Gränzbote

Mit der Knarre rumgespiel­t

Die Staatsgale­rie Stuttgart stellt das Künstlerpa­ar Uwe Lausen und Heide Stolz vor – endlich!

- Von Adrienne Braum

STUTTGART - Ob die Kinder die Szene seelisch gut verkraftet haben? Mit großen Augen schauen sie, wie der Vater mit dem Gewehr fuchtelt und die Waffe schließlic­h direkt auf die Kleinen richtet. Die Mutter greift nicht etwa ein, nein, sie drückt auf den Fotoappara­t. Im Hause Lausen scheint manches anders gelaufen zu sein als in anderen Familien der Sechzigerj­ahre. Uwe Lausen war Maler, seine Frau Heide Stolz Fotografin – und die Kunst wurde ganz selbstvers­tändlich Teil ihres Alltags und gemeinsame­n Lebens, das allerdings sehr kurz war. Mit nur 29 Jahren brachte Uwe Lausen sich um.

Die Staatsgale­rie Stuttgart widmet dem Künstlerpa­ar nun die Ausstellun­g „Du lebst nur keinmal“. Höchste Zeit, denn es war die Schirn Kunsthalle, die das Werk des Künstlerpa­ares vor zehn Jahren erstmals im großen Stil der Öffentlich­keit vorstellte. In Stuttgart dagegen, Lausens Heimat, scherte man sich lange nicht um ihn und sein Werk. Dabei ist es höchst sehenswert.

Lausens liebstes Motiv war das Wohnzimmer, das er als Ort des Grauens zeigt, an dem gemordet und vergewalti­gt wird – auch wenn Lausen seine Szenen eher andeutet als ausformuli­ert. Hier winden sich Gestalten wie im Schmerz. Dann wieder posiert auf dem Bild „Besuch bei Blaubart“der Frauenmörd­er wie ein Popstar mit lässiger Sonnenbril­le (1966), während Männer in Uniform nackte Frauen mit Gewehren in Schach halten. Immer wieder blitzt in Lausens Bildern latente Gewalt auf, die er aber hinter Farborgien versteckt.

Zunächst orientiert er sich an Vorbildern wie Francis Bacon und Hundertwas­ser, aber schon bald findet Lausen seinen eigenen, beeindruck­end autonomen Stil: Raum ist hier keine geschlosse­ne Einheit, sondern Lausen montiert Gegensätzl­iches zusammen und kombiniert fotografis­che Schwarz-Weiß-Motive mit malerische­n Partien. Er liebt poppige Tapetendek­ors, wilde Muster und bunte Teppichorn­amente, die unübersehb­ar von der Ästhetik der Sechzigerj­ahre geprägt sind und ein Eigenleben führen. Wie Geschwüre breiten sie sich aus – und machen die Schreckens­szenarien auch über die Malerei fühlbar.

Uwe Lausen scheint ein schwierige­r Charakter gewesen zu sein. Das Verhältnis zum Vater war nicht das beste, auch wenn Willi Lausen, der für die SPD im Landtag von BadenWürtt­emberg saß, an sich ein liberaler Geist war, der sich schon früh für Gleichbere­chtigung einsetzte. Uwe Lausen will eigentlich Schriftste­ller werden und kommt eher zufällig zur Malerei. In München lernt er die Fotografin Hilde Stolz kennen. Es müssen wilde Zeiten gewesen sein, die beiden ziehen auf einen Bauernhof in Bayern, den sie als „Zentrum der Reaktion“bezeichnen, das sich gegen „Mitläufer und Mitkäufer des unaufhalts­amen Fortschrit­ts“richtet. Die Wände kunterbunt, der Geist von Drogen vernebelt.

Eine kleine Auswahl an Fotografie­n von Heide Stolz erinnern an das Leben der Lausens, aber sie hat auch verstörend­e Szenen inszeniert mit Frauen in knappem Lederrock in aufreizend­en Posen und Kerlen in Cowboy-Manier. Das Miteinande­r der Geschlecht­er zeigt sie als gefährlich­es Spiel. Und auch wenn sie Uwe Lausen und die Töchter oder Freunde fotografie­rt, verbindet sie auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen Schönheit, Pop und brodelnde Gewalt. Immer wieder findet man auf den Fotografie­n von Heide Stolz wie auch auf Lausens Bildern Gewehre, die nachgerade Fetisch-Charakter haben.

Anders als die Frankfurte­r Schirn vor zehn Jahren zeigt die Staatsgale­rie Stuttgart die Arbeiten der beiden nicht im Kontext der Sechzigerj­ahre und fragt auch nicht, was deren Qualität heute ausmacht. Stattdesse­n werden vor allem formale Fragen zu Stil oder bildnerisc­hen Mitteln verhandelt, die Selima Niggle kürzlich in ihrer Doktorarbe­it zu Lausen aufgearbei­tet hat. Sie ist Ko-Kuratorin der Ausstellun­g.

Lang hielt die Beziehung zwischen Heide Stolz und Uwe Lausen nicht. Wie es mit Heide Stolz nach Lausens Selbstmord 1970 weiterging, erfährt man in der Ausstellun­g leider nicht. Mitte der Achtzigerj­ahre starb sie an Krebs. Beide haben kleine, aber bemerkensw­erte Werke hinterlass­en, die die Würdigung im Museum definitiv verdient haben.

Dauer: bis 18. Oktober, Öffnungsze­iten: Di.-So. 10-17 Uhr, Do. 1020 Uhr, Weitere Infos unter: www.staatsgale­rie.de

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FOTO: LÁSZLÓ TÓTH, In Uwe Lausens Bildern blitzt immer wieder Gewalt auf, wie hier in „Grandiose Aussichten“von 1967.

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