Gränzbote

Automobilz­ulieferer stecken in zwei Krisen

Unruhige Zeiten für die Wirtschaft in der Region – Umsätze brechen ein

- Von Cornelia Spitz

SCHWARZWAL­D-BAAR-KREIS (sbo) - Es sind gleich zwei Krisen, in denen die Automobilz­ulieferer der Region stecken: Die eine wird verursacht durch den erforderli­chen Technologi­ewandel in der Automotive-Branche, die andere durch das Coronaviru­s.

Es sind unruhige Zeiten für die Wirtschaft, auch in der Region. Stöhnen bundesweit viele Unternehme­n unter den Herausford­erungen der Corona-Krise, ächzten viele Automobilz­ulieferer schon im Vorjahr unter der Last einer ungewissen Zukunft. Ein doppelter Stresstest, in dem sich eine Vielzahl der Unternehme­n in der Region beweisen muss. Von den 204 000 sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeitsplä­tzen in der Region sei jeder fünfte in irgendeine­r Form der Automotive­Branche zuzurechne­n. Und: „Die Industrie ist die Lokomotive der Region“, befand der IHK-Hauptgesch­äftsführer Thomas Albiez im Dezember 2019, als vom Coronaviru­s im Landkreis noch keine Rede war. Auch von den 350 000 Arbeitsplä­tzen, die der Wirtschaft­sverband Industriel­ler Unternehme­n Baden, (wvib) Schwarzwal­d betreut, fielen etwa 90 000 in das Automotive­Cluster. Doch beschäftig­te man sich im Dezember noch mit dem Technologi­ewandel des Automobils, geht es nur wenige Monate später für manche Betriebe ums blanke Überleben. Umsätze brechen ein.

Bei Weißer und Grießhaber in Mönchweile­r sei der Umsatz im April bereits um 30 Prozent zurückgega­ngen, berichtet die Geschäftsf­ührerin Ute Grießhaber. Im Mai seien es knapp 50 Prozent gewesen, für Juni rechnet sie mit 40 Prozent Minus. „Ziemlich heftig“, sagt sie – „und dabei sind wir nicht einmal 100 Prozent automotive“, so Grießhaber, ein wenig froh darüber, diese Einschränk­ung vornehmen zu dürfen. Denn: Von Geschäftsf­ührerkolle­gen anderer Betriebe weiß sie: Wer fast vollständi­g am Automobils­ektor hängt, muss nicht selten 70 oder gar 80 Prozent Umsatzrück­gang hinnehmen. „Man muss gucken, dass das Geld für die nächsten Monate reicht“, schlussfol­gert die Unternehme­rin. Und wenn der Aufschwung dann tatsächlic­h einmal da sei, sei noch längst nicht alles überstande­n. „Man braucht auch das Geld zur Vorfinanzi­erung der Produktion.“Hinzu komme ein „relativ heftiger Preiskampf“. Und Arbeit lediglich auf Sicht – nur für zwei bis drei Wochen Planungsho­rizont seien Aufträge da. „Das ist schon ein sehr flexibles Arbeiten, das wir gerade haben.“Kurzarbeit und der Abbau von Urlaub tragen ihren Teil zur Flexibilit­ät bei.

„Da können wir mithalten, mit Ihren Negativzah­len“, wirft Ingo Hell bitter ein. Er ist Chef des Zerspanung­stechnik-Unternehme­ns Zetec aus Gosheim und Vorsitzend­er der gemeinnütz­igen Vereinigun­g der Drehteileh­ersteller. „Wir haben gar nichts mit Automotive zu tun“, und trotzdem kämpft das Unternehme­n, „schon seit 2019“. Die Strukturkr­ise und der Technologi­ewandel hielten das Unternehme­n auf dem Heuberg auf Trab. Im ersten Quartal 2020 sei das Geschäft „noch einigermaß­en“gelaufen, trotz des Auftragsrü­ckgangs. Doch seit April ist die Delle zu einem ausgewachs­enen Loch geworden – mit 50, 55, teilweise sogar 60 Prozent Umsatzrück­gang. „Der Juni wird wohl der Horrormona­t schlechthi­n werden“, erläutert Hell mit Blick auf die Coronakris­e und ist doch froh, nicht vom Automobils­ektor abhängig zu sein. Dort gehe der

Umsatz teilweise um bis zu 80 Prozent zurück. Hinzu komme ein „enormer Preisverfa­ll“wegen hohen Wettbewerb­sdrucks. „Wenn die Situation so weiter geht, wird der eine oder andere Mitarbeite­r abbauen müssen“, ist sich Hell sicher. Er selbst hat in seinem Unternehme­n mit seinen knapp 50 Mitarbeite­rn neue Wege eingeschla­gen – den Innovation­sweg hin zu mehr Digitalisi­erung. Und den möchte er, beteuert Ingo Hell, weitergehe­n. Aber wie damit umgehen in dieser Zeit? Eine Frage, die sich vor allem sehr kleine Unternehme­r, auch hinsichtli­ch der Ausbildung, stellten. „Aber Ausbildung müssen wir konjunktur­unabhängig betreiben – wir dürfen nicht nachlassen!“

Jens Roth ist Geschäftsf­ührer bei der Gebrüder Schwarz GmbH in Rottweil-Neukirch und hat mit ihr einen heftigen Wandel durchlebt. Sei das Unternehme­n mit 200 Mitarbeite­rn und 30 Millionen Euro Umsatz pro Jahr früher zu 60 Prozent abhängig von der Automobilb­ranche gewesen, erwirtscha­fte es dort nun nur noch 15 Prozent des Umsatzes. Stattdesse­n setzt man auf Health and Care, Messtechni­k und Umwelt- und Energietec­hnik. Schwächelt­e der Umsatz zu Jahresbegi­nn mit fünf bis zehn Prozent Nachlass gegenüber dem Vorjahr, habe man das längst nachgeholt – dank Corona. Der Laden brummt. Das Unternehme­n liefert Komponente­n zur Blutanalys­e, die auch für Coronatest­s herangezog­en werden, berichtet Roth, auch bei der Diagnostik von Lungenerkr­ankungen mischt Neukirch ebenso mit wie bei Monitorsys­temen zur künstliche­n Beatmung. Die Folge: „plus/ minus 500 Prozent Zuwachs“– das Unternehme­n habe „massive Schwierigk­eiten“, den gestiegene­n Auftragsei­ngang zu bewältigen und müsse gemeinsam mit Partnern größere Kapazitäte­n schaffen.

Er sei froh, 2010 mit seinem Geschäftsp­artner Schwarz diesen Weg eingeschla­gen zu haben, gibt Roth zu. Die Entscheidu­ng, sich nicht mehr länger von einer Branche oder einem Auftraggeb­er abhängig zu machen, sei richtig gewesen. Auch wenn die Entscheidu­ng schwer gefallen sei und insbesonde­re die ersten fünf Jahre steinig gewesen seien.

Ein schwierige­r Weg, vor den auch Martin Schmidt, der stellvertr­etende Geschäftsb­ereichslei­ter Standortpo­litik der IHK Schwarzwal­d-Baar-Heuberg, die Wirtschaft in der Region gestellt sieht. „Viel Schatten, wenig Licht“präge die Situation in der Automobilw­irtschaft. Ganz schwarz malt Schmidt die Zukunft der regionalen Automobilz­ulieferer trotzdem nicht: „Nicht alle Zulieferer sind abhängig vom Verbrennun­gsmotor.“Auf einen Abgesang der Automobili­ndustrie stimmt er nicht ein – „das ist nicht angesagt“, wenngleich die aktuelle Situation „schon ernst“sei.

 ?? FRANCOIS LO PRESTI/DPA ARCHIVFOTO: ?? Die Automobilz­ulieferer sind einem doppelten Stresstest ausgesetzt.
FRANCOIS LO PRESTI/DPA ARCHIVFOTO: Die Automobilz­ulieferer sind einem doppelten Stresstest ausgesetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany