Wir schwätzen Schwäbisch - aber alle anders
In der Region mischen sich verschiedene Spielarten des Dialekts
HEUBERG - Dass der Kreis Tuttlingen zwischen Schwäbischer Alb, Bodensee und Schwarzwald eingeklemmt ist, merkt man ihm auch sprachlich an. Schon zwischen Heuberg und Primtal sind feine Unterschiede zu hören. Noch deutlicher wird es dann, wenn plötzlich ein Immendinger dazu stößt.
Solche Unterschiede zu erforschen und sichtbar zu machen, ist die Aufgabe von Rudolf Bühler. Der Sprachwissenschaftler erforscht an der Universität Tübingen die Dialekte in Baden-Württemberg.
Bühler versucht unter anderem die Sprache nach geographischen Grenzen zu ordnen. Ergebnis dieser Arbeit ist unter anderem der Sprachatlas Baden-Württemberg. In dem zeichnet Bühler verschiedene Dialektgebiete aus. Dafür untersucht er, wie bestimmte Laute unterschiedlich klingen.
Den nördlichen Landkreis Tuttlingen, bis hin zu einer imaginären Linie zwischen Seitingen-Oberflacht und Fridingen, rechnen Bühler und seine Kollegen dem sogenannten Westschwäbisch zu. Gemäß dem Atlas wird das bis in den nördlichen Landkreis Böblingen und sogar im südlichen Landkreis Ludwigsburg noch gesprochen. Im Westen wird das Gebiet laut Atlas von der Hornisgrinde im Schwarzwald und im Osten vom Schönbuch bei Tübingen begrenzt.
Bühler sagt: „Zu den Hauptmerkmalen des Westschwäbischen gehört zum Beispiel die mittelhochdeutsche Aussprache von ei, ê, ô und a in Wörtern wie 'breit’, 'Schnee’ und 'Wagen’. Im nördlichen Kreis Tuttlingen werden sie 'broat’, 'Schnee’, 'grauß’ und 'Waga’ ausgesprochen.“
Südlich von Seitingen-Oberflacht ist im Sprachatlas Südschwäbisch als vorherrschender Dialekt verzeichnet. Das zieht sich vom Landkreis Tuttlingen quer durch die Kreise Sigmaringen und Biberach bis an die Iller. Im Norden verläuft die Grenze zum Zentralschwäbischen weiter auf der Linie zwischen Stetten am Kalten Markt und Vöhringen an der Iller. Im Süden erreicht dieses Gebiet fast die Stadt Ravensburg.
Im Südwesten spaltet der Sprachatlas nochmal einen kleinen Zipfel vom Landkreis ab. Südlich einer Linie, die etwa zwischen Talheim und der Donauversickerung verläuft, sprechen die Menschen BodenseeAlemannisch. Das wird dem Atlas nach in einem Korridor gesprochen, der sich von Schramberg über Konstanz bis nach Immenstaad am Bodensee zieht.
Diese Einteilung macht Bühler, indem er die Menschen vor Ort mit einem Fragenkatalog befragt. In vier Wochen befragt er etwa 100 Personen. Dabei werden verschiedene Kategorien durchgegangen, die dann zeigen, wie bestimmte Worte in den Gebieten klingen.
Es werde dann verglichen, wie sich diese Laute seit der mittelhochdeutschen Zeit vor etwa 800 Jahren verändert haben. Ein Beispiel dafür sei etwa die Aussprache des Wortes „groß“. Bühler erklärt: „Im nördlichen Kreis Tuttlingen wird das 'grauß’ ausgesprochen, im südschwäbischen Teil hieße das 'grooß’.“Im bodensee-alemannischen Teil sei das auch so. Allerdings gebe es dort dafür das û in Wörtern wie Haus. Daraus wird dann “Huus“.
Allerdings sind auch nicht immer aller Grenzen scharf. Zum Beispiel sagt der ganze Landkreis Tuttlingen „broat“statt „breit“. Im Nachbarlandkreis Sigmaringen verändert sich das zu „broet“. Sprachgrenzen zwischen Alt-Württemberg und den ehemals vorderösterreichischen Landesteilen will Bühler keine ausmachen. Zu verstreut seien die vorderösterreichischen Besitzungen gewesen, um klare Grenzen ausmachen zu können.
Wer allerdings aus Richtung Schwarzwald badische Einflüsse vermutet, der liegt falsch. „Badisch als Dialekt gibt es so nicht“, sagt Bühler. Im Süden des ehemaligen Großherzogtums Schwaben gebe es stattdessen eben das Bodensee-Alemannische, aber auch das OberrheinischAlemannische. Das wird im Südschwarzwald und im Freiburger Raum gesprochen.
Für den Unterschied in der Mundart zwischen Heuberg und Primtal könne es laut Bühler unterschiedliche Gründe geben: „Wir müssen bei der Betrachtung sprachlicher Unterschiede immer differenzieren, welche Unterschiede in den Bereichen Lautung, Grammatik und Wortschatz es tatsächlich zwischen zwei Gruppen gibt.“
Erst wenn viele solche Unterscheide zusammenkämen, könne man von einer Mundartgrenze sprechen. Diese würden entstehen, wenn der Sprachkontakt zwischen Gruppen erschwert sei. Früher durch geographische Hindernisse. Heute eher durch Verwaltungsgrenzen, Einkaufsverhalten oder ÖPNV-Linien.