Tuttlinger Händler sehen Mehrwertsteuersenkung kritisch
Sie beklagen den großen bürokratischen Aufwand, den die Maßnahme mit sich bringt
TUTTLINGEN - Zum 1. Juli will die Bundesregierung die Mehrwertsteuer vorübergehend senken. Die deutsche Wirtschaft soll dadurch in Zeiten des Coronavirus wieder angekurbelt werden. Doch Einzelhändler aus Tuttlingen sehen die Maßnahme kritisch. Für sie bringt die Mehrwertsteuersenkung einen hohen bürokratischen Aufwand mit sich.
Claudia Diener ist skeptisch. Die Inhaberin des Damenmodegeschäfts „Elfenreich“in Tuttlingen glaubt nicht, dass die geplante Mehrwertsteuersenkung der Bundesregierung ihr mehr Kunden bescheren wird. „Solange die Maskenpflicht besteht, gehen die Menschen ungern einkaufen“, erzählt sie von ihren Erfahrungen aus den vergangenen Wochen.
Eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent (für den ermäßigten Satz von sieben auf fünf Prozent), wie ihn die Bundesregierung ab Juli einführen will, wird ihrer Meinung nach daran wenig ändern. Eher bringt die auf ein halbes Jahr befristete Maßnahme für sie und andere Einzelhändler aus Tuttlingen
mehr bürokratischen Aufwand mit sich.
„Meine Kasse muss komplett umprogrammiert, jede Ware neu etikettiert werden“, sagt Diener. Wie das in einer Nacht- und Nebelaktion geschehen soll, wisse sie noch nicht. Denn ab dem 30. Juni müssen die Händler die Mehrwertsteuersenkung umsetzen, damit sie zum 1. Juli in Kraft treten kann. Bislang habe sie noch keine Information erhalten, wie das ablaufen soll, sagt Diener am Mittwoch vergangener Woche.
Auch Niko Wirth vom Reformhaus Wirth in Tuttlingen sieht die Mehrwertsteuersenkung kritisch. „Im Prinzip stehe ich nicht gut dazu“, sagt er. „Für uns ist das ein Riesenaufwand, die Etiketten neu zu bedrucken. Ich bin nicht sicher, ob es da nicht eine bessere Lösung gegeben hätte.“
Vor ähnlichen Problemen wie das Reformhaus steht auch die Meisterbäckerei
Schneckenburger. „Genau können wir den Aufwand für unser Unternehmen noch nicht abschätzen. Wir gehen aber davon aus, dass uns durch die Senkung der Mehrwertsteuer Kosten von mindestens 10 000 Euro entstehen werden“, sagt Geschäftsführer Marc Schneckenburger. Unter anderem müssten die Buchhaltung, Verwaltungstätigkeiten und -systeme neu angepasst werden. Schneckenburgers Fazit daher: „Die Senkung macht sicher Sinn, um von der Coronapandemie gebeutelten Unternehmen einen Teil der hohen Umsatzausfälle auszugleichen. Für unsere Branche gilt jedoch, dass der Verbraucher den ausgefallenen Konsum von Brot, Brötchen, Kuchen, Snacks und Heißgetränken nicht mehr nachholen kann. Die Mehrwertsteuersenkung steht daher nicht im Verhältnis zum hohen bürokratische Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.“
Ihm zufolge wäre eine längerfristig angelegte Maßnahme besser geeignet, um mehr Kunden zum Kauf anzuregen und dadurch den Unternehmen zu helfen – beispielsweise eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags.