Gränzbote

Fritten im Freibad

Schwimmen löst bei vielen Menschen Heißhunger auf Pommes aus der Pappschale aus

- Von Caroline Bock

BERLIN (dpa) - Im Flugzeug trinken alle Tomatensaf­t, im Schwimmbad sind Pommes der Klassiker. Ein Kiosk ohne den Dreiklang Eis-Süßigkeite­n-Pommes hätte es sehr schwer. Auf den Spuren eines Sommerphän­omens.

Sommer im Freibad, das klingt nach spielenden Kindern und Beckenplan­schen. Und es riecht nach Pommes. Selbst Menschen, die sie sonst nie essen, bekommen im Schwimmbad Hunger darauf. Kinder holen sich tropfnass und bibbernd eine Portion. Die kommt klassische­rweise in einer Pappschale, rot-weiß mit Piksern.

Im Idealfall: Man hat dafür nicht zu lange angestande­n, die Pommes sind außen kross und innen weich. Ein Essen, das man sich halbnackt bestellt, mehr oder weniger gern auf dem Handtuch liegend teilt, manchmal auch mit Ameisen. Kurz, Pommes im Freibad sind ein echtes Sommerphän­omen. Warum eigentlich?

Nele Heinevette­r kennt das Thema gut. Sie hat im Sommerbad im Humboldtha­in im Berliner Wedding einen Imbiss, der gleichzeit­ig ein Ort für Kunstausst­ellungen, Kinderwork­shops und Performanc­es ist. Der Betrieb im Bad ist wegen der Corona-Einschränk­ungen gerade sehr ruhig. Während die Kunsthisto­rikerin vom „Tropez“erzählt, vom Alltag im Kiosk, von Kunst und Pommes, kommen Durchsagen mit Abstandsre­geln wie: „Überholen Sie ausschließ­lich am Beckenrand.“

Warum müssen es Pommes sein? „Ich glaube, weil man von Kind auf lernt, dass es zum Schwimmbad­besuch gehört“, sagt Heinevette­r. Es fallen ihr noch andere Argumente ein, sich eine Portion zu bestellen: „Pommes sind vegan“und „Pommes mit Salat sind ein super Mittagesse­n“. Ihr Tipp: Mal eine Portion mit einer Spalte Zitrone versuchen.

Im Imbiss gibt es frische Pommes im Sonnenblum­enöl frittiert, die kleine Schale für 2,50 Euro. Im Internet zeigt das „Tropez“diese Saison auch passende Kunst: ein Videospiel, bei dem eine dänische Künstlerin die Fritten in den Rachen wandern lässt. Heinevette­r und ihr Team haben das Ganze noch nicht über: „Wir essen selber jeden Tag Pommes.“

Gerade ist früher Mittag im Schwimmbad. Eine Mutter drückt einem kleinen Mädchen eine große Portion in die Hand, zum Teilen mit den anderen Kindern, statt eines Brötchens vom Bäcker. Für sie ist das was Besonderes. „Sonst kriegen die das nicht.“

Ähnliches erzählt Mathias Kaucha, einer der Betreiber des Imbisses im Berliner Prinzenbad. Pommes sind dort „Grundausst­attung“. Sie essen dort selbst Leute, die sie sonst nie essen. „Irgendwie kommt das Sommerflai­r den Pommes zugute.“Schwimmen mache hungrig. Zu Spitzenzei­ten wurden im Prinzenbad schon 2000 bis 3000 Portionen am Tag verkauft.

Matthias Oloew, Sprecher der Berliner Bäderbetri­ebe, sagt zum Thema Pommes: „Das hat nicht so sehr mit dem Schwimmen, sondern etwas mit dem Sommer zu tun.“Es ist heiß, man schwitzt, der Körper hat einen Bedarf nach Kohlehydra­ten und Salz, sagt Oloew. „Man hat einen Appetit darauf.“Pommes im Freibad, das sei seit den 1950er-Jahren in Deutschlan­d verbreitet.

Eine Portion hat je nach Größe bis zu 490 Kalorien, ist auf der Internetse­ite einer Fast-Food-Kette zu lesen. Sie sind fettig und die reine Sünde. Oder etwa nicht? Es gibt Stimmen, die sagen, man soll das essen, worauf man Lust hat und was der Körper gut verträgt. Andere sind da skeptisch. „Das ist schwierig, da etwas Gutes dran zu finden“, sagt der Ernährungs­forscher Stefan Kabisch (Deutsches Institut für Ernährungs­forschung

in Potsdam). „Man kann sich definitiv etwas Gesünderes vorstellen.“In Pommes stecken demnach zu viel Salz, gesättigte­s Fett und schnell verdaulich­e Kohlenhydr­ate. Die Kartoffeln sind als frittierte­r Snack zu sehr verarbeite­t, um noch richtig gesund zu sein.

Es ist laut Kabisch ein Essen, das ein kurzes Glücksgefü­hl beschert, aber nicht lange satt macht. Vieroder fünfmal im Jahr Pommes, das findet Kabisch nicht so schlimm. Aber bei einmal die Woche: Da kann es je nach Typ schon anders sein, mit Blick auf Übergewich­t oder drohenden Diabetes. Isst er selbst Pommes? „Sporadisch“.

Bei den Spitzenköc­hen gibt es durchaus eine Pro-Pommes-Fraktion:

Der aus dem Fernsehen bekannte Koch Alexander Herrmann hat im bayerische­n Wirsberg einen Schwimmbad-Kiosk. Das Waldschwim­mbad kenne er seit seiner Kindheit; den Kiosk zu übernehmen war „absolute Herzenssac­he“, heißt es in der Mitteilung Hermanns dazu. Sein Urgroßvate­r habe damals die Talwiese verkauft, um 1955 überhaupt das Schwimmbad zu ermögliche­n. Deshalb heiße der Kiosk auch „Kiosk 1955“. Eine der häufigsten Jugenderin­nerungen spiele im Freibad. „Nie mehr im Leben war das Wetter besser, das Wasser klarer und das Leben schöner – und auch die knusprigen Pommes waren nie besser als auf dieser Wiese in der Sonne.“deshalb werden sie noch heute verkauft.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA

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