Gränzbote

„Mit Gentechnik grüne Ziele voranbring­en“

Südwest-Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer missfällt das strikte Nein ihrer Partei zu der Technologi­e

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STUTTGART - Die Grünen sollten der Gentechnik eine Chance geben, findet die baden-württember­gische Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer. Neue Methoden wie die sogenannte Genschere Crispr/Cas könnten schon bald einen Beitrag zur Nachhaltig­keit leisten, heißt es in einem Thesenpapi­er von Bauer und weiteren 21 grünen Wissenscha­ftspolitik­ern aus Bund, Ländern und EU-Parlament. In der traditione­ll der Gentechnik sehr kritisch gegenübers­tehenden Partei stößt das auf viel Skepsis. Dennoch kann sich die Ministerin vorstellen, auf den Forschungs­äckern der Uni Hohenheim Genpflanze­n anbauen zu lassen, sagt Bauer im Gespräch mit Katja Korf.

Frau Bauer, die Grünen lehnen Gentechnik ab. Was sollte Ihre Partei an dieser Position überdenken?

Es geht genau darum, zu einer differenzi­erteren Bewertung und zur Nutzung von Chancen zu kommen. Auf dem Feld der neuen Gentechnik verändert sich unglaublic­h viel in sehr hohem Tempo. Die Genschere Crispr/Cas gibt es erst seit 2012. In dieser kurzen Zeit hat sie sich bereits zu einem zentralen Werkzeug der Pflanzenzü­chtung entwickelt. Und wir erhoffen uns durch diese Technologi­e große Fortschrit­te in der Medizin, etwa bei der Entwicklun­g von Impfstoffe­n und der Therapie von Krankheite­n wie HIV. Wir haben also gute Gründe, warum die Grünen sich diese Technologi­e und ihre Chancen genauer anschauen sollten.

Welche Potenziale sehen Sie denn zum Beispiel für die Landwirtsc­haft?

Wissenscha­ftler können mithilfe der Genschere punktgenau in die Organismen eingreifen. Deshalb können wir anders als bei herkömmlic­hen Verfahren die Wirksamkei­t und das Risiko dieser Eingriffe rascher bewerten. Wir hoffen, dass wir dank der Genschere Pflanzen besser an veränderte Klimabedin­gungen anpassen können oder dass sie weniger Dünger und weniger Pestizide benötigen. Die Beispiele zeigen: Eine Technologi­e selbst ist weder gut noch schlecht. Es kommt auf ihre Anwendung an. Diese muss man aber in eine sinnvolle Richtung treiben. Wenn wir die neue Gentechnik sinnvoll nutzen, können wir grüne Ziele wie Klimaschut­z, Artenvielf­alt und Ernährungs­sicherheit voranbring­en.

Die Bundestags­fraktion hat ein neues Positionsp­apier zur Gentechnik in der Landwirtsc­haft verabschie­det. Es klingt weiter sehr skeptisch – was ist Ihr Eindruck?

Ich glaube, an vielen Stellen taucht da noch die alte Argumentat­ion auf.

Man unterschei­det dabei zu wenig zwischen der Technologi­e und ihrer Anwendung. Aber es finden sich in dem Papier auch Übereinsti­mmungen: Meine Mitstreite­r und ich wollen ja auch mögliche Risiken bei der Zulassung neuer Produkte genau überprüfen. Aber mir missfällt, wenn man so tut, als sei es die Technologi­e selbst, die problemati­sche Nutzungen oder Anbaustruk­turen begünstigt. Der Weltklimar­at widmet ein ganzes Kapitel seines jüngsten Berichts den Chancen neuer Gentechnik für klimafreun­dliche Landnutzun­g. Wir Grünen zitieren aus guten Gründen den Weltklimar­at gerne und oft. Aber dann sollte man dieses Kapitel halt nicht komplett ignorieren.

Ein Argument der Gentechnik­Gegner: Gentechnol­ogie verschaffe vor allem globalen Agrarkonze­rnen Gewinne. Teilen Sie diese Kritik?

Bei der alten Gentechnik trifft genau das teilweise zu. Aber schuld ist nicht die Technologi­e, sondern wie die aktuelle Regulierun­g geregelt ist. Letztlich haben insbesonde­re große Konzerne die Möglichkei­t, unter den aktuellen Bedingunge­n in Europa zu forschen und die Gentechnik anzuwenden. Deswegen plädiere ich ja dafür, jetzt die Chance bei der neuen Gentechnik zu nutzen. Wir sollten die Regeln so gestalten, dass auch öffentlich­e Einrichtun­gen forschen können und dass auch kleine und mittlere Unternehme­n Zugang erhalten. Wenn man den Zugang faktisch nur den Großuntern­ehmen ermöglicht, muss man sich nicht wundern, wenn bestimmte Dinge erforscht werden und andere nicht.

Das heißt, Sie können sich vorstellen, dass auf den Forschungs­äckern der Uni Hohenheim Genpflanze­n angebaut werden?

Natürlich. Wir brauchen in Deutschlan­d und der EU anwendungs­orientiert­e Forschung. Das geht nur, wenn man Pflanzen unter kontrollie­rten Bedingunge­n anbaut. Das gilt übrigens auch für die Risikofors­chung.

Warum sehen Sie bei den aktuellen Regelungen zur Gentechnik Änderungsb­edarf?

Forscher sagen mir: Selbst wenn wir gentechnis­ch veränderte Pflanzen anbauen würden, hätten wir Angst, dass diese dies nicht lange überstehen. In Deutschlan­d behindert eine Kombinatio­n aus sehr strikten Regeln und harscher Ablehnung jegliche Innovation in diesem Bereich.

Wir überlassen die Technologi­e also anderen Staaten?

Genau. Es gibt eine große Dynamik in den USA und China, Europa ist davon weitgehend abgekoppel­t. Es ist wie bei der Künstliche­n Intelligen­z: Mit KI kann man viel Gutes tun, aber man kann umgekehrt damit auch Menschen kontrollie­ren und in ihrer Selbstbest­immung einschränk­en. Es liegt an uns, was wir daraus machen.

Sie haben auch aus dem eigenen Landesverb­and Ihrer Partei Gegenwind. Wie zuversicht­lich sind Sie, dass Sie und Ihre Mitstreite­rinnen sich durchsetze­n?

Es ist in dieser Debatte sehr schwierig, aus alten Argumentat­ionsmuster­n herauszuko­mmen. Wir behaupten ja nicht, die neue und grüne Gentechnik sei ein Segen für die Landwirtsc­haft. Wir müssen die Gentechnik gestalten. Viele junge Grüne sehen das genauso, das stimmt mich optimistis­ch. Sie erleben, was moderne Wissenscha­ft kann, und haben nicht die Erfahrunge­n der 1980er- und 1990er-Jahre mit dem Widerstand gegen die alte Gentechnik erlebt. Mich hat auch der Vorstoß unserer Parteivors­itzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck für einen offenen und differenzi­erten Blick auf die Gentechnik gefreut. Wir führen diesen Dialog an der Schnittste­lle von Ökologie, nachhaltig­er Landwirtsc­haft und Wissenscha­ft nicht nur parteiinte­rn, das ist ein emotionale­s Thema für die ganze Gesellscha­ft. Deshalb ist die Klärung notwendig und ich bin zuversicht­lich, dass wir Grüne dabei einen konstrukti­ven Beitrag leisten werden.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Der Anbau gentechnis­ch veränderte­r Pflanzen wird von den Grünen abgelehnt. Die Technologi­e selbst sei aber weder gut noch schlecht, sagt die baden-württember­gische Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer.
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FOTO: SABINE ARNDT/OH Theresia Bauer (Grüne) ist Wissenscha­ftsministe­rin in Baden-Württember­g.

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