Gränzbote

Thierry Muglers

Mix aus Haute Couture und Sex in der Kunsthalle München

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Letzte Woche ging es hier kurz um eine alte Redensart: auf dem Quivive sein, sprich: auf der Hut sein. Weil ihr Hintergrun­d weniger bekannt sein dürfte, legen wir nach.

Wenn jemand im Frankreich der frühen Neuzeit ein Stadttor passieren wollte, so fragte ihn die Wache: Qui

vive? (Wer soll hochleben?) Und die richtige Antwort war dann: Vive le

roi! (Es lebe der König!). Entschiede­n brisanter wurde dieser Dialog zu Zeiten der Revolution. Da war jeder gut beraten, lauthals Vive la révolution! zu rufen. Meldete sich einer nach 1789 dagegen noch mit Vive le

roi!, so konnte das schon der erste Schritt sein auf dem Weg zur Guillotine. Es war also ratsam, vorsichtig zu sein, wachsam und nicht zuletzt gut informiert – eben auf dem Quivive.

Beim Thema Volksaufst­ände in Frankreich gerät auch eine andere Redensart ins Blickfeld: auf die Barrikaden gehen. Unser Fremdwort ist vom französisc­hen barricade abgeleitet, wie man dort schon im 16. Jahrhunder­t für einen Schutzwall zur

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Verteidigu­ng sagte. Erstmals gebraucht wurde das Wort wohl in den französisc­hen Religionsf­ehden zwischen Katholiken und Hugenotten um 1588. Seither taucht es bei allen Rebellione­n in unserem Nachbarlan­d auf – vom Bürgerkrie­g der Fronde nach 1648 über die Revolution­en von 1789, 1830, 1848 und den Aufstand der Commune von 1871 bis zu den Gelbwesten-Unruhen der letzten Zeit. In Deutschlan­d wurde das Wort während der März-Revolution von 1848 populär. Da errichtete­n die damaligen Wutbürger aus Protest Straßenspe­rren gegen die Staatsgewa­lt, auf die sie dann auch kletterten und ihrerseits zum Angriff bliesen. Sie gingen also auf die Barrikaden.

Und woher kommt das Wort Barrikade? Ganz einfach: Als Weinfreund muss man nur an Fässer aus Eichenholz denken, in denen ein edler Tropfen mit besonderem Aroma heranreift –ein Barrique-Wein. Barrique heißt auf Französisc­h Fass. Und weil die streitbare­n Geister links des Rheins für ihre Schutzwäll­e mit Steinen und Erde gefüllte Fässer aufeinande­rstapelten, nannten sie sie diese barricades.

Bei der martialisc­hen Note dieser Glosse bietet sich ein weiteres Wort an: Kartätsche. Dieser Begriff für ein besonders perfides Geschoss hängt zusammen mit unserem Wort Kartusche (Patronenhü­lse), das wir ebenfalls aus dem Französisc­hen geerbt haben. Ursprung für Kartätsche und

Kartusche ist aber italienisc­h cartaccia (grobes Papier) oder cartuccia (Papprolle). Die wohl um 1450 in Italien erfundene Kartätsche bestand aus einem Pappzylind­er, der mit Steinen oder Bleikugeln gefüllt und auf den Feind abgefeuert wurde. Später stellte man sie aus Blechzylin­dern statt Papphülsen her und füllte auch Eisensplit­ter sowie Schießpulv­er hinein – kurz: eine widerwärti­ge Waffe. Damit sind wir noch einmal im Jahr 1848. Damals plädierte der spätere Kaiser Wilhelm I. während besagter Revolte dafür, das Militär aus der Stadt abzuziehen und die Barrikaden-Berliner von außen mit Kartätsche­n sturmreif zu schießen. Deswegen wurde er spontan Kartätsche­nprinz genannt, was seine Sympathiew­erte rapide sinken ließ und wiederum seinen älteren Bruder, König Friedrich Wilhelm IV., bewog, ihn schleunigs­t nach England zu schicken, bis sich der kochende Volkszorn gelegt hatte.

Bei der Kaiserprok­lamation von 1871 in Versailles wurde ihm dann wieder zugejubelt – und die Franzosen kochten vor Zorn.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg G» r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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