Erinnerung an Opfer und Namen von Tätern
Geschichtsverein veröffentlicht Buch über verbrecherische „Gesundheits- und Fürsorgepolitik“der Nazis
LANDKREIS TUTTLINGEN - Mit einem wichtigen Thema der regionalen NS-Geschichte beschäftigt sich ein gerade erschienenes Buch, das der Geschichtsverein für den Landkreis Tuttlingen herausgibt. Es geht um die sogenannte Euthanasie, die verbrecherische „Gesundheits- und Fürsorgepolitik“der Nazis.
Schöner Tod – selten lügt ein Wort mehr als das aus dem Griechischen kommende, wörtlich übersetzte „Euthanasie“. In der NS-Zeit verband sich mit diesem Begriff der systematische Mord an „lebensunwerte Leben“im Rahmen der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“. Menschen, alte und junge, wurden unter dem Vorzeichen einer „Fürsorgepolitik“in Tötungsanstalten wie Hadamar oder Grafeneck deportiert und dort umgebracht.
Der Historiker und Archivar Nils Jannik Bambusch hat sich dieses Themas nun angenommen und setzt den Opfern damit ein Denkmal. Nach seiner historischen Auseinandersetzung nennt er die einzelnen Namen – von der Magd Walburga Aicher aus Mahlstetten bis hin zu Siegmund Rümmele aus Gottmadingen („verheiratet, röm-kath.“), der zuletzt in der „Heilanstalt“Geisingen lebte, bis er am 13. August 1940 in die Tötungsanstalt Grafeneck verlegt wurde. Der Autor lässt hier aus den anonymen Fallzahlen, aus den penibel geführten Akten die Menschen hervortreten und individuell Kontur gewinnen. Die Nazis verschonten niemanden, der nicht ihrem furchtbaren Rasse-Ideal entsprach.
Bambusch erinnert nicht nur an die Opfer, sondern nennt auch Namen von Tätern. Wilhelm Weick zum Beispiel, der gleich nach der Machtübernahme 1933 Leiter der Kreispflegeanstalt Geisingen wurde, ursprünglich eine Ordenseinrichtung, die im Dritten Reich zur EuthanasieEinrichtung wurde, von der aus mehrere Transporte etwa nach Grafeneck abgingen. Weick kam glimpflich davon, blieb bis 1948 in einem französischen Internierungslager und wurde dann freigelassen.
Oder der Trossinger Arzt Dr. Georg Sippel, Beisitzer des Erbgesundheitsgerichts Tuttlingen, der von der Spruchkammer lediglich als „minderbelastet“eingestuft wurde. Viele, schreibt der Archivar, überstanden die „Entnazifizierung so gut wie unbeschadet“. Gleichzeitig musste überlebende Opfer oder Angehörige „teils Jahrzehnte um eine Entschädigung kämpfen oder vollends schweigen.“
Diesen Schleier des Schweigens lüftet Bambusch jetzt, spät, aber nicht zu spät, auch wenn die Beteiligten mittlerweile alle gestorben sind. Sein verdienstvolles, aufwändig recherchiertes Buch ist „den Opfern zum Gedenken, der Gesellschaft zur Mahnung“gewidmet.