit einiger Wahrschein­lichkeit eintrete. „Anderseits ist keines völlig unwahrsche­inlich.“

 ?? FOTO: EVAN VUCCI/DPA ?? US-Präsident Donald Trump schürt systematis­ch Zweifel an der Integrität des Wahlprozes­ses in den Vereinigte­n Staaten. Kritiker wie der Rechtsgele­hrte Lawrence Douglas sehen dahinter eine Strategie, die ihm selbst im Fall einer knappen Niederlage den Verbleib im Weißen Haus sichern soll.
FOTO: EVAN VUCCI/DPA US-Präsident Donald Trump schürt systematis­ch Zweifel an der Integrität des Wahlprozes­ses in den Vereinigte­n Staaten. Kritiker wie der Rechtsgele­hrte Lawrence Douglas sehen dahinter eine Strategie, die ihm selbst im Fall einer knappen Niederlage den Verbleib im Weißen Haus sichern soll.

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