Die unfreundliche Schwester des Diktators
Nach Drohungen Nordkoreas gegen den Süden wachsen Spekulationen um Kim Jong-un
TOKIO/SEOUL - Nordkorea feuert eine neue Breitseite in Richtung Süden. Obwohl Seoul die jüngsten Flugblattaktionen nordkoreanischer Emigranten an der Staatsgrenze bei Strafe bereits vor Tagen verboten hat, drohte das Regime am Sonntag mit Vergeltung. „Ich spüre, es ist höchste Zeit, mit den südkoreanischen Behörden zu brechen“, sagte die Schwester des Diktators Kim Jong-un, Kim Yo-jong. Und fügte hinzu, die „nächste Aktion gegen den Feind wird dem Generalstab unserer Armee anvertraut.“Soll das Krieg bedeuten?
Ein paar Ballons mit Kritik an der kommunistischen Führung in Pjöngjang und der katastrophalen Versorgungslage in Nordkorea können dafür kaum ausreichen. Zumal niemand weiß, ob die Flugblätter im Norden überhaupt das Volk erreicht haben.
Nordkoreas Regime befindet sich in einem Dilemma ohne erkennbaren Ausweg. Der Gesprächsfaden mit USPräsident Donald Trump ist gerissen, die internationalen Sanktionen schmerzen ökonomisch – zumal sie das Land in der kritischen Zeit nach dem Winter und vor der nächsten Ernte treffen. Und auf Seoul kann Pjöngjang kaum noch zählen.
Derzeit scheint ein Grundsatz nordkoreanischer Politik zu brechen. Die Beziehungen zum Süden waren in Pjöngjang immer Chefsache. Der Abbruch aller Kontakte und Drohungen können normalerweise nur direkt von Kim Jong-un angewiesen werden. Schon die Entscheidung, jede Kommunikation mit Südkorea zu kappen, soll angeblich bei einem Treffen mit dem Diktator gefallen sein. Wann dies geschehen ist, sagt die Propaganda entgegen aller Gewohnheit nicht. Die neuerliche verbale Eskalation passt auch nicht in den Plan. Eigentlich wollte Machthaber Kim in diesem Jahr zu seinem ersten und damit „historischen“Staatsbesuch nach Seoul reisen. Davon war seit seinem plötzlichen, wenn auch vorübergehenden Verschwinden nicht mehr die Rede. Die Spekulationen über den angeschlagenen Gesundheitszustand des Diktators wollen nicht verstummen.
Und so steht ein weiteres Problem an der Staatsspitze. Neuerdings spricht fast ausschließlich Kim Yojong, die jüngere und einflussreiche Schwester Kims. Sollte er als Machthaber ausfallen, kann die Familiendynastie nur die 32-Jährige ins Feld führen. Das hätte jedoch zwei Nachteile für die Familie. Zum einen ist Kim Yojong sehr jung, zum anderen hätte sie es in der chauvinistischen und militaristischen Gesellschaft Nordkoreas schwer. Kim Yo-jong muss sich profilieren, wenn sie als Nachfolgerin infrage kommen will. Also zeigt sie Härte gegenüber dem Feindbild aus dem Süden, ohne das ein Regent in Pjöngjang keine Macht ausüben kann.
Dass Kim Yo-jong als erste Diktatorin bald an der Spitze einer unberechenbaren Atommacht steht, sei sehr wahrscheinlich, mutmaßte der amerikanische Korea-Experte Michael Madden unlängst in der „Financial Times“. Seit ihrer Jugend sei das Lieblingskind des früheren Diktators Kim Jong-il darauf vorbereitet worden. Derzeit ist sie im Parteiapparat VizeDirektorin für Propaganda, zuständig also für den Personenkult um ihren Bruder Kim Jong-un, dessen Staatstermine sie plant und zumeist auch daran teilnimmt.
Die jüngsten Drohungen sendete Frau Kim im Duett übrigens mit dem bislang eher unauffälligen Kim Yongchol, dem Vizevorsitzenden des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der Werktätigen Nordkoreas – der eigentlich dem Diktator hörig ist. In Seouler Regierungskreisen fragt man sich beunruhigt, ob das das Anzeichen einer Machtverschiebung in dem Systemapparat sind.
Freundlicher ist das Regime dadurch nicht geworden. Kim Yo-jong nennt Südkoreaner ohne jede diplomatische Rücksicht „menschlichen Abschaum“, „ekelhaftes Gesindel“oder auch „Straßenköter“. In Ostasien wächst die Sorge, dass Nordkorea einen bewaffneten Konflikt provoziert.