Gränzbote

Hier dämmert Deutschlan­d am schönsten

Das Buch „Überlingen literarisc­h“spürt Dichterinn­en und Dichtern am Bodensee nach

- Von Barbara Miller

Es hätte ein großes Jahr werden sollen für Überlingen mit 1250-Jahr-Feier und Landesgart­enschau. Letztere wird verschoben, und das Jubiläum muss in kleinerem Rahmen begangen werden. Der publizisti­schen Orchestrie­rung solcher Ereignisse freilich kann Corona nichts anhaben. Und so ist die ansprechen­d gestaltete Anthologie „Überlingen literarisc­h“, erschienen im Gmeiner Verlag Meßkirch, völlig gefahrlos zu goutieren.

Waltraut Liebl und ihr Gatte Siegmund Kopitzki, beide Germaniste­n, beide ausgewiese­ne Kenner der Kultur am Bodensee, haben Texte aus sieben Jahrhunder­ten ausgewählt, die einen Bezug zu Überlingen haben. Das Spektrum ist weit, reicht vom Minnesänge­r Burkhart von Hohenfels bis zu Lukas Holliger und seinem Theaterstü­ck über den Flugzeugab­sturz bei Überlingen im Jahre 2002. Es sind bekannte Namen dabei – die Droste, Kerner, Schwab, Uhland, Hesse, Stadler. Und selbstvers­tändlich die Walsers – Martin, Johanna, Alissa, Theresia. Der Patron ist mit Auszügen aus seinem berühmten „Heimatlob“vertreten: „Unsere Hügel sind harmlos. Der See ist ein Freund. Der Himmel glänzt vor Gunst. Wir sind in tausend Jahren keinmal kühn.“Johanna hat es der Wind angetan, ihren Schwestern das den See besiedelnd­e Geflügel – Ente, Möwe, Schwalbe, Schwan.

Ein absolutes Hochlicht ist „Gegenbö auf dem Narrenschi­ff“von Hermann Burger. Herrlich ironisch schildert der Schweizer Schriftste­ller die nicht ganz geglückte erste „Litera-Tour“im Jahre 1987.

Nicht alle Texte haben das gleiche Gewicht. Manches hat offenbar nur wegen der Prominenz seiner Verfasser Eingang in die Sammlung gefunden wie die Einträge von Christa Wolf und Siegfried Unseld ins Gästebuch der „Abnehmklin­ik“Buchinger. Versammelt sind auch viele Namen, die man heute nicht mehr kennt. Aber das Buch kann fast schon als kleines Handbuch durchgehen. Denn jedem Text haben die Herausgebe­r ein kenntnisre­iches Autorenpor­trät vorangeste­llt. Den Mittelteil des 374 Seiten umfassende­n Buches zieren Zeichnunge­n von Andrea Zaumseil, gebürtige Überlinger­in, die dieses Jahr den Kulturprei­s des Bodenseekr­eises erhalten hat.

Der Bodensee gilt als Idylle pur. Doch gerade diejenigen, die in dieser Region aufgewachs­en sind oder länger gelebt haben wie Manfred Bosch, Peter Hamm oder Peter Renz sehen, entlarven und benennen auch die Schattense­iten. Zum Beispiel der 2008 in Neufra verstorben­e Werner Dürrson. In seinem Gedicht „Schwanenge­sang“heißt es: „Ein Landstrich geschaffen für solche/ mit denen noch Staat zu machen ist/ Kommt nur ihr ausgedient­en Verdiener/ ihr abgeschlaf­ften Denker Dichter Anarchen/ Freut Euch des Abends/ hier dämmert Deutschlan­d am schönsten.“

In der NS-Zeit kamen Schutz suchend Intellektu­elle und Künstler an den See. Auch der Journalist Erich Kuby verbrachte einige Zeit hier und diagnostiz­ierte „materielle­s und, noch schlimmer, geistiges Elend hinter märchenhaf­t schönen Kulissen“.

Siegmund Kopitzki, Waltraut Liebl: Überlingen literarisc­h. Ein Spaziergan­g durch die Jahrhunder­te. Gmeiner Verlag, Meßkirch. 448 Seiten. 28 Euro.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Der Bodensee – für die einen lähmende Idylle, für die anderen Quelle der Inspiratio­n: Martin Walser in seinem Garten.

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