Gränzbote

In Trossingen eine neue Heimat gefunden

Vladimir Zugec ist vor 50 Jahren aus dem damaligen Jugoslawie­n nach Trossingen gekommen

- Von Larissa Schütz

TROSSINGEN - „Für die Koraten in Trossingen bin ich das, was Mario Noce für die Italiener ist“, sagt Vladimir Zugec. Ziemlich genau vor 50 Jahren kam der 72-Jährige nach Trossingen. In dieser Zeit hat er hier viel Schönes, aber auch Schlimmes erlebt.

Geboren wurde Zugec im kroatische­n Dorf Babska, wo er in einer Bäckerei arbeitete. Über Deutschlan­d und die Deutschen hatte er zu diesem Zeitpunkt „viel Böses“gehört und in der Schule so gelernt. „Allerdings gab es bei uns einige Schwaben“, erinnert er sich. „Irgendwann erfuhr ich so, dass die Firma Hohner dringend Arbeitskrä­fte brauchte.“

Vladimir Zugec wagte den Schritt und wanderte nach Trossingen aus. „In der Schule hatte ich Schlechtes über Deutsche gelernt, aber hier in Trossingen erlebte ich dann das Gegenteil davon“, betont er. Über den Fußball fand er rasch Anschluss beim Verein der Sportfreun­de, wo er sich später unter anderem als Schiedsric­hter und Jugendtrai­ner engagierte. „Ich war immer in Vereinen aktiv und würde das auch allen jungen Leuten raten“, meint Zugec, der von der Hilfsberei­tschaft und Kameradsch­aft unter Vereinskol­legen schwärmt. „Früher war das Vereinsleb­en viel lebendiger. Es ist sehr schade, wie sich das verändert.“

1995 gründete Zugec mit Freunden dann einen eigenen Verein: die Trossinger „Jugos“- und erlebte dort 1991 einen Tiefpunkt: Die Auflösung des jugoslawis­chen Vereins, der sich 15 Jahre lang in seinem Vereinshei­m an der Tuninger Straße getroffen hatte. „Als der Krieg in Kroatien begann, mussten wir uns in Trossingen Sorgen wegen Ausschreit­ungen machen“, erzählt Zugec, der das Amt des Vorsitzend­en bekleidet hatte. Der Kroatienkr­ieg wurde von 1991 bis 1995 im Rahmen der Jugoslawie­nkriege ausgetrage­n, die den Zerfall des Staates zur Folge hatten. Der Verein kam mit seiner Auflösung größeren politische­n Randalen zuvor, sagt Zugec. Bis dahin hatte es bereits Rangeleien und eine Brandstift­ung gegeben, deren Hintergrun­d Zugec als politisch einstufte. Er selbst erhielt Telefonanr­ufe, die ihn einschücht­ern sollten.

„Damals sagte ich, es wäre gut für alle, wenn Slowenien und Kroatien anerkannt würden“, erinnert er sich an diese Zeit. Zugecs Heimatort Babska wurde im Krieg völlig zerstört, er verlor viele Verwandte. „Das war die schwerste Zeit“, sagt er heute. „Dennoch halfen wir in Trossingen allen: Serben, Kroaten, Muslimen, Jugoslawen.“

Eines der Ziele des kroatische­n Kulturvere­ins „Dom Hrvata“, den

Zugec 1992 gemeinsam mit seinem Bruder Stephan Zugec und Tomislav Orsag gründete, war es dann auch, das kriegsgebe­utelte Heimatland zu unterstütz­en. „Wir haben unter anderem Medikament­e gesammelt und nach Kroatien geschickt“, berichtet Vladimir Zugec. 4000 Mark brachten die Vereinsmit­glieder in einer letzten großen Aktion für den Wiederaufb­au von Kirche und Leichenhau­s in Babska zusammen. Seinem alten Fußballver­ein in Babska greift Zugec heute noch unter die Arme, Mitglied ist er dort stets geblieben.

Die mehr als 100 Mitglieder des Vereins trafen zehn Jahre lang in Gaststätte­n. Dann kam Zugec zu Ohren, dass der Kraftsport­verein in die Ringerhall­e umzieht und er bewarb sich um dessen Vereinshei­m am Stadion. 2002 wurde das neue Domizil eingeweiht. Im selben Jahr gab Zugec den Vorsitz in jüngere Hände. Bei Vereinstre­ffen ist er aber weiterhin regelmäßig­er Gast. „Ich liebe den Verein“, stellt er fest, „er ist wie ein Stück Heimat.“

Dabei ist Zugecs „erste Heimat“, das betont er, inzwischen Trossingen geworden. „Früher war mein Ziel, irgendwann nach Kroatien zurückzuge­hen, aber jetzt habe ich Kinder und Enkel in Trossingen und bin froh, dass ich hier geblieben bin.“

Zugecs Geschwiste­r, zu denen er viel Kontakt hält, sind hingegen nach

Kroatien zurückgezo­gen. Auch er selbst besucht sein Heimatland so oft er kann, verbringt gerne mehrere

Wochen lang am Meer. Dieses Jahr muss das wohl ausfallen - wegen der Corona-Pandemie.

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FOTO: LARISSA SCHÜTZ An die Einweihung des eigenen Vereinshei­ms des kroatische­n Kulturvere­ins erinnert sich Vladimir Zugec immer gerne zurück.

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