Gränzbote

Bangen um verblieben­en Atom-Abrüstungs­vertrag

USA und Russland verhandeln über Begrenzung von Interkonti­nentalrake­ten – ohne Beteiligun­g Chinas

- Von Stefan Kegel

BERLIN - Ein heller Blitz zuckt, und eine pilzförmig­e Explosions­wolke reckt sich gen Himmel. Hitze von mehreren Tausend Grad verdampft binnen Sekunden alles Leben im Umkreis von mehreren Kilometern, Hunderttau­sende Menschen in Dutzenden Kilometern Entfernung werden für den Rest ihres Lebens gezeichnet. Viele sterben an Strahlensc­häden und Krebs.

Das Szenario der beiden amerikanis­chen Atombomben­abwürfe auf die japanische­n Städte Hiroshima und Nagasaki ist auch nach 75 Jahren immer noch im Gedächtnis der Menschheit verankert. Diese Bilder trugen dazu bei, dass über die Jahrzehnte des Kalten Krieges hinweg ein Gleichgewi­cht des Schreckens zwischen den USA und Russland herrschte, besiegelt durch zahlreiche Verträge der Rüstungsko­ntrolle. Von denen ist inzwischen kaum noch etwas übrig. Nun aber verhandeln beide Länder wieder über die Begrenzung von Atomwaffen. Am Montag treffen sich ihre Vertreter in Wien.

Das ist deshalb so erstaunlic­h, weil seit fast zwei Jahrzehnte­n die Richtung der Rüstungsko­ntrolle eine andere war. Bereits im Jahr 2002 kündigt der damlige US-Präsident George W. Bush den ABM-Vertrag, der 30 Jahre lang beiden Staaten den Aufbau einer landesweit­en Raketenabw­ehr verboten hatte. Er war zur Abschrecku­ng geschlosse­n worden: Wer sein Land nicht verteidige­n kann, wird keinen atomaren Erstschlag und die Reaktion darauf riskieren, lautete das Kalkül. Diese Logik geriet mit einer sich verändernd­en Weltlage unter Druck. Es gebe „wachsende Raketengef­ahren“begründete Bush seinen Schritt.

Nach der Kündigung des INF-Vertrages über landgestüt­zte atomare Mittelstre­ckenwaffen durch die USA und Russland im vergangene­n Jahr und der angekündig­ten Abkehr Washington­s vom Inspektion­svertrag „Open Skies“, der gegenseiti­ge Überwachun­gsflüge vorsah, ist bald nur noch ein einziges bilaterale­s Nuklear-Abkommen übrig: „New Start“. Es läuft Anfang Februar kommenden Jahres aus, wenn es nicht zuvor um maximal fünf Jahre verlängert wird.

Dass sich beide Seiten tatsächlic­h wieder an einen Tisch setzen, hat einen gewichtige­n Grund. Denn während weder die USA noch Russland mit Mittelstre­ckenwaffen, wie sie der INF-Vertrag begrenzte, strategisc­h wichtige Ziele im jeweils anderen Land erreichen können, fliegen sogenannte ballistisc­he Atomrakete­n, die unter die „New Start“-Begrenzung fallen bis zu 15 000 Kilometer weit. Und sie sind nach wie vor auf den jeweils anderen gerichtet.

Erst im Mai hatte Russlands Präsident Wladimir Putin den Sicherheit­srat seines Landes zusammenge­trommelt und beklagt, dass es keine ernsthafte­n Verhandlun­gen mit den USA über „New Start“gebe. Das sei ein Thema von höchster Wichtigkei­t, sagte Putin, „nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt“.

Die Verhandlun­gen sind allerdings kein Selbstläuf­er. Das hat vor allem damit zu tun, dass den USA eine Atommacht am Tisch fehlt, die in Zukunft eine größere Rolle in der Welt spielen wird: China. „Wir reden mit Russland, hoffentlic­h auch mit China, über die Kapazitäte­n von Nuklearrak­eten und hoffentlic­h die Beschränku­ng von nuklearen Fähigkeite­n durch alle drei Länder“, sagte die US-Botschafte­rin bei der Nato, Kay Bailey Hutchison, kürzlich noch zuversicht­lich. Doch in Peking denkt man gar nicht daran, über eine Begrenzung des mageren chinesisch­en Atomarsena­ls verhandeln zu wollen. Das Land verfügt dem Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri zufolge über 320 Atomspreng­köpfe, die USA über 5800 und Russland über 6375.

„China war noch nie ein Partner in irgendeine­m Abrüstungs­vertrag“, erklärt Dean Cheng, China-Forscher bei der amerikanis­chen Stiftung Heritage Foundation die Position Pekings. „Das chinesisch­e Militär hat kein Interesse an einem Start-3-Vertrag oder einem INF-Vertrag.“China fühle sich zum Beispiel in Handelsfra­gen als Großmacht, aber nicht im militärisc­hen Bereich, betont Cheng – gerade wenn es den Vergleich mit den enormen nuklearen Arsenalen Washington­s und Moskaus ziehe. „China will sich nicht beschränke­n lassen.“

Ob die Gespräche über den letzten Vertrag scheitern, wird insbesonde­re davon abhängen, ob die USA trotz der Absage Chinas gesprächsb­ereit bleiben. In anderen Fällen war die Trump-Regierung nicht besonders geduldig. Aus dem Atomabkomm­en mit Iran haben sich die USA 2018 zurückgezo­gen. Insofern befürchten Beobachter, dass das Wiener Treffen der Auftakt zu einer Alibi-Veranstalt­ung werden könnte.

Dabei erhält Rüstungsko­ntrolle, auch über den nuklearen Bereich hinaus, internatio­nal immer mehr Beachtung. Erst im vergangene­n Jahr veranstalt­ete das Auswärtige Amt in Berlin eine Konferenz, die sich mit dem Kriegsmate­rial der Zukunft befasste: mit autonomen Killerwaff­en und Hyperschal­lraketen etwa. „Wir müssen Rüstungsko­ntrolle neu denken“, forderte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) damals. Das Thema müsse zurück auf die internatio­nale Agenda.

 ?? ARCHIVFOTO: RU-RTR RUSSIAN TELEVISION/AP/DPA ?? Start einer neuen russischen Interkonti­nentalrake­te im Jahr 2018. Die Zahl solcher nuklear bestückbar­er Waffensyst­eme werden bislang mit dem „New Start“-Vertrag begrenzt.
ARCHIVFOTO: RU-RTR RUSSIAN TELEVISION/AP/DPA Start einer neuen russischen Interkonti­nentalrake­te im Jahr 2018. Die Zahl solcher nuklear bestückbar­er Waffensyst­eme werden bislang mit dem „New Start“-Vertrag begrenzt.

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