Mit der Knarre rumgespielt
Die Staatsgalerie Stuttgart stellt das Künstlerpaar Uwe Lausen und Heide Stolz vor – endlich!
STUTTGART - Ob die Kinder die Szene seelisch gut verkraftet haben? Mit großen Augen schauen sie, wie der Vater mit dem Gewehr fuchtelt und die Waffe schließlich direkt auf die Kleinen richtet. Die Mutter greift nicht etwa ein, nein, sie drückt auf den Fotoapparat. Im Hause Lausen scheint manches anders gelaufen zu sein als in anderen Familien der Sechzigerjahre. Uwe Lausen war Maler, seine Frau Heide Stolz Fotografin – und die Kunst wurde ganz selbstverständlich Teil ihres Alltags und gemeinsamen Lebens, das allerdings sehr kurz war. Mit nur 29 Jahren brachte Uwe Lausen sich um.
Die Staatsgalerie Stuttgart widmet dem Künstlerpaar nun die Ausstellung „Du lebst nur keinmal“. Höchste Zeit, denn es war die Schirn Kunsthalle, die das Werk des Künstlerpaares vor zehn Jahren erstmals im großen Stil der Öffentlichkeit vorstellte. In Stuttgart dagegen, Lausens Heimat, scherte man sich lange nicht um ihn und sein Werk. Dabei ist es höchst sehenswert.
Lausens liebstes Motiv war das Wohnzimmer, das er als Ort des Grauens zeigt, an dem gemordet und vergewaltigt wird – auch wenn Lausen seine Szenen eher andeutet als ausformuliert. Hier winden sich Gestalten wie im Schmerz. Dann wieder posiert auf dem Bild „Besuch bei Blaubart“der Frauenmörder wie ein Popstar mit lässiger Sonnenbrille (1966), während Männer in Uniform nackte Frauen mit Gewehren in Schach halten. Immer wieder blitzt in Lausens Bildern latente Gewalt auf, die er aber hinter Farborgien versteckt.
Zunächst orientiert er sich an Vorbildern wie Francis Bacon und Hundertwasser, aber schon bald findet Lausen seinen eigenen, beeindruckend autonomen Stil: Raum ist hier keine geschlossene Einheit, sondern Lausen montiert Gegensätzliches zusammen und kombiniert fotografische Schwarz-Weiß-Motive mit malerischen Partien. Er liebt poppige Tapetendekors, wilde Muster und bunte Teppichornamente, die unübersehbar von der Ästhetik der Sechzigerjahre geprägt sind und ein Eigenleben führen. Wie Geschwüre breiten sie sich aus – und machen die Schreckensszenarien auch über die Malerei fühlbar.
Uwe Lausen scheint ein schwieriger Charakter gewesen zu sein. Das Verhältnis zum Vater war nicht das beste, auch wenn Willi Lausen, der für die SPD im Landtag von BadenWürttemberg saß, an sich ein liberaler Geist war, der sich schon früh für Gleichberechtigung einsetzte. Uwe Lausen will eigentlich Schriftsteller werden und kommt eher zufällig zur Malerei. In München lernt er die Fotografin Hilde Stolz kennen. Es müssen wilde Zeiten gewesen sein, die beiden ziehen auf einen Bauernhof in Bayern, den sie als „Zentrum der Reaktion“bezeichnen, das sich gegen „Mitläufer und Mitkäufer des unaufhaltsamen Fortschritts“richtet. Die Wände kunterbunt, der Geist von Drogen vernebelt.
Eine kleine Auswahl an Fotografien von Heide Stolz erinnern an das Leben der Lausens, aber sie hat auch verstörende Szenen inszeniert mit Frauen in knappem Lederrock in aufreizenden Posen und Kerlen in Cowboy-Manier. Das Miteinander der Geschlechter zeigt sie als gefährliches Spiel. Und auch wenn sie Uwe Lausen und die Töchter oder Freunde fotografiert, verbindet sie auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen Schönheit, Pop und brodelnde Gewalt. Immer wieder findet man auf den Fotografien von Heide Stolz wie auch auf Lausens Bildern Gewehre, die nachgerade Fetisch-Charakter haben.
Anders als die Frankfurter Schirn vor zehn Jahren zeigt die Staatsgalerie Stuttgart die Arbeiten der beiden nicht im Kontext der Sechzigerjahre und fragt auch nicht, was deren Qualität heute ausmacht. Stattdessen werden vor allem formale Fragen zu Stil oder bildnerischen Mitteln verhandelt, die Selima Niggle kürzlich in ihrer Doktorarbeit zu Lausen aufgearbeitet hat. Sie ist Ko-Kuratorin der Ausstellung.
Lang hielt die Beziehung zwischen Heide Stolz und Uwe Lausen nicht. Wie es mit Heide Stolz nach Lausens Selbstmord 1970 weiterging, erfährt man in der Ausstellung leider nicht. Mitte der Achtzigerjahre starb sie an Krebs. Beide haben kleine, aber bemerkenswerte Werke hinterlassen, die die Würdigung im Museum definitiv verdient haben.
Dauer: bis 18. Oktober, Öffnungszeiten: Di.-So. 10-17 Uhr, Do. 1020 Uhr, Weitere Infos unter: www.staatsgalerie.de