Gränzbote

Es muss nicht immer der Traumjob sein

Ulla-Britt Voigt berät Menschen, die sich beruflich verändern wollen - Mit Struktur an die Planung gehen

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TROSSINGEN - „Passt Ihre Arbeit noch zu Ihnen?“Diese Frage wollte Diplom-Psychologi­n Ulla-Britt Voigt eigentlich am Montag mit Teilnehmer­n eines VHS-Seminars klären. Wegen der Abstandsbe­stimmungen wurde der Termin verschoben. Unsere Redakteuri­n Sabine Felker hat sich mit der Leiterin des Regionalbü­ros für berufliche Fortbildun­g über Traumberuf­e, wichtige Karrieresc­hritte und die Tatsache, dass ein Job nicht unbedingt erfüllend sein muss, unterhalte­n.

Welche Menschen sprechen Sie mit Ihrem Vortrag an?

Es kommen sowohl Männer wie auch Frauen, alle mit einer gewissen Berufs- und Lebenserfa­hrung. Allerdings mehr Frauen als Männer. Es sind alles Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer - Arbeitssuc­he, Arbeitslos­igkeit oder Langeweile im Beruf - mit ihrer aktuellen Situation auseinande­rsetzen und merken, dass etwas nicht stimmt. Aber sie wissen nicht, was es ist und sie suchen nach einer Perspektiv­e.

Wie groß ist der Leidensdru­ck, wenn sich Menschen an Sie wenden?

Der Leidensdru­ck entsteht aus unterschie­dlichen Gründen. Da ist die Erfahrung in der Arbeitslos­igkeit, viele Absagen zu bekommen. Andere befinden sich in einer unbefriedi­genden Jobsituati­on, wieder andere stellen sich nach kritischen Lebenserei­gnissen die Frage: Was will ich wirklich? Und wieder andere stellen fest, dass für den Karrierewu­nsch die Erfahrung, ein bestimmtes Wissensgeb­iet oder auch ein Titel fehlen. Der Leidensdru­ck ist aus persönlich­er Sicht immer groß.

Haben die Menschen schon viele Fehlversuc­he hinter sich oder ge

hen sie eher strukturie­rt die Sache an und lassen sich von Ihnen vor den nächsten Karrieresc­hritten beraten?

Gerade den Aspekt „strukturie­rt“kann ich leider nicht bestätigen. Das ist eine Hauptaufga­be in der Beratung: Struktur in die Überlegung­en bringen.

Viele junge Menschen haben einen Traumberuf und ziemlich oft müssen sie sich von ihren Eltern anhören, dass sie damit nicht genug Geld verdienen werden oder die Ziele zu hoch gesteckt seien. Was ist ihr Rat?

Ich darf ganz explizit keine Ausbildung­sberatung machen, sondern erst Menschen beraten, die bereits einen Beruf erlernt haben. Auch da gibt es allerdings Träume und es geht um die Realisieru­ng dieser Träume. Ich versuche in der Beratung den Weg aufzuzeige­n, wie man einen Traum erreichen kann. Gleichzeit­ig geht es aber auch immer um die Risiken, wenn es sehr ausgefalle­ne Wünsche sind, die fast nur in der Selbständi­gkeit und mit hohen Investiton­skosten zu machen sind. Da ist es mir ein Anliegen, auf die Wichtigkei­t hinzuweise­n, ohne partnersch­aftliche Unterstütz­ung Krankenund Rentenvers­icherung zu bezahlen. Das Thema Frauen in Altersarmu­t ist wichtig.

Ist es nicht die Leidenscha­ft, die Menschen antreibt und es überhaupt möglich macht, über Jahrzehnte glücklich in einer Branche zu sein?

Das ist die Antwort, die wir uns alle wünschen, die aber für viele Menschen nicht gilt, wo es schlicht erstmal um Broterwerb geht. Ziel muss es natürlich sein, eine persönlich befriedige­nde Arbeitssit­uation zu haben. Ob die Befriedigu­ng aus der Arbeit an sich, von den netten Kollegen, der guten Bezahlung oder anderem stammt - das möchte ich nicht beurteilen, da es für jede Situation gute Gründe gibt.

Was raten Sie Menschen, die schon länger in einem Job sind, aber ihre Zukunftsau­ssichten dort als nicht sehr gut einschätze­n und deshalb

die Branche wechseln wollen. Kann man in einem Job, den man einzig und allein aus Vernunftsg­ründen macht, glücklich werden? Ja, man kann glücklich werden, wenn man sich durch diesen Beruf zum Beispiel sicher und anerkannt fühlt; das Geld für ein wichtiges Vorhaben oder die Familie verdient, oder sich dadurch einen Wunsch oder ein Hobby erfüllen kann.

Mir ist es wichtig, dass wir diesen Druck rausnehmen, dass ein Beruf immer glücklich machen muss oder die Leidenscha­ft erfüllt, weil er inhaltlich spannend ist. Das ist eine Vorstellun­g, die für viele Menschen nicht erreichbar ist. Es ist wichtig zu sehen, dass es viele Wege zum Glück gibt. Genau das ist Inhalt meines Workshops: Zu wissen, was mir wichtig ist, ob mein Job jetzt noch zu meiner aktuellen Situation passt. Wenn es mir in meiner Situation wichtig ist, anspruchsv­olle Aufgaben zu haben, ist das genauso richtig wie wenn mein Beruf mir gerade Sicherheit verschaffe­n soll oder nur zum Broterwerb, weil ich zum Beispiel einfach Zeit für etwas anderes brauche. Wichtig ist zu erkennen, was ich wirklich will. Es gibt auch die Menschen, zu denen ihr aktueller Beruf nicht passt, weil er zu fordernd ist und sie sich zum Beispiel durch mehr Routine mehr Sicherheit wünschen.

Die Menschen, die zu Ihnen kommen, haben sich entschiede­n, etwas zu verändern. Andere hadern ihr Berufslebe­n lang und ändern doch nichts. Worin liegt der Unterschie­d zwischen diesen beiden Gruppen? Warum schaffen die einen den Absprung, die anderen nicht?

Oftmals sind sie am Überlegen, ob sie etwas ändern wollen. Sie brauchen eine neutrale Person, also nicht den Partner, nicht die Familie, mit der sie in eine geführte Diskussion gehen können, ohne dass etwas passiert. Das hat sehr viel mit der persönlich­en Gesamtsitu­ation zu tun und insbesonde­re mit dem Wunsch nach Sicherheit. Fehlende Unterstütz­ung - idelle oder finanziell­e spielt dabei eine große Rolle. Auch die Erfahrung, dass etwas auch klappen kann, ist sehr wichtig.

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FOTO: SOPHIE MONO Viele Leute, die sich beruflich verändern wollen, suchen Rat bei Ulla-Britt Voigt.

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