Gränzbote

Der Blick in die Glaskugel

Was Stimmungsi­ndikatoren über die Lage an den Aktienmärk­ten verraten

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Nachdem sich die coronabedi­ngte Schockstar­re an den Börsen aufgelöst hat, hat sich auch die Stimmung der Anleger wieder aufgehellt. Eine gewisse Ratlosigke­it bleibt dennoch bestehen. Dies lässt sich an den sogenannte­n Sentiments ablesen, mit deren Hilfe man versucht, die vorherrsch­ende Gemütslage an den Börsen auszuloten.

Der englische Begriff „Sentiment“steht dabei für die psychologi­sche Stimmungsl­age oder, anders gesagt, für die Laune der Anleger. Um dieser auf die Spur zu kommen, betrachten beispielsw­eise die Börsen Frankfurt und Stuttgart mit ihren Put/Call-Sentiments, ob Anleger eher auf steigende (Call) oder fallende Kurse (Put) setzen.

Im Fall des Stuttgarte­r Euwax Sentiments werden tatsächlic­he Transaktio­nen von Privatanle­gern, die auf den Verlauf des Dax (Deutscher Aktieninde­x) wetten, ins Verhältnis zueinander gesetzt. „Ist der Wert des Index positiv, setzt die Mehrheit der Anleger auf einen steigenden Markt. Ein negativer Wert bedeutet hingegen, dass Anleger eher von fallenden Kursen ausgehen“, sagt dazu Richard Dittrich, Experte für Anlegerfra­gen an der Börse Stuttgart. In die Berechnung fließen alle Aufträge für Dax-Hebelprodu­kte ein, die innerhalb von 60 Sekunden an der Börse Stuttgart eingestell­t und ausgeführt werden. Damit gewährt der Euwax-Sentiment-Indikator einen gewissen Blick in die berühmte Glaskugel, spiegelt er doch die zeitnahe Meinung der Masse wider und ist damit ein Indikator für die Stimmungsl­age des Schwarms der Anleger. Beobachtet man das nach dem Derivatema­rkt Euwax benannte Sentiment unter www.boerse-stuttgart.de, sind aktuell Stimmungss­chwankunge­n der Anleger zu erkennen, die auch im Juni

immer wieder um die Nulllinie nach oben und unten hin- und hergepende­lt sind. Man muss hier auch ins Kalkül ziehen, dass an der Euwax oft ausgesproc­hen risikoaffi­ne Anleger, salopp gesagt: Zocker, unterwegs sind, die bei ihren Anlagen nicht unbedingt auf fundamenta­le Werte achten. Deren Anlageverh­alten fließt natürlich auch in das Euwax Sentiment ein.

Zum besseren Verständni­s der Marktlaune­n lohnt oft ein vergleiche­nder Blick auf das Put/Call-Ratio-Sentiment der Frankfurte­r Terminbörs­e Eurex. Da hierbei die Puts den Zähler bilden und die Calls den Nenner unter dem Bruch, bedeutet ein Wert unter eins, dass mehr Calls gehandelt werden – und umgekehrt. Dabei drücken hohe Werte üblicherwe­ise eine unsichere Stimmung der Marktteiln­ehmer

aus, während ein niedriges Verhältnis ein optimistis­ches Sentiment anzeigen. Aufgrund ihrer Funktion als Kontraindi­kator sind hohe Werte ein Signal für Verkaufsze­itpunkte, während niedrige Verhältnis­se Kaufgelege­nheiten indizieren. Ein Put/Call-Verhältnis von 0,5 bedeutet beispielsw­eise, dass doppelt so viele Calls wie Puts eingegange­n sind – gemeinhin ein Anzeichen für eine sehr optimistis­che Marktstimm­ung.

Zur Interpreta­tion derartiger Indikatore­n gehört auch die Annahme, dass optimistis­ch gestimmte Anleger bereits investiert sind. Dann bleiben nur noch wenige übrig, die nachkaufen und die Kurse in die Höhe treiben können. Umgekehrt geht man davon aus, dass pessimisti­sch gestimmte Investoren bereits verkauft haben – und somit ein weiterer Kursverfal­l eher unwahrsche­inlich ist. Dies würde etwa bedeuten, dass eine Baisse bereits in ihrer Endphase wäre. Daher dienen Stimmungsi­ndikatoren auch dazu herauszufi­nden, in welchem Stadium sich eine Börsenphas­e befindet.

Der jüngste Verlauf der Indikatore­n hatte vor Kurzem zwar die Anleger etwas durchatmen lassen. Doch ist die Stimmung derzeit eher von Anspannung und Skepsis geprägt, wie die starken Ausschläge der Sentiments vermuten lassen. So standen im Juni laut dem Put/Call-Sentiment Dax an manchen Tagen 90 Prozent Puts zehn Prozent Calls gegenüber. Dies bedeutet, dass sich die profession­ellen Anleger an der Eurex auf einen Abschwung am Aktienmark­t vorbereite­n.

Auf der anderen Seite war es manchmal so, dass sich an denselben Tagen das Euwax Sentiment immer wieder in den positiven Bereich bewegt hat. Bleibt am Ende die Erkenntnis, dass man nach derartigen Blicken in die Glaskugel immer noch selbst entscheide­n muss, ob man sich dem Schwarm anschließe­n möchte oder eben nicht.

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? Bulle und Bär, die Symbole für Auf- und Abwärtsbew­egungen an den Börsen, vor der Frankfurte­r Wertpapier­börse: Mit Stimmungsi­ndikatoren versuchen Experten, der Laune der Anleger auf die Spur zu kommen.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Bulle und Bär, die Symbole für Auf- und Abwärtsbew­egungen an den Börsen, vor der Frankfurte­r Wertpapier­börse: Mit Stimmungsi­ndikatoren versuchen Experten, der Laune der Anleger auf die Spur zu kommen.
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