Wenn Väter sich verdrücken
Prozess zeigt, wie teuer es für den Landkreis wird, wenn er beim Unterhalt einspringen muss
ROTTWEIL/TUTTLINGEN - Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat das Amtsgericht Tuttlingen ein ungewöhnliches Urteil gefällt: Fünf Monate Haft wegen Verletzung der Unterhaltspflicht – und das ohne Bewährung. Der betroffene Mann legte Berufung ein. Doch der Verhandlung, die jetzt vor der Kleinen Strafkammer des Landgerichts Rottweil stattfinden sollte, blieb er fern. Das wirft Fragen auf.
Richter Thomas Geiger ahnte es gleich, als er zusammen mit seinen beiden Schöffen in den Rottweiler Gerichtssaal kam und auf eine leere Anklagebank blickte. Wochen zuvor war schon der erste Versuch gescheitert. Der Angeklagte mit Wohnort Villingen-Schwenningen war „unbekannt verzogen“. Und der Richter glaubte auch zu wissen wohin: „Wahrscheinlich Richtung Türkei“. Sein Verteidiger habe das Mandat niedergelegt, nachdem keine Rechnung beglichen worden sei.
Geiger gewährte noch eine Frist von 20 Minuten. Als auch dann weder ein Angeklagter noch ein Anwalt in Sicht waren, kam, was kommen musste: Ablehnung der Berufung, es bleibt bei den fünf Monaten Haft plus Übernahme der Prozesskosten. Der Mann werde jetzt zur Fahndung ausgeschrieben, kündigte die Staatsanwältin an. Nach allen Erfahrungen sind die Aussicht, seiner habhaft zu werden, allerdings überschaubar gering.
Kaum einer weiß das besser als Bernd Mager, Sozialdezernent des Landkreises Tuttlingen. „Jahr für
Jahr“, so berichtet er, „kommen rund 900 Männer – sie sind zu fast 90 Prozent betroffen – im Kreis Tuttlingen ihrer Pflicht nicht nach, Unterhalt für ihre getrennt lebenden Kinder zu bezahlen. Dies verursacht Kosten in Höhe von 2,9 Millionen Euro jährlich.“
Wie das abläuft, zeigt exemplarisch der Fall vor dem Tuttlinger Amtsgericht. Der heute 49-jährige Angeklagte erklärte sich im Jahr 2008, als seine Tochter geboren wurde, bereit, der Tuttlinger Lebensgefährtin monatlich 100 Euro für die Tochter zu überweisen. Das ging drei Jahre lang einigermaßen gut. Dann, 2011, hörte er plötzlich auf zu arbeiten. Seine Begründung: Er sei zu alt, um einer Erwerbsfähigkeit nachzugehen. Von nun an floss für die Tochter kein Geld mehr. Und so musste von Gesetzes wegen der Landkreis einspringen, konkret: die „Unterhaltsvorschusskasse“, die beim Jugendamt angesiedelt ist.
Das Amtsgericht Tuttlingen stellte vor einem Jahr fest, dass sich die ausstehenden Unterhaltszahlungen des Mannes auf 10 900 Euro summiert hatten. Inzwischen hat sich der Betrag auf mehr als 12 000 Euro erhöht. Mehr noch: Die Forderungen sind stark gestiegen: Bis 2017 wurde ein Unterhaltsvorschuss auf eine Dauer von sechs Jahren und ein Höchstalter von zwölf Jahren begrenzt.
Dann steigerte der Bund die Leistung per Gesetz erheblich: Die Dauer von sechs Jahren fiel ersatzlos weg und Anspruch auf Unterhalt besteht jetzt bis zum 18. Lebensjahr. Damit, so ahnte Bernd Mager schon damals, würden sich die Ausgaben für den Landkreis verdoppeln, zumal der zusätzliche Aufwand eineinhalb neue Stellen erforderte, was allein mit 60 000 Euro pro Jahr zu Buche schlägt. Der Sozialdezernent nahm die Erhöhung nicht ohne eine kritische Anmerkung zur Kenntnis: „Bei allem Verständnis“, sagte er damals, „das neue Gesetz zeigt, dass gerade in wirtschaftlich guten Zeiten die Versuchung groß ist, soziale Wohltaten zu verteilen.“
Im Kreis Tuttlingen hat sich seit Einführung der neuen Regelung die Zahl der Anspruchsberechtigten verdoppelt – von 439 auf rund 900 Fälle. Insgesamt haben getrennt lebende Eltern, die keinen Unterhalt bezahlt haben, dabei Kosten von 2,9 Millionen Euro verursacht. Zum großen Teil sind es Männer, der Anteil der Frauen liegt bei etwas über zehn Prozent.
Zwar übernehmen Bund und Land jeweils ein Drittel, und dem Jugendamt ist es auch gelungen, von säumigen Elternteilen 930 000 Euro einzutreiben, zum Beispiel durch Pfändungen. Aber: Trotzdem bleiben dem Landkreis Tuttlingen im vergangenen Jahr unter dem Strich Netto-Ausgaben von rund 650 000 Euro, weil auch das eingetriebene Geld mit Bund und Land geteilt werden muss.
Daran dürfte sich auch in den kommenden Jahren wenig ändern, wie sich am Beispiel der Prozesse in Tuttlingen und Rottweil zeigt. Es besteht wenig Hoffnung, dass der Mann gefasst werden kann und noch weniger, dass er bezahlen kann, falls man seiner dennoch habhaft werden sollte. Also muss die „Unterhaltsvorschusskasse“bis zum 18. Lebensjahr der Tochter bezahlen.