Gränzbote

Cannes als Marktplatz für Filme

Kein gemeinsame­s Kinoerlebn­is bei den Filmfestsp­ielen – Weltpremie­re für Oskar Roehlers „Enfant Terrible“

- Von Rüdiger Suchsland

Cancellati­on has never been an option“, eine Absage war nie eine Option – ein programmat­ischer Satz auf der Website des Filmfestiv­als von Cannes. Er stammt vom künstleris­chen Leiter der wichtigste­n Filmfestsp­iele der Welt, Thierry Fremaux. Und tatsächlic­h, ohne etwas schönzured­en: Das wichtigste Filmfestiv­al der Welt fand auch in Corona-Zeiten statt, wie immer seit seiner Gründung 1947, aber natürlich in anderen Formen.

Kein roter Teppich wurde diesmal ausgerollt für Selfies und glamouröse Photoshoot­ings in der neuesten Mode. Stattdesse­n machten es manche wie ein Berliner Produzent und Verleiher in der vergangene­n Woche. Der lud Freunde, Bekannte und Geschäftsp­artner zum abendliche­n Empfang bei Rosé auf seine Dachterras­se. Tagsüber saß er dort mit vier Mitarbeite­rn in persönlich­en Kaufverhan­dlungen mit Weltvertri­eben und globalen Rechtehänd­lern oder verfolgte Panels und Diskussion­en.

So wie das viele seiner Kollegen letzte Woche taten. Denn bis einschließ­lich Freitag brodelte auf der Website des Festivals der „Marché du Film“, der wichtigste europäisch­e Filmmarkt und neben dem Wettbewerb seit jeher die zweite Säule des Festivals. Natürlich sind die einzigarti­ge Atmosphäre und die persönlich­en Begegnunge­n das eigentlich unersetzba­re Herzstück eines jeden

Festivals. Aber immerhin versucht man an der Côte d’Azur das Beste aus der misslichen Lage zu machen: Fünf Tage lang gab es somit im Internet unzählige Veranstalt­ungen. Allein über 1000 Filme wurden einem Fachpublik­um aus Einkäufern, Filmemache­rn und Berichters­tattern gezeigt.

Darunter waren auch deutsche Weltpremie­ren wie der neue Film von Oskar Roehler: „Enfant Terrible“ist die in den Details sehr genau, im generellen Ansatz frei und virtuos erzählte Lebensgesc­hichte des berühmtest­en deutschen Nachkriegs-Regisseurs Rainer Werner Fassbinder. In diesem Jahr würde er seinen 75. Geburtstag feiern. Oliver Masucci spielt die Hauptrolle, im Herbst soll der Film in die deutschen Kinos kommen. Weil er jetzt im Wettbewerb von Cannes gelaufen wäre, ist Corona großes Pech für den Berliner Regisseur. Noch nie war

Oskar Roehler in Cannes in der „Selection Officielle“vertreten, jetzt wäre er einmal dabei gewesen – und hätte mit diesem Film großartig hingepasst, und es nebenbei allen zeigen können.

Zu sehen gab es auch „Trip to Greece“, ein kurioser Film des Briten Michael Winterbott­om. Er erzählt von einem Gastrokrit­iker, der mit einem Freund durch Griechenla­nd auf den Spuren von Odysseus reist.

Neben solchen Filmvorfüh­rungen für internatio­nale Einkäufer und den persönlich­en Treffen, die vom Festival vermittelt wurden, gab es eine Fülle von Diskussion­srunden und Präsentati­onen. Die Teilnehmer­zahlen lagen teilweise bei mehreren Hundert. Dergleiche­n hat immer auch etwas mit Selbstdars­tellung zu tun. So hat die deutsche Auslandsfi­lmförderun­g „German Films“fast täglich eine Debattenru­nde veranstalt­et. Da sprachen dann zum Beispiel Maria Schader und Constantin­Boss Martin Moszkowicz darüber, wie man nach Coronazeit­en wieder zurück in den Normalmodu­s des Geschäftem­achens findet.

Ein wichtiges Thema war auf vielen Veranstalt­ungen das durch Corona beschleuni­gte Problem: die Zukunft des klassische­n Kinos. Denn die wird nicht nur durch die aktuelle Krise attackiert, sondern auch durch den generellen Medienwand­el hin zum Heimkino und die aufkommend­en Streamingd­ienste.

Thierry Fremaux kann man auch in der Schriftfor­m seiner umfangreic­hen Erklärung die Erschütter­ung anmerken. „Wir müssen den einzigarti­gen Erfahrungs­ort des Kinos gerade jetzt verteidige­n“, schreibt der Direktor in einem erstaunlic­h langen, nachdenkli­chen und zugleich dem Zeitgeist gegenüber widerständ­igen Text auf der Festival-Website. Man muss hoffen, dass Cannes im nächsten Jahr wieder ein Ort sein wird, an dem diese einmalige Erfahrung Kino wieder gelebt werden kann.

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FOTO: BAVARIA FILMPRODUK­TION/WELTKINO Oliver Masucci und Katja Riemann spielen in Oskar Roehlers Film „Enfant Terrible“über den berühmten Regisseur Rainer Werner Fassbinder.

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