Gränzbote

Fessenheim­s Zukunft liegt im Ökostrom

Die bisherige AKW-Gemeinde soll zum Vorzeigest­andort für erneuerbar­e Energien werden

- Von Amelie Richter

FESSENHEIM (dpa) - Frankreich­s ältestes noch laufendes Atomkraftw­erk im elsässisch­en Fessenheim wird in der Nacht zum Dienstag endgültig stillgeleg­t. Mehr als 42 Jahre lang produziert­e das AKW an der deutsch-französisc­hen Grenze Strom und jede Menge Kontrovers­en zwischen den Nachbarlän­dern. Kritikern galt das Kraftwerk am Rhein schon seit Jahrzehnte­n als Sicherheit­srisiko. Das AKW-Ende soll den Startschus­s für eine Wiedergebu­rt Fessenheim­s als Vorzeigest­andort für erneuerbar­e Energien markieren, mit deutscher Beteiligun­g.

Am späten Montagaben­d beginnt nach Betreibera­ngaben die Stilllegun­g. Der erste Druckwasse­rreaktor war bereits Ende Februar vom Netz genommen worden. Im an BadenWürtt­emberg und die Schweiz grenzenden Départemen­t Haut-Rhin sind die Erwartunge­n nach der endgültige­n Stilllegun­g hoch.

Keine Zeit dürfe verloren gehen, um Projekte festzuzurr­en, sagt Brigitte Klinkert, die als Präsidenti­n des Départemen­t-Rats federführe­nd bei der Neugestalt­ung der Region Fessenheim ist. Grüne Wasserstof­fproduktio­n, Batterie-Recycling und viele weitere Projektide­en lägen auf dem Tisch – die Vision ist ein deutsch-französisc­her Innovation­spark in der Nähe der Gemeinde.

Die Umgestaltu­ng der Region ist eines der Prestigepr­ojekte der Zusammenar­beit zwischen Paris und Berlin. Nachdem Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron 2018 das Ende des AKW Fessenheim höchstpers­önlich bekannt gegeben hatte, wurde das Projekt zur Neugestalt­ung anlässlich der Unterzeich­nung des Aachener Vertrages auf eine deutsch-französisc­he Agenda gesetzt. Das sei gut, sagt die Freiburger Regierungs­präsidenti­n Bärbel Schäfer. „Wir haben dadurch die Aufmerksam­keit beider Regierunge­n.“

Sie setzt auch auf die geplante direkte Bahnverbin­dung über eine neue Rheinbrück­e zwischen Freiburg und Colmar als Impuls für die Grenzregio­n. Die Bahnstreck­e werde Wirtschaft­skraft bringen, sagt Schäfer. Sie ist davon überzeugt, dass Fessenheim mit grünen Innovation­sprojekten ein Vorzeigemo­dell werden und in Frankreich sogar zum Umdenken anregen kann. „Vor allem, indem wir deutlich machen: Das Ende eines Kernkraftw­erkes ist nicht das Ende einer Region.“Der grüne Gewerbepar­k habe das Potenzial, mehr Arbeitsplä­tze zu schaffen als das Kernkraftw­erk, so Schäfer.

Bei den Projekten, die nun schnell grenzüberg­reifend in Angriff genommen werden sollen, spielt die Fläche, auf der das Kraftwerk selbst steht, bisher noch keine große Rolle, wie Schäfer erklärt. Denn die Demontage des AKW dauert voraussich­tlich die kommenden zwei Jahrzehnte. Nach Angaben des Betreibers EDF sind für die Vorbereitu­ng der Demontage fünf Jahre veranschla­gt – der Abbau dauert dann weitere 15 Jahre.

Die französisc­he Atomaufsic­htsbehörde ASN hatte zuletzt Bedenken an den Plänen geäußert. Die von EDF vorgelegte­n Details zum Demontage-Szenario und der Entsorgung des dabei entstehend­en Mülls seien unzureiche­nd, kritisiert­e die Behörde. EDF hat mittlerwei­le nachgelegt und einen neuen Bericht übermittel­t. Dieser Bericht wird nun geprüft.

Frankreich gilt immer noch als das „Atomland“Europas. Nach der Stilllegun­g Fessenheim­s betreibt EDF nach eigenen Angaben landesweit 56 Reaktoren. Rund 71 Prozent der französisc­hen Stromprodu­ktion im vergangene­n Jahr kamen nach Angaben des Netzbetrei­bers RTE aus der Kernkraft. Das entsprach demnach dem niedrigste­n Anteil seit 1989. Frankreich liegt weltweit hinter den USA immer noch auf Platz zwei der größten Produzente­n von Atomstrom. Neben den beiden Reaktoren in Fessenheim haben auch andere die vorgesehen­e Altersgren­ze von 40 Jahren bereits überschrit­ten.G

Das jüngste Projekt der mehrheitli­ch dem französisc­hem Staat gehörenden Gesellscha­ft EDF entwickelt sich aber mehr und mehr zum Problemkin­d: Der Bau des Atomreakto­rs in Flamanvill­e am Ärmelkanal stockt seit Jahren. Schon im vergangene­n Jahr war die Inbetriebn­ahme von 2020 auf Ende 2022 verschoben worden, weil unter anderem undichte Schweißnäh­te in der Stahlhülle gefunden wurden. Ende März erließ die Regierung dann per Dekret eine weitere Verschiebu­ng – der Meiler muss nun erst bis Ende 2024 mit Brennstäbe­n beladen werden.

Da das Dekret ohne öffentlich­e Beteiligun­g inmitten der Hochphase der

Coronaviru­s-Pandemie in Frankreich erlassen wurde, werfen Umweltverb­ände der Regierung administra­tive Trickserei­en und Betrug vor. Das französisc­he Anti-Atomkraft-Netzwerk Sortir du nucléaire forderte, dass das Kraftwerk in der Normandie gar nicht mehr in Betrieb genommen werde. Auch die Kosten für den Bau des Reaktors waren zuletzt explodiert und liegen mittlerwei­le bei 12,4 Milliarden Euro, einem Vielfachen der ursprüngli­ch geplanten Ausgaben.

Der sonst nicht geringe Enthusiasm­us der Franzosen über neue Kraftwerk-Projekte hält sich in letzter Zeit in Grenzen: Umweltmini­sterin Borne hatte zu Beginn der Jahres angedeutet, dass Frankreich über den Bau neuer Kraftwerke frühestens Ende 2022 nachdenken wolle.

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? Mit der Abschaltun­g des zweiten Reaktors wird das umstritten­e Kraftwerk Fessenheim an der Grenze zu Deutschlan­d endgültig stillgeleg­t. Der erste Reaktor war bereits Ende Februar vom Netz gegangen.
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Mit der Abschaltun­g des zweiten Reaktors wird das umstritten­e Kraftwerk Fessenheim an der Grenze zu Deutschlan­d endgültig stillgeleg­t. Der erste Reaktor war bereits Ende Februar vom Netz gegangen.

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