Gränzbote

Tausende demonstrie­ren gegen Rassismus

Proteste auch hierzuland­e – In den USA stirbt erneut ein Schwarzer bei einem Polizeiein­satz

- Von Rachel Boßmeyer

ATLANTA/BERLIN (dpa) - Der neuerliche Tod eines Schwarzen nach einem Polizeiein­satz im US-Bundesstaa­t Georgia hat die Proteste gegen Rassismus und Polizeigew­alt in den USA befeuert. In der Nacht auf Sonntag stand ein Schnellres­taurant in der Hauptstadt Atlanta in Flammen, nachdem am Freitagabe­nd ein weißer Polizist den 27-jährigen Rayshard Brooks niedergesc­hossen hatte. Nach Medienberi­chten wurden mindestens 36 Menschen bei Protesten festgenomm­en. Weltweit demonstrie­rten derweil am Samstag und Sonntag Tausende gegen Rassismus

– auch in Deutschlan­d. In Großbritan­nien kam es zu Krawallen.

Anlass der Proteste ist der Tod des Afroamerik­aners George Floyd bei einem brutalen Polizeiein­satz am 25. Mai in Minneapoli­s. Seitdem gibt es in den USA eine hitzige Debatte über Polizeigew­alt und Rassismus. Dass es nun in Atlanta weniger als 24 Stunden nach dem Vorfall bereits personelle Konsequenz­en gab, dürfte exakt damit zu erklären sein: Polizeiche­fin Erika Shields trat zurück, der Beamte, der geschossen hatte, wurde entlassen. Bürgermeis­terin Keisha Lance Bottoms hatte dies zuvor gefordert und offen Zweifel an der Verhältnis­mäßigkeit des Polizeiein­satzes angemeldet: „Ich glaube nicht, dass dies eine gerechtfer­tigte Anwendung tödlicher Gewalt war.“

In Deutschlan­d gab es am Wochenende bundesweit­e Kundgebung­en gegen Rassismus. In Berlin kamen am Sonntag mehrere Hundert Menschen unter dem Motto #SogehtSoli­darisch zusammen, um ein „Band der Solidaritä­t“– eine Menschenke­tte – zu bilden. Auch in anderen Städten wie Leipzig und Hamburg gab es Protestver­anstaltung­en. Im Südwesten hatten bereits am

Samstag mehrere Tausend Menschen friedlich gegen Rassismus demonstrie­rt. In Stuttgart versammelt­en sich am Samstag etwa 2000 Menschen auf dem Cannstatte­r Wasen, auch in Ulm waren es nach Polizeiang­aben etwa 2000. In Konstanz und Ravensburg kamen jeweils mehrere Hundert Menschen zusammen.

In London versammelt­en sich am Samstag zahlreiche Menschen zu einem Gegenprote­st gegen eine AntiRassis­mus-Kundgebung. Hunderte Rechtsextr­eme zogen zum Parlament, um Statuen vor möglichen Angriffen zu schützen.

BERLIN (dpa) - Vor dem Hintergrun­d der Rassismusd­ebatte werden in anderen Ländern Kolonialde­nkmäler gestürzt – auch in Deutschlan­d gibt es Kritik an solchen Statuen. Aus Sicht der Initiative Berlin Postkoloni­al ist es mit einem bloßen Abbau von Denkmälern mit kolonialem Bezug in Deutschlan­d aber nicht getan. „Kolonialde­nkmäler sollten nicht einfach abgeräumt werden“, sagte Sprecher Christian Kopp. Konstrukti­ver wäre es aus seiner Sicht, Kunstschaf­fende zum Beispiel aus ehemaligen Kolonien dazu einzuladen, die Wirkung der Statuen zu brechen, Gegendenkm­äler zu entwickeln oder sie zu verfremden.

Kritische Infotafeln reichten nicht aus, sagte Kopp. Berlin Postkoloni­al setzt sich auch für die Umbenennun­g von Straßen in Berlin ein, die Kolonialis­ten gedenken.

Eine Statue von Hermann von Wissmann in Bad Lauterberg im Harz, eine Büste von Gustav Nachtigal in Stendal, die ehemalige LettowVorb­eck-Kaserne in Hamburg – sie alle ehren Menschen, die in der Kolonialze­it an Verbrechen beteiligt waren. In anderen Ländern hat sich nach dem gewaltsame­n Tod George Floyds in den USA die Wut über Rassismus an solchen Denkmälern Luft gemacht: In den USA, in Großbritan­nien und in Belgien etwa wurden in den vergangene­n Tagen Denkmäler von Persönlich­keiten aus der Kolonialze­it gestürzt oder beschmutzt.

Deutschlan­d eignete sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien an. Es verfügte damit über das viertgrößt­e koloniale Gebiet. Die gewaltvoll­e Herrschaft der Deutschen führte zu Aufständen und Kriegen. Während des Herero-undNama-Kriegs von 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafr­ika begingen die Kolonialmä­chte einen Massenmord, der als erster Genozid des 20. Jahrhunder­ts gilt. Auch im Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1908 im damaligen Deutsch-Ostafrika töteten sie Hunderttau­sende. Mit der Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg wurden ihre Kolonien unter den Siegermäch­ten aufgeteilt.

Wie ein reflektier­ter Umgang mit Persönlich­keiten der Kolonialge­schichte gelingen könnte, wird etwa in Hamburg diskutiert. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne stehen Büsten deutscher Kolonialis­ten, auch Häuser sind nach ihnen benannt. Neben dem Namensgebe­r des Geländes, Paul von Lettow-Vorbeck, sind auch Lothar von Trotha und Hermann von Wissmann darunter. Sie alle waren an der blutigen Niederschl­agung von Aufständen in den damaligen Kolonien beteiligt.

Ein Sprecher der Behörde für Kultur und Medien Hamburg sagte, die Büste von Trothas auf dem einstigen Kasernenge­lände werde mit einer Erklärtafe­l in einen Kontext gesetzt, was aber auf keinen Fall ausreiche. Man könne nun entweder alles in die Elbe werfen oder die Geschichte auch für künftige Generation­en in Erinnerung behalten. „So wie es da jahrzehnte­lang war, darf es auf keinen Fall bleiben.“Künftig sollten die

Orte als Mahnmale dienen. Auch in Hannover und Bremen wurden Kolonialde­nkmäler umgewidmet.

Die AfD äußerte sich mit Blick auf den Sturz von Statuen im Ausland kritisch. Der Vorsitzend­e der AfDFraktio­n im Deutschen Bundestag, Alexander Gauland, sprach von einem „ideologisc­h gefährlich verengten Geschichts­bild“. „Versuche, ein von allen störenden Aspekten bereinigte­s Geschichts­bild durchzuset­zen, kannte man bislang nur aus totalitäre­n Systemen“, erklärte Gauland. „Das heißt nicht, dass die Personen, an die mit einem Denkmal erinnert wird, nicht kritisiert werden dürfen.“

Berlin Postkoloni­al setzt sich seit Jahren dafür ein, auch Straßen umzubenenn­en, die Kolonialis­ten gedenken. Bundesweit gibt es etwa 20 solcher Gruppen. „Mit der Initiative wollten wir an konkreten Beispielen eine breite und kritische gesellscha­ftliche Debatte zum Kolonialis­mus anstoßen, eine Diskussion, an deren Ende unserer Meinung nach nur Umbenennun­gen stehen können“, sagte Kropp von Berlin Postkoloni­al.

Kolonialge­schichte aus dem öffentlich­en Raum tilgen wolle man aber gerade nicht. „Bei Straßenumb­enennungen setzen wir uns für den Erhalt des kolonialhi­storischen Bezugs durch die Ehrung von Menschen aus dem Widerstand gegen den deutschen Kolonialis­mus ein.“

Politologi­n Nikita Dhawan von der Universitä­t Gießen sagte, mittlerwei­le gebe es mehr und mehr Anstrengun­gen, das koloniale Erbe anzusprech­en. Sie mahnte aber: „Wir sollten nicht eine Statue oder einen Straßennam­en entfernen und dann denken, dass wir den Prozess der Dekolonisi­erung beendet haben.“

Eine gründliche Aufarbeitu­ng fordert auch die Kulturhist­orikerin Britta Schilling von der Universitä­t Utrecht. „Der Deutsche Kolonialis­mus wurde weitergege­ben wie ein seltsames Erbstück, bei dem viele nicht wissen, ob sie es ausstellen oder diskret in den Müll werfen sollen“, sagte Schilling. Es müssten etwa auch geplündert­e Kunstgüter zurückgege­ben werden. „Straßennam­en und Denkmäler sind nur die Spitze des Eisbergs.“

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FOTO: FRANCISCO SECO/DPA Ein Arbeiter reinigt eine Bronzefigu­r des belgischen Königs Leopold II. in Brüssel, die zuvor von Demonstran­ten beschmiert wurde. Sie fordern, dass das Reiterstan­dbild von Leopold II. aufgrund seiner Nähe zu kolonialis­tischen Ideen entfernt wird.

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