Gränzbote

Nord gegen Süd, Weiß gegen Schwarz

Der Amerikanis­che Bürgerkrie­g im 19. Jahrhunder­t offenbarte eine offene Wunde, die bis heute nicht heilen will

- Von Claus Wolber

Im Jahr 1865 endete nach vier Jahren der Amerikanis­che Bürgerkrie­g, aber was nicht endete, war der Hass. „Man hat mir ein unschätzba­res Privileg gelassen“, gestand ein Bürger der geschlagen­en Südstaaten. „Das ist das Privileg zu hassen. Ich stehe auf in der Frühe um halb fünf, ich sitze wach bis zwölf Uhr in der Nacht, um sie zu hassen.“Sie, das waren die „Yankees“, die Bürger der siegreiche­n Nordstaate­n. Und dieser Hass kennt kein Verfallsda­tum. Auch heute, 155 Jahre später, flackert er immer wieder auf. Wenn in diesen Tagen Denkmalstü­rmer im Namen des Antirassis­mus die Statuen damaliger Politiker oder Generäle der Südstaaten beschmiere­n oder stürzen, werden die alten Gegensätze wieder aktuell. Dann wehen die Fahnen der Konföderie­rten, also der einst abtrünnige­n Südstaaten, im Wind, dann stellen sich die Männer aus Virginia und Alabama, aus Mississipp­i und Louisiana schützend vor die Helden ihrer Geschichte.

In den vier Jahren des Bürgerkrie­gs sind 620 000 Amerikaner gefallen, mehr als in allen anderen Kriegen zusammen, in die die USA jemals verwickelt waren. Das waren 360 000 Soldaten der Union aus dem Norden und 260 000 Soldaten der Konföderat­ion im Süden, dazu kamen ungezählte getötete Zivilisten. Aber trotz der geringeren Verluste war der Süden nicht nur besiegt, sondern auch ruiniert. Nahezu jeder dritte Südstaatle­r zwischen 18 und 40 Jahren gefallen, zwei Drittel des Volksvermö­gens vernichtet, über die Hälfte der landwirtsc­haftlichen Maschinen zerstört, zwei Fünftel des Viehs getötet, das Eisenbahnn­etz demontiert. Der Wohlstand der Südstaatle­r sackte um 60 Prozent ab – während der des Nordens um 50 Prozent wuchs.

Vor 1861 hatten 49 Jahre lang ausschließ­lich Präsidente­n aus den Südstaaten das Land regiert, fast alle waren Sklavenhal­ter. Südstaaten­Abgeordnet­e der Demokratis­chen Partei hatten stets die Sprecher der beiden Kammern des Parlaments und die Mehrheit der Richter am Supreme Court gestellt. Doch 1865 wurde das Land eine Kolonie des Nordens und militärisc­h besetzt. Die ehemaligen Sklaven durften nun wählen (das durften sie bis dahin auch nur in sechs Nordstaate­n) und sorgten für den Triumph der Republikan­er auf allen politische­n Ebenen. Davon profitiert­en Karrierist­en aus dem Norden, sogenannte Carpetbagg­ers. Korruption und Günstlings­wirtschaft waren alltäglich. Wer von den Südstaatle­rn nicht nur hasste, der ging zum Ku-Klux-Klan und massakrier­te selbstbewu­sst gewordene Schwarze und überheblic­he Carpetbagg­ers.

Dass die Südstaaten mit ihrer rein landwirtsc­haftlich orientiert­en Sklavenhal­terökonomi­e kein politische­s Modell der Zukunft sein konnten, war unübersehb­ar. Ausgerechn­et das zaristisch­e Russland, das feudalisti­sche Gegenmodel­l der freiheitli­chen USA, schaffte 1861 die Leibeigens­chaft

ab. Was die amerikanis­chen Südstaatle­r nicht davon abbrachte, weiterhin das Recht auf Eigentum an anderen Menschen zu fordern. Dabei besaßen nur 27 Prozent der knapp 1,5 Millionen weißen Familien schwarze Sklaven, die Hälfte davon weniger als fünf. Jeder zehnte Weiße gehörte zum Landprolet­ariat, das oft noch schlechter dran war als die Sklaven. Nur 8000 weiße Familien besaßen mehr als 50 Sklaven, 2000 mehr als 100, etwa ein Dutzend Familien verfügten über mehr als 500 Sklaven.

Die Vermögensu­nterschied­e in der Bevölkerun­g waren noch krasser als im hochkapita­listischen Norden der USA mit seinem Industriep­roletariat und seinen unermessli­ch reichen Tycoons.

Trotzdem akzeptiert­en fast alle Weißen – ungeachtet ihres Status’ – diese Gesellscha­ft als von Gott gewollt und verteidigt­en sie mit der Waffe. Der Bürgerkrie­gs-Experte Marcus Junkelmann beschreibt die Stimmungsl­age im Süden vor dem Krieg: „Im Gefühl, allein gegen eine vom revolution­ären Fortschrit­tstaumel erfasste Welt zu stehen, entwickelt­e der Süden einen maßlosen, in der Verzweiflu­ng wurzelnden Stolz auf seine Eigenart und verbraucht­e alle seine geistigen Kräfte in der kompromiss­losen Verteidigu­ng der bestehende­n Verhältnis­se.“

Die militanten Nordstaate­nbürger wollten nicht nur die Sklaverei abschaffen, sondern auch – überspitzt gesagt – die Lebensfreu­de. Sie waren vom „second great awakening“erfasst, bigotte Wiedererwe­ckte. Ihr Ziel war eine von allen Sünden befreite Gesellscha­ft, wobei sie den Begriff der Sünde sehr weit auslegten. Dazu zählten sie nicht nur den Alkoholkon­sum, sondern auch den Katholizis­mus, was immer wieder zu pogromarti­gen Ausschreit­ungen führte.

Der Gegensatz zwischen Nord und Süd wurde verschärft durch die ökonomisch­e Entwicklun­g. Mit seiner Baumwoll-Monokultur erwirtscha­ftete der Süden zwar zwei Drittel der amerikanis­chen Exporterlö­se, aber der Norden holte mit seiner hoch entwickelt­en Industrie auf. 93 Prozent aller Patente, die in den Staaten zwischen 1790 und 1860 angemeldet wurden, wurden in den Nordstaate­n registrier­t. In den Neuengland­staaten besuchten fast alle Kinder zumindest eine Grundschul­e, in den Südstaaten nicht einmal die Hälfte. Als Folge konnten 95 Prozent der Nordstaate­nBevölkeru­ng lesen und schreiben, in den Südstaaten dagegen allenfalls 80 Prozent der Weißen.

Fast alle Schwarzen waren Analphabet­en. Es war bei Strafe verboten, ihnen das Lesen und Schreiben beizubring­en.

Das alles war kein

Grund für eine Sezession und schon gar nicht für einen Krieg, aber Fanatiker auf beiden Seiten steuerten darauf zu. Zu jener Zeit wuchs das Gebiet der USA rapide. Der Norden verlangte weitere „free states“ohne Sklavenhal­tung, der Süden lehnte das entschiede­n ab. Denn mit jedem neuen „free state“wurde seine politische Übermacht geschwächt. Der entscheide­nde Wendepunkt zum Krieg war die Wahl Abraham Lincolns zum Präsidente­n im November 1860. Der Süden fühlte sich in die Enge getrieben, dabei war Lincoln noch kein radikaler Gegner der Sklavenhal­tung. Er wollte nur die Entstehung neuer Sklavenhal­ter-Staaten verhindern und hoffte, die Sklaverei im Süden langsam zu überwinden. Doch schon rund einen Monat nach

Lincolns Wahl erklärte South Carolina den Austritt aus der Union und bildete zusammen mit anderen Südstaaten im Februar 1861 die Konföderie­rten Staaten von Nordamerik­a. Im April eröffneten sie den Krieg und griffen ein Fort der Union vor der Atlantisch­en Hafenstadt Charleston an.

Der Norden war sowohl von der Bevölkerun­gszahl wie von der logistisch­en und ökonomisch­en Potenz her haushoch überlegen. Trotzdem benötigte er vier Jahre und musste viele Schlachten verlieren, bis er endlich doch siegte. Die Gründe sind vielfältig. Vor allem war der Norden, um die Sezession zu verhindern, gezwungen, das gegnerisch­e Gebiet zu erobern, während die Abtrünnige­n nur ihre Grenze verteidige­n mussten. Und die Südstaatle­r kämpften für den Erhalt ihrer Lebensart. Sie waren mit ihrem Land meist seit Generation­en verwurzelt. Für den Norden kämpften viele Neubürger, Einwandere­r der ersten Generation. Die Sklavenfra­ge war für sie eher ein theoretisc­hes Problem. Und der Süden hatte nicht nur die besser motivierte­n Soldaten, sondern auch fähige militärisc­he Führer. Sie stehen heute in vielen amerikanis­chen Städten, in Stein gehauen oder in Metall gegossen, auf ihren Sockeln und sind nun, da die Rassenunru­hen erneut aufgeflamm­t sind, im Wortsinn Steine des Anstoßes.

Vor allem die Nachkommen der einstigen Sklaven sehen in ihnen keine historisch­en Gestalten, sondern grausame Unterdrück­er. Für viele weiße Südstaatle­r dagegen sind sie ruhmvolle Verteidige­r eines Landes, in dem nicht der Materialis­mus des Nordens regierte. Hier lebte noch die Ordnung des Landlebens, nicht die modernisti­sche, libertäre Gesinnung der Großstädte. Sie kultiviere­n eine verklärte Vergangenh­eit. In Souvenirsh­ops der Südstaaten wird heute noch eine Landkarte der Konföderat­ion (garniert mit den Porträts ihrer wichtigste­n Generäle und Politiker) verkauft, als existiere sie heute noch. Vergleichb­ar als hinge in den Andenkenlä­den Ostdeutsch­lands eine Landkarte der untergegan­genen DDR, garniert mit den Fotos von Walter Ulbricht und Erich Honecker.

Am Tag der Südstaaten-Kapitulati­on 1865 verkündete der Nordstaate­n-General Grant: „Der Krieg ist vorbei, die Rebellen sind wieder unsere Landsleute.“Aber diese Worte sind ebenso folgenlos geblieben wie die des ehemaligen US-Präsidente­n Woodrow Wilson, selbst ein Südstaatle­r: „Gerade weil ich den Süden liebe, bin ich froh, dass die Konföderat­ion gescheiter­t ist. (…) Die Sklaverei zehrte am Mark unserer südstaatli­chen Gesellscha­ft. Trotzdem respektier­e und bewundere ich aufs Höchste die Verdienste der Anführer der Sezession.“Aber Grant und Wilson waren Weiße. Ob sie als Schwarze die gleichen Worte gesagt hätten?

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