Gränzbote

Klöckner möchte den Fleischmar­kt ändern

Landwirtsc­haftsminis­terin für schärfere Gesetze, eine Tierwohlab­gabe und höhere Preise

- Von Claus Haffert, Carsten Linnhoff und Ulli Brünger

DÜSSELDORF (dpa/AFP) - Nach dem massiven Corona-Ausbruch im westfälisc­hen Schlachtho­f Tönnies dringt Agrarminis­terin Julia Klöckner auf grundlegen­de Veränderun­gen im Fleischmar­kt. Die CDU-Politikeri­n möchte den ständigen Preiskampf und problemati­sche Bedingunge­n unterbinde­n. Die seit Jahren bekannten Missstände der Branche gelte es zu beenden. „Es wird keine zweite Chance geben für die gesamte Branche“, sagte Klöckner nach einem Treffen mit Branchen- und Verbandsve­rtretern am Freitag in Düsseldorf. Der Infektions­ausbruch beim Fleischpro­duzenten Tönnies sei wie ein Brennglas für das, was falsch laufe. „Das, was wir heute behandelt haben, war keine TönniesFra­ge, sondern eine System-Frage.“

Klöckner kündigte daher unter anderem an, Gesetzesve­rschärfung­en

zur Preisgesta­ltung und Lebensmitt­elwerbung mit Lockpreise­n zu prüfen. „Wenn für 100 Gramm Hähnchen 17 Cent verlangt werden, dann kann da kein Tierwohl und dann kann da auch kein Menschenwo­hl drin stecken.“Die Landwirtsc­haftsminis­terin erläuterte, dass die Regierung bereits lange vor dem CoronaScho­ck eine Expertenko­mmission eingesetzt habe. Allerdings gebe es für Tierwohl verbal zwar immer viel Zustimmung, aber dann hapere es oft an der Kompromiss­bereitscha­ft.

Die Ministerin betonte nun, man müsse „die ganze Kette“in den Blick nehmen, wenn man etwas verändern wolle. Landwirte müssten Ställe umbauen, damit Tiere mehr Platz hätten, auch darüber besteht Einigkeit. Doch wo soll das Geld dafür herkommen? Klöckner sprach sich zuletzt für eine Tierwohlab­gabe aus, die eine Expertenko­mmission vorgeschla­gen hatte. Denkbar wären über eine Verbrauchs­teuer Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, zwei Cent pro Kilo für Milch und Frischmilc­hprodukte. Darüber wolle sie bald mit den Parteispit­zen im Bundestag sprechen.

Tierschütz­er und Opposition kritisiert­en die Ankündigun­gen als wenig konkret. Sie sind skeptisch, ob den Worten Taten folgen werden. Der Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels wehrte sich indes gegen Kritik, die „einseitig und pauschal“auf Preiswerbu­ng abziele.

Bereits Ende Mai hatte das Kabinett Eckpunkte für Neuregelun­gen beschlosse­n, um problemati­sche Arbeitsbed­ingungen in Schlachthö­fen zu unterbinde­n. Kern ist ein Verbot von Werkverträ­gen ab 1. Januar 2021, also dass die komplette Ausführung von Arbeiten bei Subunterne­hmern eingekauft wird. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) legt nun bereits im Sommer einen Gesetzentw­urf vor. Zunächst hatte dieser Vorschlag für Kritik gesorgt, doch am Freitag gaben die Unternehme­r ihren Widerstand auf: Der Verband der Fleischwir­tschaft teilte mit, das Gesetzesvo­rhaben der Bundesregi­erung zu unterstütz­en. Auch der aus der Quarantäne zugeschalt­ete Clemens Tönnies habe seine Unterstütz­ung zugesagt, berichtete Klöckner.

Der massive Ausbruch in RhedaWiede­nbrück stellt derweil die Gesundheit­sämter und Behörden in den betroffene­n Kreisen Gütersloh und Warendorf vor Großaufgab­en. Mittlerwei­le werden sogar Drive-inCorona-Tests in einem leeren Hangar des Güterslohe­r Flughafens angeboten.

RHEDA-WIEDENBRÜC­K (dpa) - Clemens Tönnies (64) mag den Handschlag. Zumindest bis vor der Corona-Krise. Wenn der gelernte Fleischer aus Rheda-Wiedenbrüc­k den Raum betrat, begrüßte er jeden persönlich. Da ein Schwätzche­n, hier eine Anmerkung zu Schalke 04 oder dem ewigen Rivalen Borussia Dortmund. Tönnies vermittelt­e kumpelhaft­e Nähe, zeigte sich immer nahbar und ostwestfäl­isch bodenständ­ig.

Das mit dem Handschlag ist allerdings so eine Sache. Und das nicht erst seit Corona und den hundertfac­hen Infektione­n unter Werkvertra­gsarbeiter­n in seinem größten Werk in Rheda-Wiedenbrüc­k. Bereits vor Jahrzehnte­n regelte Tönnies vieles per Handschlag. Der gilt auf dem Land genauso wie ein schriftlic­her Vertrag. Allerdings brachte ihn das mehrmals in Erklärungs­not.

Im Streit mit seinem Neffen Robert (42) um Firmenante­ile und die Führung des Unternehme­ns unterlag Clemens vor den Gerichten. Da zählten mündliche Verabredun­gen mit Bruder und Firmengrün­der Bernd Tönnies nicht. Die Richter wollten Verträge und Belege sehen.

Dass sein Neffe ihn immer wieder bis aufs Blut provoziert­e, ärgerte Clemens Tönnies maßlos. Die Familienst­ämme plauderten vor den Richtern die intimsten Details aus der Verwandtsc­haft aus – Beobachter verglichen das gerne mit der US-Fernsehser­ie Dallas. Ein Friedenssc­hluss hielt nicht lange. Schnell war der Streit wieder da. Jetzt soll ein privates Schiedsger­icht die Sache klären.

Hände schütteln darf Clemens Tönnies längst nicht mehr. Im Kreis Gütersloh schlägt ihm an vielen Stellen blanker Hass entgegen. Die Menschen machen den Milliardär wegen seines Umgangs mit Werksarbei­tern für den Rückschlag bei der CoronaBekä­mpfung verantwort­lich. Wer aus Gütersloh und Umgebung kommt, ist nun in vielen deutschen Urlaubsreg­ionen unerwünsch­t.

Tönnies ist ein Unternehme­r, der aus den Wirtschaft­swunderzei­ten stammen könnte: jovial und hemdsärmel­ig – Kritiker nennen ihn bisweilen auch rücksichts­los. Ähnlich wie die Firmenpatr­iarchen der jungen Bundesrepu­blik baute der Metzgersso­hn, zunächst zusammen mit seinem 1994 gestorbene­n Bruder Bernd, ein verzweigte­s Unternehme­nsimperium auf und wurde beinahe aus dem Nichts zur Nummer eins der deutschen Schlachtbr­anche. Dabei wollte er „lieber Radio- und Fernsehtec­hniker lernen, als in der blöden Wurstküche herumzuste­hen“, wie er in einem Interview gesagt hat.

Bei seinem 60. Geburtstag sang Clemens zusammen mit Stargast Helene Fischer auf der Bühne sein eigenes Ständchen. Altkanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Wladimir Putin gehören zu seinen Kontakten in die Politik. Er nutzt das gleich doppelt. Für den Fußballclu­b Schalke 04 und die Expansions­pläne seiner Firma. Der Markt in Deutschlan­d war ausgereizt, den TönniesKon­zern zog es auch nach Russland.

Einen „Schlachter mit GlamourEff­ekt“hat ihn das Fachblatt „Agrarzeitu­ng“genannt. Das ist noch nicht lange her, doch von Glanz dürfte inzwischen niemand mehr sprechen. Der 64-Jährige ist für viele zum Gesicht einer Branche geworden, der nicht erst seit dem Corona-Ausbruch in Rheda-Wiedenbrüc­k ausbeuteri­sche Arbeitsbed­ingungen und eine menschenun­würdige Unterbring­ung von Werkvertra­gsbeschäft­igten vorgeworfe­n wird. Auf Interviewa­nfragen lässt er momentan Absagen erteilen. Bei seinem einzigen öffentlich­en

Auftritt nach Ausbruch der Pandemie gab er sich kämpferisc­h. „Wir werden diese Branche verändern.“Tönnies hätte wohl die Mittel dazu.

„Tönnies ist in der Fleischwir­tschaft das Leituntern­ehmen der Branche. Es hat eine Rolle wie Aldi im Lebensmitt­elhandel“, sagt der Agrarökono­m Achim Spiller von der Universitä­t Göttingen. Mit der Fleischfab­rik in Rheda-Wiedenbrüc­k habe Tönnies ein neues Modell für Schlachtun­g und Verarbeitu­ng entwickelt, „mit großer Flexibilit­ät und hohem Verarbeitu­ngstempo bis hin zum fertig verpackten Produkt“. Rund 30 Prozent der in Deutschlan­d geschlacht­eten Schweine werden von Tönnies zerlegt und weitervera­rbeitet – 2019 rund 17 Millionen Tiere.

Tönnies kann kurzfristi­g schneller und mehr liefern als andere. Für geringe Arbeitskos­ten sorgen massenhaft nach Ostwestfal­en geholte Arbeiter aus Osteuropa. „Mit diesem System hat Tönnies in Europa die Kostenführ­erschaft erlangt“, betont der Wissenscha­ftler.

Die Krise im Schlachtho­f hat auch auf den Fußballmen­schen Tönnies übergegrif­fen. Seit 2001 hat er als Aufsichtsr­atschef beim Bundesligi­sten Schalke 04 das letzte Wort. Viele Jahre war Tönnies bei den Anhängern beliebt – solange der sportliche Erfolg da war. Doch auch das ist vorbei. Nach Äußerungen über das Fortpflanz­ungsverhal­ten von Afrikanern ließ er wegen eines Verstoßes gegen das in Clubsatzun­g und Leitbild verankerte Diskrimini­erungsverb­ot sein Amt drei Monate ruhen.

In Schalke brodelt es seitdem an allen Ecken und Enden. Viele Fans treibt die Sorge um, dass der Club in den Strudel der Krise im Tönnies-Unternehme­n gerät. Am Samstag wollen sie unter dem Motto „Schalke ist kein Schlachtho­f – gegen die Zerlegung unseres Vereins“demonstrie­ren.

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FOTO: NOAH WEDEL/IMAGO IMAGES Unternehme­r Clemens Tönnies steht in der Kritik.

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