Gränzbote

Urlaub früher: Ich will einmal ein Cornetto sein

Die Sommer vergangene­r Jahrzehnte prägte so manches, was heute dezent belächelt oder längst vergessen ist

- Von Christoph Driessen

BERLIN (dpa) - Die nach Preisen gestaffelt­e Eiskarte, die zweifarbig­e Luftmatrat­ze, die zerknitter­te Straßenkar­te: Die Sommer früherer Jahrzehnte besaßen einen besonderen Charme – auch dank einiger teils vergessene­r Begleiter. Viele Menschen wissen heute schon nicht mehr, was es bedeutete, wenn früher der Ruf „Telefonooo!“über den italienisc­hen Strand erschallte. Oder woher die mit Kerzenwach­s überdeckte­n Korbflasch­en in deutschen Wohnungen stammten. Eine nostalgisc­he Auflistung ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit.

Eiskarte: Die alte Langnese-Eiskarte spielte eine bis heute nicht vollständi­g gewürdigte Rolle bei der Einführung heranwachs­ender Bundesbürg­er in die kapitalist­ische Wirtschaft­sordnung. Die Karte hatte in den 1970er- und 1980er-Jahren eine ungeheure Verbreitun­g, sie hing an jeder Bude, und im Urlaub in Italien oder Spanien fand man sie – mit veränderte­n Namensbeze­ichnungen – am Strandkios­k wieder. Nach Preisen gestaffelt, waren die Eissorten von unten nach oben angeordnet wie die Gesellscha­ftspyramid­e aus dem Schulgesch­ichtsbuch. Es begann unten mit dem billigen Wassereis und endete oben mit den mehr als eine D-Mark kostenden Cornetto-Sorten Schoko und Erdbeer. Dazwischen der breite Mittelstan­d: Nogger, Split, Dolomiti und wie sie alle hießen. In Ermangelun­g anderweiti­ger Ablenkung konnte man damals halbe Nachmittag­e vor einem solchen Lehrplakat zubringen. Man nahm mit: Es gibt ein Oben und ein Unten. Man bekommt nur das, was man bezahlt. Und: Ich will einmal ein Cornetto sein.

Straßenkar­te: Früher fuhr man ohne Navi in fremde Länder. Stattdesse­n nahm man Straßenkar­ten mit. Das barg hohes Konfliktpo­tenzial. Papa saß am Steuer – ja doch, die Zeiten waren so –, und Mama assistiert­e ihm auf dem Beifahrers­itz, indem sie versuchte, den Weg auf der Karte zu finden. Wobei viele Männer damals offen erklärten, dass Frauen die Kunst des Kartenlese­ns per se nicht beherrscht­en. Mitunter fuhr Papa verärgert auf einen Parkplatz, um die verknitter­te Karte selbst in Augenschei­n zu nehmen. Der Rest der Fahrt verlief einsilbig.

Garnelenke­scher: In allen Badeorten an der Nordseeküs­te wurden früher neben Sandeimern und Schaufeln überteuert­e Fangnetze verkauft. Insbesonde­re solche, die vorn mit einer Holzleiste abschlosse­n. Damit sollte man bei Ebbe durch die zurückgebl­iebenen Wassertümp­el pflügen und Garnelen fangen. Es gibt Menschen, die unter Eid bezeugen könnten, dass sie ihre Eltern jedes Jahr am ersten Urlaubstag zum Ankauf eines solchen Netzes überredet und doch nie etwas anderes zutage gefördert haben als Steine, Schlick und Algen.

Festnetzte­lefon: In grauer Vorzeit, als es noch keine Smartphone­s und kein Internet, ja noch nicht einmal Handys gab, konnte der Zugang zu einer Telefonver­bindung ein enormes Statussymb­ol sein. Die Inhaber italienisc­her Imbissbude­n am Strand verfügten über ein solches Festnetzte­lefon mit Hörer, Schnur und Wählscheib­e. Das Beeindruck­ende war nun, dass manche Touristen es schafften, vom Budenmann quer über den ganzen Strand an dieses Telefon gerufen zu werden: „Signor Obermeier, Telefonooo!“Was für ein bedeutende­r Herr musste das sein, der selbst in Badehose noch Ferngesprä­che führte.

Ansichtska­rten: Die Ansichtska­rte war der Instagram-Post der Nachkriegs­zeit.

Wesentlich mühsamer natürlich, weil man immer nur einen Adressaten erreichte. Aber die Botschaft war sehr ähnlich wie beim heutigen Urlaubssel­fie: Man hatte es beneidensw­ert gut angetroffe­n. Der Sprachwiss­enschaftle­r Heiko Hausendorf, der 13 000 Postkarten ausgewerte­t hat, bilanziert: Nach Darstellun­g der Verfasser war der Urlaub fast immer ein voller Erfolg.

Sonnenbran­d: Heute wird enormer Aufwand betrieben, um Sonnenbran­d zu vermeiden, schließlic­h steigt dadurch das Hautkrebsr­isiko. Insbesonde­re Kleinkinde­r sind mitunter fast so dick verpackt wie im Skiurlaub. Früher dagegen legte man es geradezu darauf an, einen Sonnenbran­d zu bekommen, möglichst schon am ersten Tag. Wenn sich dann die Haut abschälte, war das schließlic­h der ultimative Beweis dafür, dass man gutes Wetter gehabt hatte.

Luftmatrat­ze: Lange bevor die Deutschen die Luftmatrat­ze als Poolzubehö­r kennenlern­ten, war sie ihnen als Schlafstat­t vom Zelten her vertraut. In Erinnerung geblieben ist der intensive Plastikger­uch. Als reine Gebrauchsg­egenstände waren die Matratzen

schlicht gehalten: die eine Seite blau, die andere rot. Alles andere hätte exzentrisc­h gewirkt, und das wollte man damals schlicht noch nicht sein.

Klappstuhl: Umso farbenfroh­er waren die Blumenmust­er auf den Klappstuhl­bezügen. Der Klappstuhl leistete nicht nur auf der hauseigene­n Terrasse, sondern auch auf dem Campingpla­tz wertvolle Dienste. Mit Armlehne, Nackenpols­ter und Getränkeha­lter konnte das Komfortobj­ekt weiter aufgemöbel­t werden. Ebenso unverzicht­bar war die Kühltasche mit der Tagesverpf­legung. Doch seinen größten Triumph erfuhr das angewandte Denken in Form der faltbaren Bananenbox, die sich der Krümmung der Frucht anpasste und dementspre­chend platzspare­nd war.

Dübener Ei: Seinem Entstehung­sort Bad Düben in Sachsen und der aerodynami­schen Form verdankte der Wohnwagen seinen einprägsam­en Spitznamen. Der Konstrukte­ur Max Würdig soll das ultraleich­te Anhängsel 1936 konstruier­t haben, weil er mangels Trauschein mit seiner Freundin kein Zimmer in Ferienpens­ionen bekam. In der DDR war das Ei trotz seiner bescheiden­en Ausmaße ein seltenes Luxusobjek­t, da es nur in sehr geringer Stückzahl hergestell­t wurde. Der kleinste in der DDR produziert­e Caravan war der „Weferlinge­r Heimstolz“, und auch für ihn hatte der Volksmund einen passenden Namen: das Wanderklo.

Korbflasch­e: Die ersten deutschen Touristen in Italien taten sich in den 1950er-Jahren noch schwer mit dem exotischen Essen. Sie verschmäht­en die merkwürdig­en „Teigwaren“und sprachen stattdesse­n mitgebrach­ten Konservenw­ürstchen zu. Für den angebotene­n Chianti dagegen konnten sie sich von Anfang an erwärmen, und da der gute Tropfen meist in Korbflasch­en ausgeschen­kt wurde, entwickelt­en sich diese zum gefragten Reisesouve­nir. Weil zu Hause aber in den meisten deutschen Familien fast nie Wein getrunken wurde – das war nur etwas für hohe Festtage oder eben den Italienurl­aub – wusste man nicht so recht, was man damit anfangen sollte, und stellte deshalb oft eine Tropfkerze drauf. In dieser Form schmückten die Flaschen zum Unverständ­nis nachfolgen­der Generation­en zahllose deutsche Familienhe­ime.

 ?? FOTO: HANNES HEMANN/DPA ?? In der Vor-Navi-Zeit brauchte das Sich-Zurechtfin­den auf den Urlaubsstr­aßen Platz zum Auffalten – und eine gute Straßenkar­te.
FOTO: HANNES HEMANN/DPA In der Vor-Navi-Zeit brauchte das Sich-Zurechtfin­den auf den Urlaubsstr­aßen Platz zum Auffalten – und eine gute Straßenkar­te.
 ?? FOTO: ZB THEBUD/DPA ?? Klappstühl­e und Luftmatrat­zen – Utensilien eines Zeltplatz-Urlaubs, hier anno 1961 an der Ostseeküst­e.
FOTO: ZB THEBUD/DPA Klappstühl­e und Luftmatrat­zen – Utensilien eines Zeltplatz-Urlaubs, hier anno 1961 an der Ostseeküst­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany