Hitlergruß für Churchill
Nach Ausschreitungen in London nimmt die Polizei Rechtsradikale in Gewahrsam – Sie wollten Statuen schützen
LONDON - Gewalttätige Ausschreitungen auf den Straßen und schwere Versäumnisse im Kampf gegen das Coronavirus – die konservative Regierung von Premier Boris Johnson stand nach einem schwierigen Wochenende unter Druck aus der eigenen Partei, von Opposition und Medien. Am Samstag nahm die Londoner Polizei mehr als 100 Rechtsradikale fest, die im Zentrum der Hauptstadt randaliert hatten. Führende konservative Hinterbänkler und Kommentatoren fürchten, Johnson habe die Lage auf der Insel „nicht richtig im Griff“.
Am Tag danach zeugten nur noch die Metallkäfige um drei Statuen am Parliament Square von den blutigen Auseinandersetzungen, bei denen sechs Polizisten verletzt wurden. Die
Rechtsradikalen begründeten ihre Randale mit Empörung über die jüngsten Angriffe auf Denkmäler in diversen britischen Städten.
Vor Wochenfrist hatten Aktivisten im westenglischen Bristol die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston (1636-1721) im Hafen versenkt. Am Rande einer Kundgebung in London versuchten Protestierer vergeblich, eine britische Fahne vor dem Kriegerdenkmal Cenotaph anzuzünden. Auf dem Parliament Square erhielt die Statue von Kriegspremier Winston Churchill (1874-1965) den Graffiti-Zusatz „was a racist“(war ein Rassist).
Diese Sachbeschädigung erzeugte eine besondere Erregung. „Wir wollen linksradikale Rowdys daran hindern, unsere Denkmäler niederzureißen“, teilte Paul Golding von der Rassistengruppe Britain First mit. Die Zusammenrottung ähnelte über weite Strecken einem Hooligan-Ausflug: Bereits mittags stark angetrunkene weiße Männer skandierten „England“und grölten „Rule Britannia“; einige zeigten den Hitlergruß.
Im Vorfeld der Demonstration hatte die Stadtverwaltung nicht nur Churchills Statue in einen Metallkäfig gekleidet; geschützt wurden auch
Denkmäler für Mahatma Gandhi (1869-1948) und Nelson Mandela (1918-2013), die zu Angriffszielen hätten werden können.
Schon vergangenes Wochenende war es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten, Black-Lives-Matter-Aktivisten und Rechtsextremen gekommen. Der Großteil der Demonstrationen verlief aber friedlich. In Bristol warfen Demonstranten die Statue eines Sklavenhändlers aus dem 17. Jahrhundert ins Hafenbecken. Premierminister Boris Johnson hatte am Freitag gesagt, die Proteste seien „von Extremisten übernommen worden“, und er nannte den Angriff auf Statuen „beschämend“.
Die britischen Medien von Rechts (The Spectator) bis Links (New Statesman) machen Johnsons Regierung indes Vorhaltungen: „Könnte besser laufen“, lautet der Tenor.