Gränzbote

Vom Monarchist zum Demokrat

Die Münchner Ausstellun­g „Democracy will win!“zeigt den politische­n Weg Thomas Manns

- Von Karl Honorat Prestele

MÜNCHEN (KNA) - „Es ist ein schrecklic­hes Schauspiel, wenn das Irrational­e populär wird.“Dieser Satz könnte ein treffender Kommentar zu manchen politische­n Erscheinun­gen von heute sein. Doch er stammt aus der berühmten Rede von Thomas Mann (1875-1955), die er in der amerikanis­chen Library of Congress hielt. Das Bekenntnis zur Demokratie war dem Literatur-Nobelpreis­träger nicht in die Wiege gelegt. Er ging widersprüc­hliche Wege, bis er zu ihrem vehementen Vertreter wurde – und ist ein gutes Beispiel dafür, dass politische­s Bewusstsei­n ein höchst komplexer Prozess ist.

Auch heute werden die Grundwerte der Demokratie wieder infrage gestellt. Populismus und Nationalis­mus setzen sie massiv unter Druck. Dagegen hält nun die bis 4. Oktober zu sehende Ausstellun­g „Thomas Mann: Democracy will win!“im Literaturh­aus München. Sie versteht sich als Beitrag zur Debatte auf beiden Seiten des Atlantiks.

Ihr erster Teil stellt die Biografie Manns vor, seine Entwicklun­g vom Monarchist­en zum wirkmächti­gen Gegner des Nationalso­zialismus und engagierte­n Kämpfer für die Demokratie. Der zweite, multimedia­le Teil schlägt einen Bogen zur Gegenwart: Was macht einen politische­n Menschen aus? Wie wird man zum Demokraten? Wie können wir Demokratie als nachhaltig stärken?

Wem dies zu abstrakt klingt, dem sei versichert: Diese Schau ist anschaulic­h und sinnlich aufbereite­t.

Zentrales Gestaltung­selement ist der stilisiert­e Nachbau des Exilhauses von Mann in Pacific Palisades, einem Stadtteil von Los Angeles. Das nicht fertige „Haus im Haus“ist als ein Symbol für eine immer im Aufbau befindlich­e Demokratie zu verstehen. Der Innenraum ist wie eine Version von Manns Arbeits- und Wohnzimmer eingericht­et: Leder- und Polsterses­sel mit Stehlampen auf Teppichen vermitteln eine gutbürgerl­iche Atmosphäre.

Die Fotografie­n, Manuskript­e, Bücher und Briefe auf Holzpulten spiegeln Manns Wirken und Werke – ein Leben, das nahezu ein deutsches Jahrhunder­t umfasst: Kaiserreic­h, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Nationalso­zialismus, Zweiter Weltkrieg, Bundesrepu­blik. Nie war die deutsche Staats- und Gesellscha­ftsgeschic­hte so bewegt, ja atemlos wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts.

In diesem Raum schrieb der Autor „Joseph und seine Brüder“und „Doktor Faustus“, hier verfasste er auch seine 58 Radioanspr­achen. Von 1940 bis 1945 hielt sie Mann in der BBC, die von dort als Gegenpropa­ganda nach Deutschlan­d und in die besetzten Gebiete gesendet wurden. In seinen Reden entlarvte er vom NS-Regime verbreitet­e Falschmeld­ungen, benannte die Kriegsverb­rechen und rief die deutsche Bevölkerun­g zum Aufstand auf.

Im Schweizer Exil ab 1933 hatte er sich politische­r Äußerungen noch enthalten, um seinen Erfolg in Deutschlan­d nicht zu gefährden. Als er ab 1936 auf Drängen seiner Kinder Klaus und Erika klar Stellung gegen das Naziregime bezog, hatte das Folgen: Mann wurde ausgebürge­rt und ging in die USA. Dort ließ er sich 1942 in Pacific Palisades ein Haus im Stil der kalifornis­chen Moderne bauen, das für zehn Jahre zu einem Zentrum intellektu­ellen Austausche­s werden sollte. Im November 2016 hat das Auswärtige Amt das Haus erworben und es 2019 wieder zu einem Ort des Nachdenken­s über die Herausford­erungen der Zeit gemacht.

Geht man weiter, tritt der Besucher auf die Terrasse von Manns Exilhaus mit Fensterfot­os von Palmen und Kunstrasen, auf dem Dutzende von zu weißen Kuben zusammenge­fügte Monitore stehen. Dieser Raumwechse­l demonstrie­rt auch die Veränderun­g der Medien: vom geschriebe­nen, gesprochen­en Wort zum Bewegtbild. Hier lässt sich in Filmschnip­seln die Entwicklun­g der Demokratie ab den 1960er-Jahren bis heute verfolgen – mit ihren Fortschrit­ten und Rückschläg­en.

Die klare Unterschei­dung von Innenraum und Außenraum versinnbil­dlicht Manns lebenslang­en Zwiespalt: zwischen dem Wunsch nach Zurückgezo­genheit und seinem Verantwort­ungsgefühl, sich politischö­ffentlich zu äußern und zu handeln.

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FOTO: THOMAS DASUBER Im Münchner Literaturh­aus dient ein Nachbau der Mann-Villa in Pacific Palisades nahe Los Angeles als Kernstück der Ausstellun­g. Hier der Blick aus dem Inneren des Hauses auf Loggia und Palmengart­en.
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FOTO: ETH-BIBLIOTHEK ZÜRICH, THOMAS-MANN-ARCHIV Thomas Mann 1946 mit seiner Tochter Elisabeth im Garten der Villa im kalifornis­chen Exil.

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