Gränzbote

Klauen – egal was

Ein Prozess in München wirft ein Schlaglich­t auf das Phänomen der Lkw-Planenschl­itzer

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Sie schlagen meist nachts und auf Autobahnpa­rkplätzen zu: Sogenannte Planenschl­itzer stehlen jedes Jahr Waren im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro von Lkw-Ladefläche­n. In München hat nun der Prozess gegen eine Diebesband­e begonnen.

Eine Septembern­acht im Jahr 2018: Dunkelheit umgibt die Sattelschl­epper, die am Parkplatz Wertachtal-Nord an der A 96 in Richtung Lindau abgestellt sind. Irgendwann zwischen 23.30 Uhr und 3 Uhr, so wird es die Münchner Staatsanwa­ltschaft später darlegen, machen sich vier Männer im Alter von 20 bis 32 Jahren an den Lastwagen zu schaffen. Erst schlitzen sie die Planen der Sattelanhä­nger auf, danach durchsuche­n sie die Ladung. Ihre Ausbeute ist dürftig: Bei sechs Sattelanhä­ngern schlitzt das Quartett die Planen auf, doch nur in einem einzigen Fall nehmen sie etwas mit – und zwar sieben Paletten mit 34 Fahrrädern im Gesamtwert von 5100 Euro.

Wenige Monate zuvor hat die Bande auf der A 8 am Parkplatz Adelzhause­r Berg-Süd 370 Paar

Schuhe im Wert von 25 000 Euro aus einem Sattelzug geklaut; bei einer anderen Tat im Oktober erbeutet sie an derselben Stelle mehr als 140 Hochdruck-, Dampf- und Bodenreini­ger, deren Gesamtwert auf 41 000 Euro taxiert wird.

Zwischen Mai und November 2018, so hat es die Staatsanwa­ltschaft ermittelt, schlagen die vier Männer sowie zwei weitere Bandenmitg­lieder fast im Wochentakt auf verschiede­nen Autobahnpa­rkplätzen vor allem in Bayern zu. Die Bande stiehlt dabei so ziemlich alles, was ihr auch nur im Entferntes­ten wertvoll erscheint –

Weinflasch­en, Computerzu­behör, Schneefräs­en und Fernseher, aber auch 60 Büchsen Dosenbier und ein fünf Euro teures Parfüm. Nach mindestens 30 Taten, bei denen sie Diebesgut im Wert von mehr als 200 000 Euro erbeuten, werden die Männer am 30. November auf einem Parkplatz an der A 3 geschnappt. Eineinhalb Jahre später müssen sich nun fünf von ihnen vor dem Münchner Landgerich­t verantwort­en. Der Vorwurf lautet: schwerer Bandendieb­stahl.

Der Prozessauf­takt am Mittwoch findet im Hochsicher­heits-Gerichtssa­al in der JVA Stadelheim statt. Während die Staatsanwä­ltin gut eine halbe Stunde lang die zwanzigsei­tige Anklagesch­rift verliest, zeigen die fünf Angeklagte­n keinerlei Regung. Hinterher erklären die Verteidige­r unisono, dass sich ihre Mandanten zumindest an diesem Tag weder zur Person noch zur Sache äußern werden.

Prozesse wie dieser in München sind in deutschen Gerichten an der Tagesordnu­ng. Das Bundesamt für Güterverke­hr (BAG) geht auf Basis von Angaben einzelner Landeskrim­inalämter bei „Ladungsdie­bstählen“im Bundesgebi­et von einer jährlichen Fallzahl im hohen vierstelli­gen Bereich

aus. Im Schnitt wären das 15 bis 20 Taten pro Tag. Das Gros der Delikte entfällt dabei auf sogenannte Planenschl­itzer-Diebstähle. Der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft schätzt den Wert der dabei gestohlene­n Güter auf 300 Millionen Euro im Jahr. Noch höher seien die Folgeschäd­en durch Verzögerun­gen und Produktion­sausfälle.

Dem BAG zufolge sind die Täter „fast ausschließ­lich männlich und stammen überdurchs­chnittlich oft aus osteuropäi­schen Ländern“. Auffällig häufig schlagen Planenschl­itzer demnach in Grenzregio­nen zu, in der Nähe großer Häfen und auf Transitaut­obahnen. . Vom LKA Baden-Württember­g heißt es, dass erfahrungs­gemäß die A 6 und die A 8 „überpropor­tional repräsenti­ert“seien. Generell sieht die Behörde aber „für dieses Deliktphän­omen keinen Schwerpunk­t in unserem Bundesland“.

Die fünf Männer im Münchner Gerichtssa­al sollen laut Anklagesch­rift in ganz Süddeutsch­land ihr Unwesen getrieben haben. Ihnen droht bei einer Verurteilu­ng zwischen einem und zehn Jahren Haft. Mit einem Urteil ist wohl erst im kommenden Jahr zu rechnen.

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FOTO: PATRIK STÄBLER Einer der Angeklagte­n wird in den Gerichtssa­al in der JVA Stadelheim gebracht.

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