Der Blick in die Glaskugel
Was Stimmungsindikatoren über die Lage an den Aktienmärkten verraten
STUTTGART - Nachdem sich die coronabedingte Schockstarre an den Börsen aufgelöst hat, hat sich auch die Stimmung der Anleger wieder aufgehellt. Eine gewisse Ratlosigkeit bleibt dennoch bestehen. Dies lässt sich an den sogenannten Sentiments ablesen, mit deren Hilfe man versucht, die vorherrschende Gemütslage an den Börsen auszuloten.
Der englische Begriff „Sentiment“steht dabei für die psychologische Stimmungslage oder, anders gesagt, für die Laune der Anleger. Um dieser auf die Spur zu kommen, betrachten beispielsweise die Börsen Frankfurt und Stuttgart mit ihren Put/Call-Sentiments, ob Anleger eher auf steigende (Call) oder fallende Kurse (Put) setzen.
Im Fall des Stuttgarter Euwax Sentiments werden tatsächliche Transaktionen von Privatanlegern, die auf den Verlauf des Dax (Deutscher Aktienindex) wetten, ins Verhältnis zueinander gesetzt. „Ist der Wert des Index positiv, setzt die Mehrheit der Anleger auf einen steigenden Markt. Ein negativer Wert bedeutet hingegen, dass Anleger eher von fallenden Kursen ausgehen“, sagt dazu Richard Dittrich, Experte für Anlegerfragen an der Börse Stuttgart. In die Berechnung fließen alle Aufträge für Dax-Hebelprodukte ein, die innerhalb von 60 Sekunden an der Börse Stuttgart eingestellt und ausgeführt werden. Damit gewährt der Euwax-Sentiment-Indikator einen gewissen Blick in die berühmte Glaskugel, spiegelt er doch die zeitnahe Meinung der Masse wider und ist damit ein Indikator für die Stimmungslage des Schwarms der Anleger. Beobachtet man das nach dem Derivatemarkt Euwax benannte Sentiment unter www.boerse-stuttgart.de, sind aktuell Stimmungsschwankungen der Anleger zu erkennen, die auch im Juni
immer wieder um die Nulllinie nach oben und unten hin- und hergependelt sind. Man muss hier auch ins Kalkül ziehen, dass an der Euwax oft ausgesprochen risikoaffine Anleger, salopp gesagt: Zocker, unterwegs sind, die bei ihren Anlagen nicht unbedingt auf fundamentale Werte achten. Deren Anlageverhalten fließt natürlich auch in das Euwax Sentiment ein.
Zum besseren Verständnis der Marktlaunen lohnt oft ein vergleichender Blick auf das Put/Call-Ratio-Sentiment der Frankfurter Terminbörse Eurex. Da hierbei die Puts den Zähler bilden und die Calls den Nenner unter dem Bruch, bedeutet ein Wert unter eins, dass mehr Calls gehandelt werden – und umgekehrt. Dabei drücken hohe Werte üblicherweise eine unsichere Stimmung der Marktteilnehmer
aus, während ein niedriges Verhältnis ein optimistisches Sentiment anzeigen. Aufgrund ihrer Funktion als Kontraindikator sind hohe Werte ein Signal für Verkaufszeitpunkte, während niedrige Verhältnisse Kaufgelegenheiten indizieren. Ein Put/Call-Verhältnis von 0,5 bedeutet beispielsweise, dass doppelt so viele Calls wie Puts eingegangen sind – gemeinhin ein Anzeichen für eine sehr optimistische Marktstimmung.
Zur Interpretation derartiger Indikatoren gehört auch die Annahme, dass optimistisch gestimmte Anleger bereits investiert sind. Dann bleiben nur noch wenige übrig, die nachkaufen und die Kurse in die Höhe treiben können. Umgekehrt geht man davon aus, dass pessimistisch gestimmte Investoren bereits verkauft haben – und somit ein weiterer Kursverfall eher unwahrscheinlich ist. Dies würde etwa bedeuten, dass eine Baisse bereits in ihrer Endphase wäre. Daher dienen Stimmungsindikatoren auch dazu herauszufinden, in welchem Stadium sich eine Börsenphase befindet.
Der jüngste Verlauf der Indikatoren hatte vor Kurzem zwar die Anleger etwas durchatmen lassen. Doch ist die Stimmung derzeit eher von Anspannung und Skepsis geprägt, wie die starken Ausschläge der Sentiments vermuten lassen. So standen im Juni laut dem Put/Call-Sentiment Dax an manchen Tagen 90 Prozent Puts zehn Prozent Calls gegenüber. Dies bedeutet, dass sich die professionellen Anleger an der Eurex auf einen Abschwung am Aktienmarkt vorbereiten.
Auf der anderen Seite war es manchmal so, dass sich an denselben Tagen das Euwax Sentiment immer wieder in den positiven Bereich bewegt hat. Bleibt am Ende die Erkenntnis, dass man nach derartigen Blicken in die Glaskugel immer noch selbst entscheiden muss, ob man sich dem Schwarm anschließen möchte oder eben nicht.