Klauen – egal was
Ein Prozess in München wirft ein Schlaglicht auf das Phänomen der Lkw-Planenschlitzer
MÜNCHEN - Sie schlagen meist nachts und auf Autobahnparkplätzen zu: Sogenannte Planenschlitzer stehlen jedes Jahr Waren im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro von Lkw-Ladeflächen. In München hat nun der Prozess gegen eine Diebesbande begonnen.
Eine Septembernacht im Jahr 2018: Dunkelheit umgibt die Sattelschlepper, die am Parkplatz Wertachtal-Nord an der A 96 in Richtung Lindau abgestellt sind. Irgendwann zwischen 23.30 Uhr und 3 Uhr, so wird es die Münchner Staatsanwaltschaft später darlegen, machen sich vier Männer im Alter von 20 bis 32 Jahren an den Lastwagen zu schaffen. Erst schlitzen sie die Planen der Sattelanhänger auf, danach durchsuchen sie die Ladung. Ihre Ausbeute ist dürftig: Bei sechs Sattelanhängern schlitzt das Quartett die Planen auf, doch nur in einem einzigen Fall nehmen sie etwas mit – und zwar sieben Paletten mit 34 Fahrrädern im Gesamtwert von 5100 Euro.
Wenige Monate zuvor hat die Bande auf der A 8 am Parkplatz Adelzhauser Berg-Süd 370 Paar
Schuhe im Wert von 25 000 Euro aus einem Sattelzug geklaut; bei einer anderen Tat im Oktober erbeutet sie an derselben Stelle mehr als 140 Hochdruck-, Dampf- und Bodenreiniger, deren Gesamtwert auf 41 000 Euro taxiert wird.
Zwischen Mai und November 2018, so hat es die Staatsanwaltschaft ermittelt, schlagen die vier Männer sowie zwei weitere Bandenmitglieder fast im Wochentakt auf verschiedenen Autobahnparkplätzen vor allem in Bayern zu. Die Bande stiehlt dabei so ziemlich alles, was ihr auch nur im Entferntesten wertvoll erscheint –
Weinflaschen, Computerzubehör, Schneefräsen und Fernseher, aber auch 60 Büchsen Dosenbier und ein fünf Euro teures Parfüm. Nach mindestens 30 Taten, bei denen sie Diebesgut im Wert von mehr als 200 000 Euro erbeuten, werden die Männer am 30. November auf einem Parkplatz an der A 3 geschnappt. Eineinhalb Jahre später müssen sich nun fünf von ihnen vor dem Münchner Landgericht verantworten. Der Vorwurf lautet: schwerer Bandendiebstahl.
Der Prozessauftakt am Mittwoch findet im Hochsicherheits-Gerichtssaal in der JVA Stadelheim statt. Während die Staatsanwältin gut eine halbe Stunde lang die zwanzigseitige Anklageschrift verliest, zeigen die fünf Angeklagten keinerlei Regung. Hinterher erklären die Verteidiger unisono, dass sich ihre Mandanten zumindest an diesem Tag weder zur Person noch zur Sache äußern werden.
Prozesse wie dieser in München sind in deutschen Gerichten an der Tagesordnung. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) geht auf Basis von Angaben einzelner Landeskriminalämter bei „Ladungsdiebstählen“im Bundesgebiet von einer jährlichen Fallzahl im hohen vierstelligen Bereich
aus. Im Schnitt wären das 15 bis 20 Taten pro Tag. Das Gros der Delikte entfällt dabei auf sogenannte Planenschlitzer-Diebstähle. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schätzt den Wert der dabei gestohlenen Güter auf 300 Millionen Euro im Jahr. Noch höher seien die Folgeschäden durch Verzögerungen und Produktionsausfälle.
Dem BAG zufolge sind die Täter „fast ausschließlich männlich und stammen überdurchschnittlich oft aus osteuropäischen Ländern“. Auffällig häufig schlagen Planenschlitzer demnach in Grenzregionen zu, in der Nähe großer Häfen und auf Transitautobahnen. . Vom LKA Baden-Württemberg heißt es, dass erfahrungsgemäß die A 6 und die A 8 „überproportional repräsentiert“seien. Generell sieht die Behörde aber „für dieses Deliktphänomen keinen Schwerpunkt in unserem Bundesland“.
Die fünf Männer im Münchner Gerichtssaal sollen laut Anklageschrift in ganz Süddeutschland ihr Unwesen getrieben haben. Ihnen droht bei einer Verurteilung zwischen einem und zehn Jahren Haft. Mit einem Urteil ist wohl erst im kommenden Jahr zu rechnen.