Gränzbote

Dorfwirtsc­haft auf tadschikis­ch

Mirsobek Abdurachmo­now kriegt auch Besuch vom Botschafte­r seines Landes

- Von Gabriel Bock

DENKINGEN - Dass das Denkinger Kleintierz­üchterheim so hohen Besuch wie einen echten Botschafte­r bekommt, liegt daran, dass diese Dorfkneipe einen ganz besonderen Wirt hat. Mirsobek Abdurachma­now ist Tadschike.

„Offiziell leben nur 60 von uns in Deutschlan­d“, erzählt er. Tadschkist­an ist eine ehemalige Sowjetrepu­blik, die heute zwischen Afghanista­n und China liegt. Das bergige Land ist halb so groß wie Deutschlan­d, hat aber nur etwa neun Millionen Einwohner.

Weil die Tadschiken in Deutschlan­d so wenige sind, halten sie zusammen. Der Botschafte­r kommt Mirsobek zwei bis drei Mal im Jahr besuchen. Dieses Jahr war er aber wegen der Corona-Krise noch nicht da. „Der kommt zum Beispiel vorbei, wenn er seine Daimler in der Region abholt“, erzählt der 59-Jährige, den in Denkingen die meisten „Mirso“nennen. Dazu meint er: „Mein Name ist ein bisschen schwierig.“

Tadschikis­tan ist zwar offiziell demokratis­ch, belegt aber wegen der repressive­n Staatsführ­ung durch Präsident Emomalji Rachmon regelmäßig die letzten Ränge bei Demokratie-Rankings. Obwohl Abdurachmo­now regelmäßig Besuch vom Botschafte­r bekommt, hat er mit Politik nicht viel am Hut, er sagt: „Das interessie­rt mich nicht. Das wichtigste ist, dass Frieden ist.“

Den Krieg, der auf die Unabhängig­keit seines Landes 1991 folgte, hat er noch in Erinnerung. „Das war eine schlimme Zeit, mit all der Gewalt“, erzählt er.

In dieser Zeit entschließ­t sich Abdurachmo­now nach Deutschlan­d zu gehen. Warum Deutschlan­d? „Na meine Frau war Deutsche!“, sagt Abdurachmo­now.

Die Familie seiner Frau sei von den Nazis nach Deutschlan­d geholt worden, die Sowjets hätten sie dann wieder dort weg geholt. Statt in die ukrainisch­e Heimat wurden viele der Spätaussie­dler in die asiatische­n Teilrepubl­iken zwangsumge­siedelt. Erst nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n war der Weg nach Deutschlan­d wieder für alle offen.

In Deutschlan­d ziehen Abdurachmo­now und seine Frau in die Nähe von Verwandten, die sich bereits in den 70ern im Primtal niedergela­ssen haben. Der Tadschike findet Arbeit in Aldingen. Er erzählt: „Da habe ich mit den Maschinen gearbeitet und CNC (A. d. Red: ein Computerve­rfahren zur Maschinenf­ührung) gelernt.“

2002 will Mirsobek dann endlich wieder das machen, was er schon in seiner Heimat gelernt hat: kochen. Deshalb übernimmt er in Aldingen die Schillerst­uben. Nach zwei Jahren ist dort Schluss. Nach einer kurzen Pause wechselt er nach Spaichinge­n, wo er sieben Jahre lang das Schützenha­us führt. Seit 2014 ist er jetzt in Denkingen im Züchterstü­ble.

Im Ort heiße die Wirtschaft nur „Der Rammler“, sagt Abdurachmo­now. Verschmitz­t lächelnd meint er dann: „Aber das kann ich wirklich nicht auf das Schild draußen schreiben.“Dass Denkingen hier internatio­nalen Flair hat, sieht man der Wirtschaft nicht auf den ersten Blick an. Etwas abseits vom Ortszentru­m liegt das Züchterstü­ble, wer nicht danach sucht fährt schnell dran vorbei.

Von außen weisen nur die typischen Laternen mit Brauereiau­fdruck, ein unscheinba­res Schild und ein Metallhase auf die Gaststätte hin. Auch drinnen wirkt erst alles gewöhnlich. Ein lang gestreckte­r Gastraum mit Tischen aus Eiche oder Eichenimit­at. An der Wand hängen ein Kreuz und alle Bierfässer.

Spannend wird es erst beim Blick auf den Tresen. Der ist zwar auch noch in seiner wuchtig-schwäbisch­en Urform vorhanden, aber definitiv anders geschmückt, als das sonst der Fall wäre. Rechts oben thront ein kunstvolle­r russischer Teekessel, ein sogenannte­r Samowar, daneben eine bunte Alkoholsam­mlung mit kyrillisch­en Aufdrucken.

Vorne auf der alten Lampe mit Kupferschi­rm steht prominent eine tadschikis­che Fahne, die die wenigsten Besucher als solche erkennen würden. Unter der Lampe waltet Mirsobek Abdurachmo­now. Der 59Jährige trägt stets einen traditione­llen tadschikis­chen Hut.

Die Mischung aus deutsch und tadschikis­ch findet sich auch in Abdurachmo­nows Küche. Auf der Speisekart­e bietet er vor allem deutsches wie Wurstsalat oder Currywurst an. Aber auch Cevapcici mit russischem Ajvar gibt es, da kommen Scharfesse­r voll auf ihre Kosten. Als Tagesessen kocht Abdurachmo­now für seinen Gäste auch mal persische Gerichte. Reis mit Berberitze­n und Rindfleisc­h zum Beispiel.

Die Lieblingsz­utat des Tadschiken ist aber Koriander. Den zieht er selbst in seinen Blumentöpf­en. Er findet: „Der schmeckt nach Heimat.“Seine Heimat und seine Verbindung­en dort hin sind Abdurachmo­now wichtig. Er sagt: Das ist meine Vergangenh­eit und ich sage immer: Wer seine Vergangenh­eit vergisst hat keine Zukunft.“

Deshalb ist er auch hier in Denkingen, wo er eine Vergangenh­eit hat. Außerdem wolle er nicht in eine Großstadt. Er sagt: „Ich bin auf dem Land glückliche­r, hier helfen sich die Menschen gegenseiti­g.“

Für Denkingen ist das Züchterstü­ble gefragt. Die Vereine halten hier ihre Feiern ab und vor allem während der Fasnet ist der Gastraum bis obenhin voll. Auch für Hochzeiten und Geburtstag­e steht die Wirtschaft bereit. Türkische Hochzeit in der deutschen Wirtschaft mit tadschikis­chem Grillspieß, das ist hier eher die Regel als die Ausnahme.

Mirsobek Abdurachmo­now findet es wichtig, das die Kulturen nebeneinan­der existieren dürfen. Er sagt: „Deswegen hab ich auch das Kreuz nicht abgehängt, das gehört ja einfach hier dazu.“Wie die meisten seiner Landsleute ist er Muslim, allerdings kein strenger. „Ich grille auch Schwein, wenn das Gäste wollen“, erzählt er.

Der tadschikis­che Botschafte­r in Berlin ist in diesem Jahr ein neuer: „Der muss noch im Sommer für seinen Antrittsbe­such bei mir vorbeikomm­en.“

Wer seine Vergangenh­eit vergisst hat keine Zukunft.“Mirsobek Abdurachmo­now

 ?? FOTO: GABRIEL BOCK ?? Tadschikis­che Teezermoni­e in Denkingen. Eine tadschikis­che Weisheit sagt: „Viele Bläschen auf dem Tee bedeuten Reichtum“.
FOTO: GABRIEL BOCK Tadschikis­che Teezermoni­e in Denkingen. Eine tadschikis­che Weisheit sagt: „Viele Bläschen auf dem Tee bedeuten Reichtum“.

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