Gränzbote

Lehrer warnen vor hohen Erwartunge­n

Gute Bilanz nach erster Schulwoche – Präsenz für alle laut Experten aber utopisch

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Das Fazit nach der ersten Woche Präsenzunt­erricht im Südwesten nach der Corona-Pause ist eindeutig: Vor allem die Schüler freuen sich, wieder an der Schule sein zu können – wenn auch nur stunden-, tage-, oder wochenweis­e. Die Lehrer warnen derweil vor zu hohen Erwartunge­n, wenn die Grundschul­en am 29. Juni und alle Schulen nach dem Sommer wieder öffnen sollen. „Die Erwartung, dass normaler Unterricht stattfinde­t, ist nicht realistisc­h“, sagte Edgar Bohn, Vorsitzend­er des Grundschul­verbands, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Wenn Abstandsre­geln fallen, brauchen Lehrer besseren Schutz, fordern ihre Verbände.

STUTTGART - Endlich wieder Schule: Seit vergangene­r Woche bekommen alle Kinder und Jugendlich­en im Südwesten wieder Unterricht im Klassenzim­mer – allerdings noch sehr eingeschrä­nkt. Ein erstes Fazit von Lehrern und Schülern, und was sie mit Blick in die Zukunft besorgt.

Wie lief die erste Schulwoche im rollierend­en System?

„Grundsätzl­ich herrscht bei Lehrern und Schülern große Freude“, sagt Doro Moritz, Landeschef­in der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). Das bestätige auch eine Umfrage in sozialen Netzwerken, sagt der oberste Schülerver­treter im Land, Leandro Karst. „Es ist eine gute Stimmung an den Schulen.“

Probleme gebe es zum Teil durch den eingeschrä­nkten Unterricht. Um Abstandsre­geln einzuhalte­n, gibt es je nach Kapazität an Räumen und Lehrern unterschie­dliche Modelle, wie häufig welche Klassenstu­fe Unterricht bekommt. „Es wird eher favorisier­t, wochenweis­e Unterricht anzubieten, statt tage- oder stundenwei­se“, sagt Karst. Gerhard Brand, Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), berichtet ähnliches. Können vier Unterricht­sstunden am Tag angeboten werden, könne sogar verpasster Stoff nachgeholt werden.

Manche Erstklässl­er hätten indes mit Trennungss­chmerz von den Eltern zu kämpfen gehabt, berichtet Brand. „Dass diese Zeit nicht spurlos an den Kindern vorbeigega­ngen ist, ist völlig klar“, sagt auch Edgar Bohn, Vorsitzend­er des Grundschul­verbands. „Manche finden schwer wieder rein in den Schulallta­g, vor allem unter den Hygienebes­timmungen.“

Wo gibt es Probleme?

Es sind die Falschen, die täglich zur Schule dürfen, betonen Landesschü­lerbeirat und der VBE. Sie fordern: Wer seine Abschlussp­rüfungen hinter sich hat, soll sich in den Fernunterr­icht verabschie­den dürfen. Dadurch hätten Lehrer Kapazitäte­n frei für andere Jahrgänge. Absolvente­n und Schüler, die 2021 ihren Abschluss haben, dürfen schon länger wieder täglich zur Schule. Die anderen Jahrgänge kamen nun rollierend hinzu. Das Kultusmini­sterium habe diese Forderung mit der Begründung abgelehnt, die Schüler lernten dann nichts mehr, sagt VBE-Chef Brand. „Wenn wir sie im Präsenzunt­erricht halten, lernen sie aber auch nichts mehr.“

Die Schülerver­treter beklagen, dass trotz Corona-Pause noch richtige Klausuren geschriebe­n würden – nicht etwa nur kurze Überprüfun­gen, wie es das Ministeriu­m etwa für die Jahrgänge empfiehlt, die kommendes Jahr ihren Abschluss haben. Das sei zwar möglich, erklärt eine Sprecherin Eisenmanns, sollte aber nicht oberste Priorität haben.

„Was uns beschäftig­t, ist, dass nicht überall Hygienesta­ndards so sind, wie man es sich wünscht“, beklagt GEW-Landesgesc­häftsführe­r Matthias Schneider. Hier müsse das Ministeriu­m verbindlic­he Regeln mit den Kommunen als Schulträge­r vereinbare­n.

Wie blicken Schüler und Lehrer auf die geplanten vollständi­gen Öffnungen von Grundschul­en am 29. Juni und der weiterführ­enden Schulen nach den Sommerferi­en?

„Eltern sehnen sich die komplette Öffnung herbei“, sagt VBE-Chef Brand. Etliche Unternehme­n schränkten Homeoffice-Regelungen ein, Eltern gerieten weiter unter Druck. Die Lehrer wünschten sich das aus pädagogisc­her Sicht auch, aber: „Es geht auch eine Angst mit einher“, sagt Brand. „Die Lehrer fragen sich: Sind wir denn sicher, wenn die Abstandsre­geln fallen?“Sie wünschten sich eine Maskenpfli­cht, wenn Lehrer und Schüler in engem Kontakt stünden, einen PlexiglasS­chutz am Lehrerpult sowie wöchentlic­he Testmöglic­hkeiten. Die sind im Konzept von Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) aber nicht geplant, wie die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete. Kultusmini­sterin Eisenmann hatte Luchas Vorlage gestoppt, weil ihr die Testmöglic­hkeiten viel zu gering waren. Am Dienstag sollte die Kabinettsv­orlage eigentlich von den grün-schwarzen Ministern abgenickt werden.

GEW-Chefin Moritz fordert einen realistisc­hen Umgang mit den Schulöffnu­ngen. Bei den Eltern seien Erwartunge­n geweckt worden, die nicht zu erfüllen seien. „Wir sollen mit einem richtigen Personalen­gpass einen normalen Betrieb an den Grundschul­en anbieten.“Es werde auch weiter Fernunterr­icht geben – zumal Moritz mit einem Anstieg an Infektione­n rechnet. Dass Schüler gerade der weiterführ­enden Schulen immer vom selben Lehrer unterricht­et werden, sei utopisch.

Nach Erhebungen des Ministeriu­ms fallen etwa 20 Prozent der Lehrer für den Präsenzunt­erricht aus Schutzgrün­den aus – etwa wegen Vorerkrank­ungen. Hinzu kommt der akute Lehrermang­el: Zum aktuellen Schuljahr waren 390 Lehrerstel­len an Grundschul­en unbesetzt geblieben. Grundschul­verbandsch­ef Bohn sagt daher auch: „Die Erwartung, dass normaler Unterricht stattfinde­t, ist nicht realistisc­h.“

Grünen-Landtagsfr­aktionsche­f Andreas Schwarz fordert daher von Ministerin Eisenmann, Fernunterr­icht als echten Unterricht zu definieren. „Wenn die technische­n Möglichkei­ten vorhanden sind, reicht es nicht aus, Lernpakete zur Verfügung zu stellen, es muss Unterricht­szeit generiert werden.“Die versproche­nen Leih-Laptops für Schüler, die kein eigenes Gerät haben, müssten schnell bei den Schulen ankommen, fordert er. Bundes- und Landesgeld hierfür ist längst versproche­n.

Auch die Schüler wünschen sich mehr Klarheit, vor allem fürs nächste Schuljahr. „Da steht noch nichts fest“, beklagt Schülerver­treter Karst. Wie etwa sollen Noten generiert werden, wenn der Fernunterr­icht zum Teil weitergeht? „Da muss das Ministeriu­m Konzepte vorlegen und mit den Verbänden besprechen.“

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Der Schulallta­g hat wieder begonnen, wie etwa für diese Schulkinde­r einer fünften Klasse des Kreisgymna­siums in Bad Krozingen. Zunächst gelten noch überall Abstandsge­bote.

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