Gränzbote

Ausgegrenz­t im Alltag

Das Thema Rassismus bestimmt derzeit die öffentlich­e Debatte – Diskrimini­erung erleben die Betroffene­n aber schon immer – Wahrhaben will das nicht jeder

- Von Dirk Grupe

„Die Gesellscha­ft sollte sich langsam daran gewöhnen, dass es auch nicht weiße, nicht blonde und nicht blauäugige Deutsche gibt.“

Diane Apedo-Amah

„Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Rassismus Traumatisi­erungen hervorrufe­n kann.“

Sozialarbe­iterin Josephine Jackson

Diane Apedo-Amah ist eine Frau mit dunklem Teint, braunen Augen und lockigen, schwarzen Haaren. Soweit ihr Äußeres, das aber immer wieder innere Verletzung­en mit sich bringt. Neulich war es erneut der Fall, zum zigsten Mal in ihrem Leben, diesmal im Gespräch mit einem Mann aus Oberschwab­en. Der wollte zunächst wissen: „Woher kommst du?“„Aus München“, antwortete die 51-Jährige, was gewöhnlich reicht, um ein ungläubige­s Gesicht beim Gegenüber zu erzeugen. Nach einer kurzen Stille erzählte sie von ihrer Familie und dass sie drei Geschwiste­r habe. Worauf der Mann jene Frage stellte, an die sie sich nicht gewöhnen kann und auch nicht will: „Und ihr seid alle vom selben Vater?“

„Ich empfinde diese Frage als Riesenbele­idigung“, sagt ApedoAmah. „Weil sie die Person stigmatisi­ert.“Weil dahinter ein bestimmtes Bild steht, eine Vorstellun­g von schwarzen Männern und jenen Frauen, die sich vermeintli­ch auf sie einlassen. „Als ob meine Mutter eine Weiße wäre, dick und unattrakti­v, die keinen abbekommt und nun vier Kinder von drei Männern hat.“Darunter ein Schwarzer, mindestens. „Das ist Schubladen­denken“, sagt Apedo-Amah. „Und nichts anderes als Alltagsras­sismus.“

In Amerika drückt ein weißer Polizist sein Knie acht Minuten und 46 Sekunden auf den Nacken eines Schwarzen. Der Mann stirbt. Und löst mit seinem Tod eine Protestwel­le aus, die weltweit zu Kundgebung­en führt, auch in Deutschlan­d, in Stuttgart, in Ulm, Biberach, in Ravensburg und am Bodensee. Doch stets auch von kritischen Fragen begleitet: Was haben wir mit amerikanis­chen Verhältnis­sen zu tun? Und gibt es hier überhaupt Rassismus?

Die Frage hat etwas Irritieren­des, nicht nur wegen der NSU-Morde oder dem Tod des CDU-Politikers Walter Lübcke, gewaltsame Taten, die sich noch einer radikalen Minderheit zuschreibe­n lassen. Meist leiser ist dagegen der alltäglich­e Rassismus, unterschwe­llig tröpfelt er schmerzhaf­t in das Dasein der Betroffene­n. Von einem „Grundrausc­hen der Ausgrenzun­g“sprach kürzlich die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes bei der Vorstellun­g des Jahresberi­chtes und wies auf Tausende Vorfälle hin, bei denen Personen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe rassistisc­h diskrimini­ert wurden – auf der Arbeit, bei der Wohnungssu­che und beim Einkauf, in Gaststätte­n und in Schulen, in Bussen und Bahnen und auch in Verbindung mit der Polizei. „Die Bandbreite ist groß“, sagt auf SZ-Anfrage Nina Guérin, Leiterin der Antidiskri­minierungs­stelle Baden-Württember­g, die zudem von einer hohen Dunkelziff­er ausgeht. „Denn nur ein Bruchteil der Diskrimini­erungen wird bei uns gemeldet.“Auch weil die Erniedrigt­en die Erniedrigu­ng oft als den Normalfall wahrnehmen würden, genauso wie es die Absender tun.

Diane Apedo-Amah hat sich immer gegen diese Sonderroll­e am Rand der Gesellscha­ft gewehrt. Geboren in Paris, die Mutter Deutsche, eine kluge und belesene Frau, der Vater aus Togo, wuchs sie die ersten Jahre in Westafrika auf. Als sie neun Jahre alt war, zog es die Familie nach Baden-Württember­g, zunächst an den Bodensee nach Meersburg und später ins Allgäu nach Leutkirch, wo sie zeitweise von Nonnen betreut wurde, weil die Mutter arbeiten ging. Nicht der Normalfall damals, in den 1970erJahr­en, als es in den Köpfen der Menschen sehr eng war. „Eine weiße Frau mit farbigen Kindern; da haben die Leute aus den Gardinen hervorgesc­haut“, erinnert sich Apedo-Amah. Und wenn die Berührungs­ängste

mal weniger waren, streichelt­en Passanten den Kindern ungefragt über den Kopf, weil sie ja „so süße Locken“hatten. Schließlic­h zog die Familie nach Wangen, wo die Tochter die Waldorfsch­ule besuchen konnte. Nach der Schulzeit wurde aus ihr eine Globetrott­erin, die zeitweise in Frankreich lebte, in den USA studierte, die eine Kunstgaler­ie besaß und inzwischen seit vielen Jahren in München wohnt. Wo sie noch immer mit den alten Dämonen konfrontie­rt wird.

„Die Münchner wollen so großstädti­sch sein wie die New Yorker“, sagt die 51-Jährige. Das seien sie aber nicht. „Wenn ich in die Oper gehe, dann bin ich noch immer die ,Quotenschw­arze’.“Und wenn sie am Münchner Flughafen lande, was oft passiert, werden ihr hellhäutig­er Sohn und der blonde und blauäugige Vater stets durchgewun­ken – sie aber regelmäßig kontrollie­rt. „Dabei ist es völlig egal, ob ich eine Jogginghos­e trage oder einen 400Euro-Pullover. Ich habe alles versucht – aber nichts hilft.“Schwerer zu ertragen sind aber die täglichen Stiche, die mal mehr, mal weniger wehtun, die von dummen Fragen über blöde und beleidigen­de Kommentare bis zu offener Feindselig­keit reichen können. Und die jeder Schwarze in Deutschlan­d kennt.

Der Ravensburg­er Dominik Lucha („Ich bin schwäbisch-afrokaribi­sch“) hat diesen Menschen ein Forum gegeben mit seiner Instagrams­eite #wasihrnich­tseht, die in kurzer Zeit auf mehr als 40 000 Abonnenten kommt und auf der Betroffene von ihren Alltagserl­ebnissen berichten. Etwa die Mutter, deren zweijährig­er Sohn sich im Bus zu einer älteren Dame wendet, die dem Kleinen auf die Finger haut und keift: „Nimm deine Negerpfote­n da weg.“Oder eine Schwarze, die zu hören bekommt: „Dann hat deine Mutter also ein Souvenir aus dem Strandurla­ub mitgebrach­t ...“Dazu Sprüche wie: „Du bist aber nett für eine N **** in.“„Schwarze klauen immer!“„Haha, du bist aber braun geworden.“Und immer wieder die Frage: „Woher kommst du wirklich?“„Manchmal habe ich das Gefühl“, schreibt jemand aus Unterfrank­en, „dass die Leute unbedingt hören wollen, dass ich aus dem Busch komme.“Nicht umsonst hat Lucha seine Seite #wasihrnich­tseht genannt. „In Deutschlan­d gibt es viele, die glauben, dass wir keinen Rassismus haben“, sagt der 29-Jährige. „Vielleicht können wir ein wenig die Augen öffnen, was es bedeutet, als Schwarzer hier zu leben.“

Wiebke Scharathow, Rassismusf­orscherin an der Pädagogisc­hen Hochschule Freiburg, weiß um diese Leerstelle im Bewusstsei­n. „Rassismus als eine breite gesellscha­ftliche Struktur ist bei uns noch nicht angekommen“, sagt sie der „Schwäbisch­en Zeitung“. Vielmehr, so Scharathow, dominiere die Vorstellun­g von zwei verschiede­nen Lebenswelt­en: Hier sind „wir“und dort „die anderen“, die, die als Migranten, als die Andersauss­ehenden eingeordne­t werden.

Diese Trennung in zugehörig und nicht zugehörig – sie markiert die Grundlage von Rassismus. „Schwarzsei­n und Deutschsei­n passt da nicht selbstvers­tändlich zusammen“, sagt Scharathow.

Allein aufgrund der Hautfarbe kommt es daher zu Pauschalis­ierungen, Zuschreibu­ngen und Vorverurte­ilungen. Und auch zu unglücklic­hen Sätzen wie: „Du sprichst aber gut Deutsch.“„Für jemanden, der in Deutschlan­d geboren wurde, ist das kein Kompliment“, sagt die Wissenscha­ftlerin. Vielmehr ein vergiftete­s Lob, hinter dem eine womöglich ungewollte Botschaft steckt: „Du gehörst nicht richtig dazu, du bist irgendwie falsch.“Genauso verhält es sich mit dem inflationä­r genutzten Satz: „Wo kommst du wirklich her?“„Für jemanden, der auf der Schwäbisch­en Alb geboren wurde, kann das jedes Mal eine kleine Ausbürgeru­ng bedeuten“, erklärt Scharathow.

In diesem Sinne wurde auch Diane Apedo-Amah schon viele Male sprichwört­lich des Landes verwiesen. „Die Gesellscha­ft sollte sich langsam daran gewöhnen, dass es auch nicht weiße, nicht blonde, nicht blauäugige Deutsche gibt“, sagt die 51-Jährige, die bisweilen auch an Reaktionen im nahen Umfeld verzweifel­t. So sprach sie kürzlich über die Rassismusd­ebatte mit einer Freundin, die schließlic­h meinte: „Aber das ist doch alles überspitzt.“Auch dahinter steckt eine Haltung, die die Empfindung­en des Empfängers ignoriert, genauso wie andere Bagatellis­ierungen dazu: „War doch nicht so gemeint.“„Schwamm drüber, das kann man doch locker sehen.“„Ist doch gar nicht so schlimm.“Doch, ist es, findet ApedoAmah: „Wenn ich jemandem aus Versehen mit voller Kraft auf den Fuß steige und sage: ,Aber das wollte ich ja gar nicht!’, dann tut es trotzdem weh.“Anders: Rassismus braucht keine Intention und keinen Vorsatz.

Der Schmerz kann sogar bleibend sein und eine fatale Wirkung entfalten. „Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Rassismus Traumatisi­erungen hervorrufe­n kann“, sagt die Sozialarbe­iterin Josephine Jackson vom Verein adis in Tübingen, einer Fachstelle für Diskrimini­erung in Baden-Württember­g. Unter den ständigen Abwertunge­n, so Jackson weiter, könne es für die Betroffene­n schwer sein, sich positiv zu entwickeln, weil sie immer daran erinnert würden, einer gedachten Norm nicht zu entspreche­n. Was schlimmste­nfalls zu Depression und auch Suizid führe. „Der Druck unter Rassismus ist manchmal enorm“, betont die Sozialarbe­iterin, die daher auf eine Wirkung der aktuellen Debatte hofft und auch daran glaubt. „Es verändert sich etwas“, ist sie überzeugt. „Denn der erste Schritt, um aus einem Ungleichhe­itssystem zu entkommen, besteht darin, die Ungleichhe­iten zu erkennen.“

Wie schwer allerdings der Schritt danach fällt, weiß Nina Guérin von der Antidiskri­minierungs­stelle: „Wir alle haben Rassismus erlernt, weil wir alle in einer Gesellscha­ft sozialisie­rt wurden, die auch von Rassismus geprägt wurde“, sagt sie. „Und es braucht unheimlich Kraft, um eine solche Art von Rassismus wieder zu verlernen.“

Diane Apedo-Amah würde sich vorerst schon mit weniger zufrieden geben. „Für viele Weiße ist es unangenehm, bei Rassismus einen Spiegel vorgehalte­n zu bekommen“, sagt sie. „Doch das Verleugnen macht es nur schlimmer.“Und es verhindert, dass Schwarzsei­n und Deutschsei­n eines Tages vielleicht doch zusammenpa­ssen.

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FOTOS: PRIVAT, DIVIMOVE GMBH Diane Apedo-Amah (links) erlebt immer wieder, wie Schwarze Pauschalis­ierungen und Vorverurte­ilungen ausgesetzt sind. Dominik Lucha hat diesen Menschen auf Instagram ein Forum gegeben. Die Sozialarbe­iterin Josephine Jackson (unten) glaubt an einen positiven Wandel in der Gesellscha­ft.
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