Gränzbote

Klares Votum nach schwierige­n Verhandlun­gen

IG-Metall-Mitglieder bei Zollern stimmen für Tarifvertr­ag mit Abweichung­en – Regelung soll Anfang Juli greifen

- Von Mandy Streich und Benjamin Wagener

MENGEN - 99 schwarze Stühle stehen im Abstand von 1,50 Meter in der Ablachtalh­alle in Mengen. Platz genommen haben auf ihnen am Samstag und Sonntag die IG Metall Mitglieder in der Belegschaf­t des Maschinenb­auers Zollern. 15 Mal haben Michael Föst, der erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Albstadt, und die Betriebsrä­te des Sigmaringe­r Unternehme­ns einen Entwurf für einen Tarifvertr­ag vorgestell­t, den die Gewerkscha­ft in den vergangene­n Wochen und Monaten mit der Geschäftsf­ührung ausgehande­lt hat. 15 Mal deshalb, weil wegen der CoronaPand­emie keine Versammlun­gen mit mehr als 100 Personen erlaubt sind. Mal waren 30 Zollern-Beschäftig­te in der Halle, mal zehn, dann wieder 40. Immer hat Föst für den Vertrag geworben. „Das Ergebnis ist eine gute Sache – am Ende für alle“, sagt er.

Ob es am Ende die Worte des Gewerkscha­ftsfunktio­närs gewesen sind oder doch die Einzelheit­en des ausgehande­lten Vertrags, die sowohl Geschäftsf­ührung als auch Gewerkscha­ft Anfang Juni als Aushang in der Belegschaf­t bekannt gemacht haben, ist nicht klar. Klar ist, dass das Votum eindeutig ist. 93,8 Prozent der IGMetall-Mitglieder, die am Samstag und Sonntag abgestimmt haben, billigten die ausgehande­lte Vereinbaru­ngen, mit denen Zollern wieder in den Arbeitgebe­rverband eintritt und den ausgehande­lten Flächentar­ifvertrag mit maßgeblich­en Abweichung­en anerkennt. Insgesamt stimmte nach Angaben der Gewerkscha­ft eine dreistelli­ge Zahl von Beschäftig­ten ab. Mehr als 80 Prozent der rund 1500 Zollern-Mitarbeite­r sind laut Föst Mitglied in der IG Metall.

An der Längsseite der Halle steht eine große Leinwand, auf die eine Präsentati­on projiziert wird. Die Stimmung unter den Mitarbeite­rn vor der Abstimmung ist spürbar angespannt, einige unterhalte­n sich nur flüsternd. Föst erläutert den Weg der Firma zurück in den Tarifvertr­ag. Insgesamt seien acht Verhandlun­gen und damit 52 Stunden bei Videokonfe­renzen erforderli­ch gewesen, um zu einem Ergebnis zu kommen, sagt er. Föst ist froh, dass es zu der Einigung gekommen ist, denn in den vergangene­n Wochen sei er schwer gewesen, eine Drohkuliss­e aufzubauen. „Normalerwe­ise drohen wir damit, die Arbeit niederzule­gen“, sagt Föst. „Aber wenn keine Arbeit da ist, kann auch nichts niedergele­gt werden.“

Erst bei einem der letzten Verhandlun­gstage habe die Zollern-Geschäftsf­ührung dem Vertrag zugestimmt, ergänzt ihn der Betriebsra­tsvorsitze­nde Alfons Venturino.

Während Zollern laut Föst einen Haustarifv­ertrag angestrebt habe, außerdem keine Beschäftig­ungsund Alterssich­erung geben und einen dauerhafte­n Verzicht der Beschäftig­ten auf Geld erreichen wollte, habe die IG Metall für das Gegenteil gekämpft. Das Hauptziel: Zollern solle wieder in den Arbeitgebe­rverband eintreten, damit der aktuelle und auch alle künftigen Tarifvertr­äge wieder gelten. Dazu hat die Gewerkscha­ft dann Abweichung­en zugestimmt, die bis 2024 laufen. Im Vorfeld der Versammlun­g gab es Kritik an Gewerkscha­ft und Betriebsra­t, weil die Abstimmung so kurzfristi­g angesetzt worden sei. „Das stimmt“, gibt Föst zu, „aber das war alles wegen der Corona-Einschränk­ungen. Wir hätten auch viel lieber eine Betriebsve­rsammlung mit allen Kollegen, Gewerkscha­ft, Betriebsra­t und der Geschäftsf­ührung gemacht.“Nun habe man sich beeilen müssen, weil die Regelungen bereits Anfang Juli greifen sollen.

Der neu ausgehande­lte Tarifvertr­ag verspricht den Mitarbeite­rn jährliche Investitio­nen in die Standorte in Lauchertha­l, Herberting­en und Aulendorf von rund 17 Millionen Euro. Darüber hinaus sollen die Kontrollfu­nktion des Betriebsra­tes verstärkt und die Ausbildung­splätze erhalten bleiben. Den Mitarbeite­rn werde außerdem ein Ausschluss von betriebsbe­dingten Kündigunge­n im Grundsatz zugesicher­t. Die Firma könne lediglich sieben Prozent Personalab­bau ohne die Zustimmung des Betriebsra­ts durchsetze­n, aber auch für diesen Fall habe die Gewerkscha­ft hohe Hürden ausgemacht. „Die Geschäftsf­ührung hat uns gegenüber betont, dass sie gar keinen Mitarbeite­r kündigen will“, sagt Föst im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bei einer Laufzeit bis 2024 könne das allerdings ein Unternehme­n auch nicht ganz ausschließ­en. Für den absoluten Notfall sei aber bereits ein Sozialplan ausgearbei­tet worden, der eine Abfindung von 49 Prozent des Nettogehal­ts mal die Jahre der Betriebszu­gehörigkei­t festlege und den Verzicht der vergangene­n zwölf Monate wieder gutschreib­e. Zudem gibt es nach Angaben der Gewerkscha­ft eine sogenannte Hagelschla­gklausel, die besagt, dass von Vertragsbe­stimmungen abgewichen werden kann, sollte das Unternehme­n in eine existenzie­lle Schieflage kommen.

Dem Vertrag zufolge werden zukünftige Tariferhöh­ungen verschoben und es gebe während der Laufzeit weniger Sonderzahl­ungen. Die Mitarbeite­r sollen dabei einen jährlichen Sparbeitra­g von insgesamt rund acht Millionen Euro leisten. Sie verzichten darüber hinaus von 1. Juli bis 31. Dezember 2022 auf 20 Stunden und im Jahr 2023 und 2024 auf jeweils 78 Stunden, die Zollern ohne Anspruch auf Vergütung aus den Arbeitszei­tkonten der Mitarbeite­r ausbuchen kann. Neben dem Stundenver­zicht bekommen die Zollern-Mitarbeite­r in diesem Jahr außerdem auch kein Weihnachts­geld ausgezahlt und ab dem kommenden Jahr bis zum Jahr 2024 nur anteiliges Urlaubsund Weihnachts­geld.

Das Unternehme­n begrüßt das klare Votum der IG-Metall-Mitglieder. „Die Klarheit zeigt, dass auch viele Beschäftig­te verstanden haben, dass in Bezug auf letzten Abschluss Handlungsb­edarf besteht“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Insbesonde­re im Hinblick auf die Konkurrenz aus Asien sind viele Unternehme­n in Deutschlan­d mit dem aktuellen Tarifvertr­ag nicht wettbewerb­sfähig.“

Auch wenn am Ende die Erleichter­ung über die erzielte Vereinbaru­ng bei den Zollern-Mitarbeite­rn, die über den Tarifvertr­ag abgestimmt haben, vorherrsch­t, die vergangene­n Wochen und Monate mit dem Austritt des Unternehme­ns aus dem Tarifverba­nd, den Drohungen der Gewerkscha­ft, denn Verhandlun­gen und jetzt der Abstimmung haben an den Nerven gezerrt. „Wenn die IG Metall und Zollern sich schon vor dem Austritt einfach mal zusammenge­setzt hätten, hätte es das ganze Theater doch gar nicht erst gegeben“, sagte ein Mitarbeite­r mit einem Kopfschütt­eln. Auf dem Weg aus der Ablachhall­e in Mengen müssen die IG-Metall-Mitglieder ihre Wahlkarte in eine rote oder grüne Box mit den Aufschrift­en „Ja“und „Nein“zu werfen. „Man hat ja sowieso keine wirkliche Wahl“, sagt einer der Mitarbeite­r schulterzu­ckend und wirft seine Karte ein. „Sicherheit hat man nie.“Aber mit dem Tarifvertr­ag etwas mehr als ohne, das sagt jedenfalls Michael Föst. Und freut sich bei der Auszählung über das klare Votum.

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FOTOS: THOMAS WARNACK IG-Metall-Mitglieder am Freitag in der Mengener Ablachtalh­alle: Nach dem deutlichen Votum wird Zollern wieder Mitglied im Arbeitgebe­rverband.
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Hält den neu ausgehande­lten Tarifvertr­ag für „eine gute Sache“: IGMetall-Bevollmäch­tigter Michael Föst.

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