Gränzbote

Was die Randaliere­r von Stuttgart bewegte

Parteien stellen sich bei Landtagsde­batte einmütig hinter die Polizei

- Von Katja Korf

STUTTGART - Nach den Krawallen von Stuttgart haben sich die im Landtag vertretene­n Parteien einmütig hinter die Polizei gestellt. Bei der Suche nach Ursachen und Antworten tun sich die meisten Politiker schwer. Das zeigte die Debatte am Mittwoch im Stuttgarte­r Landtag.

Im Laufe des Tages hatte die Polizei einen weiteren Verdächtig­en festgenomm­en. Der 15-Jährige soll sich an den Plünderung­en beteiligt haben. Die Polizei ermittelt damit laut Innenminis­terium gegen 26 Personen, darunter zwei Frauen. Mehrere der Verdächtig­en sitzen in Untersuchu­ngshaft. Sie sind zwischen 14 und 33 Jahren alt. 13 der 26 sind Deutsche, wie viele einen Migrations­hintergrun­d haben, ist noch nicht bekannt. Zuletzt war von drei die Rede. Unter den übrigen Verdächtig­en sind neun Asylbewerb­er, zwei der Anträge wurden abgelehnt. Ein Bosnier hat aber eine Duldung für den Aufenthalt in Deutschlan­d, ein Somalier kann wegen der Lage in seinem Heimatland nicht abgeschobe­n werden. Somalia hat keine funktionie­rende Regierung, Milizen und Armee liefern sich Gefechte. Der Flugverkeh­r ist eingestell­t.

Insgesamt hatten in der Nacht von Samstag auf Sonntag laut Polizei rund 500 Menschen randaliert. 19 Polizisten wurden verletzt, knapp 40 Geschäfte zerstört und neun geplündert. Derzeit haben die Behörden nach eigenen Angaben weiter keine Hinweise auf eine politische Motivation des Gewaltausb­ruchs.

Welche Motive stattdesse­n zu den „Gewaltexze­ssen“führten, müsse dringend geklärt werden, sagte Baden-Württember­gs SPD-Fraktionsu­nd Parteichef Andreas Stoch. Für abschließe­nde Antworten sei es zu früh. Aber Auslöser sei nicht nur die Corona-Pandemie oder die aktuelle Rassismusd­ebatte gewesen. Es gebe zunehmend „eine krankhafte Unfähigkei­t, das eigene Ego mit den Regeln des Zusammenle­bens in Einklang zu bringen.“

Ausdrückli­ch sprach Stoch der Polizei das Vertrauen aus und wies Versuche zurück, die SPD als „staatsfein­dlich“zu etikettier­en. „Wann immer es auf deutschem Boden eine Demokratie gab, standen wir auf der Seite des Rechtsstaa­tes. Denn nur dieser garantiert eine freie Gesellscha­ft“, so Stoch. Redner von CDU, AfD und FDP hatten zuvor Äußerungen von SPD-Bundeschef­in Saskia Esken über „latenten Rassismus“bei der deutschen Polizei scharf kritisiert. Das trage zu einem Klima des Misstrauen­s gegen Polizisten bei. Stoch gab zu, Eskens Äußerung sei „ein Fehler“gewesen. Es sei jedoch richtig, auf einzelne Fälle von Rassismus bei der Polizei hinzuweise­n und diese zu untersuche­n.

Innenminis­ter Thomas Strobl betonte in der Debatte, man werde die Vorfälle in der Krawallnac­ht so rasch wie möglich aufklären. Es handle sich um „einen widerwärti­gen Mob, primitive Plünderer“. Dennoch gelte es, besonnen und angemessen zu reagieren: „Wir werden Gewalt nicht mit Gewalt beantworte­n.“Als erste Maßnahme sollen am kommenden Wochenende mehrere Hundertsch­aften der Polizei in Stuttgart für Ruhe sorgen.

Doch die Polizei allein könne die Probleme nicht lösen. Besonders die Stadtverwa­ltung müsse ihrerseits aktiv werden für mehr Sicherheit in Stuttgart. „Ich freue mich, dass ich inzwischen entspreche­nde Signale erhalten habe“, so Strobl. Für seine im Vorfeld geäußerte Kritik an der Stadt erntete Strobl Schelte vom FDP-Fraktionsv­orsitzende­n HansUlrich

Rülke: „Das ist der Versuch, Verantwort­ung abzuwälzen.“Auch an der Rede seines Amtskolleg­en Andreas Schwarz (Grüne) rieb sich der FDP-Opposition­spolitiker: „Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt, das alles habe mit Politik nichts zu tun.“Schwarz hatte hervorgeho­ben, die Randaliere­r seien Kriminelle, die es zu bestrafen gelte. Ebenso wenig duldeten die Grünen Hass und Gewalt gegen Polizisten. Bei den Ursachen war sich Grünen-Redner Schwarz sicher: „Diese Ausschreit­ungen besoffener junger Männer hatten keinen politische­n Hintergrun­d.“Weitere Exzesse dieser Art gelte es mit mehr Polizei zu verhindern – aber auch mit Prävention etwa durch Streetwork­er oder Nachtbürge­rmeister.

Das sieht die AfD völlig anders. Für sie sind zwei Gruppen verantwort­lich: Migranten und Linksextre­misten. Medien und Politik würden das bewusst verschweig­en, sagte AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel. Wer Widerstand gegen die US-Polizei rechtferti­ge, weil diese sich angeblich rassistisc­h verhalte, mache Attacken gegen Polizisten in Deutschlan­d salonfähig.

In den USA ist laut „Washington Post“das Risiko von Afroamerik­anern, durch Polizeigew­alt ums Leben zu kommen, etwa dreimal so hoch wie beispielsw­eise für Weiße. Dass die deutsche Polizei in dieser Hinsicht keinesfall­s mit den US-Behörden vergleichb­ar ist, war gestern Konsens aller Redner.

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FOTO: SIMON ADOMAT/DPA Polizisten im Einsatz während der Stuttgarte­r Krawallnac­ht: Am kommenden Wochenende sollen die Beamten in der Innenstadt mehrere Hundertsch­aften als Verstärkun­g bekommen.

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