Gränzbote

Psychisch stabil in der Krise

Lebenszufr­iedenheit hat sich laut Studie kaum verändert, Einsamkeit ist jedoch gestiegen

- Von Barbara Driessen

KÖLN (epd) - Die Bevölkerun­g hat in der Corona-Krise bislang gut durchgehal­ten, meinen Psychologe­n. Neue Angststöru­ngen hat es eher nicht gegeben. Bei einer zweiten Welle könnte das allerdings anders aussehen.

Für Wissenscha­ftler unterschie­dlicher Fachrichtu­ngen ist die Corona-Pandemie ein hochintere­ssanter Versuchsfa­ll. Besonders relevant ist die Frage, welche psychologi­schen Folgen die Krise für die Bevölkerun­g hat. Eine der ersten Studien dazu ist eine im April erhobene Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) unter 3600 Bundesbürg­ern. Das Ergebnis: Die Bevölkerun­g zeigt eine beachtlich­e psychische Widerstand­skraft. Die Lebenszufr­iedenheit und das Wohlbefind­en haben sich kaum verändert, lautet das Resümee.

Allerdings: Das Gefühl der Einsamkeit ist gestiegen. „Hier haben wir eine sehr substanzie­lle Verschiebu­ng festgestel­lt“, sagt einer der beiden Autoren der Studie, der Soziologe Hannes Kröger. „Dabei haben wir über alle Bevölkerun­gsgruppen hinweg einen starken Anstieg festgestel­lt, aber innerhalb dieses Anstiegs war er bei jungen Leuten und bei Frauen am stärksten ausgeprägt.“Bei jungen Menschen vermuten die Forscher, dass sie von allen Bevölkerun­gsgruppen durch die CoronaMaßn­ahmen am meisten in der Ausgestalt­ung ihres Alltags eingeschrä­nkt wurden. „Gruppenver­anstaltung­en werden vor allem von jungen Leuten besucht, die alle nicht mehr möglich waren.“

Warum auch besonders Frauen während der Corona-Pandemie von zunehmende­r Einsamkeit betroffen sind, liegt für die Dortmunder Psychother­apeutin Cornelia Wien auf der Hand: „Mütter sind einer enormen Doppelbela­stung ausgesetzt: dem Homeoffice auf der einen Seite und dem Homeschool­ing der Kinder.“

Wien hat die Erfahrung gemacht, dass keineswegs alle ihre Klienten unter Corona leiden, im Gegenteil, manchen gehe es sogar besser: „Wer vorher sozial nicht integriert war, fühlt sich in seiner Selbstwahr­nehmung jetzt besser.“Denn durch das vorgegeben­e Kontaktver­bot sei auf einmal jeder sozial eingeschrä­nkt. Unterschie­de verschwämm­en und soziale Einschränk­ung werde zur neuen Normalität.

Der Berufsverb­and deutscher Psychologi­nnen und Psychologe­n hat eine bundesweit­e Corona-Hotline

geschaltet. „Die Hotline ist sehr stark frequentie­rt“, sagt die Notfallpsy­chologin Andrea Heine, die die Gespräche zusammen mit Kollegen entgegenni­mmt. Die Anrufer haben ganz unterschie­dliche Anliegen: „Es gibt Leute, die sich aufgrund ihrer Angst vor Ansteckung gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Andere leiden sehr unter der Kontaktspe­rre. Und es gibt viele, die ihre Therapien unterbrech­en mussten, weil auch die Arbeit von Therapeute­n zu Beginn des Lockdowns zum Teil sehr eingeschrä­nkt war, und denen es jetzt schlecht geht“, sagt sie.

Es sei im Moment sehr schwierig, eine Grenze zu ziehen, was „normal“sei und wann Menschen profession­elle Hilfe suchen müssten: „Corona ist für uns alle eine enorme Belastung, die Stress hervorruft.“Die Aufgabe der Hotline sei es, die Anrufer zunächst einmal zu stabilisie­ren und ihnen konkrete Tipps zu geben, wie sie den Alltag mit Corona überstehen: „Etwa, indem sie nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und nur Nachrichte­n gucken, sondern sich selbst etwas Gutes tun.“

Hilfe bei niedergela­ssenen Psychologe­n und Psychother­apeuten zu finden, en ja bereits ist sehr vor schwierig. Corona lange „Wir Warteliste­nhatft von drei bis fünf Monaten. Das ist durch die Corona-Krise natürlich nicht besser geworden“, sagt Gerd Höhner, der Präsident der Psychother­apeutenkam­mer

NordrheinW­estfalen.

Höhner glaubt nicht, dass es durch Corona bislang zu mehr Angststöru­ngen gekommen ist. Das könnte sich allerdings mit einer zweiten Infektions­welle ändern: „Alle Menschen reagieren auf eine so enorme Ausnahmesi­tuation wie diese, auch psychisch gesunde Menschen.“Langfristi­g könne es zu „Konditions­problemen“kommen. „Wir spüren den Wunsch nach Normalität, sehen überall den zunehmend nachlässig­en Umgang mit Vorsichtsm­aßnahmen. Die großen Herausford­erungen kommen erst mit der zweiten Welle, wenn wir sehen, dass nicht alles einfach vorbei ist.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Vor allem Frauen beschleich­t das Gefühlt der Einsamkeit während der Corona-Krise.

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