Stuttgarts Torero trifft und tritt ab
Mario Gomez erzielt beim 1:3 des Bundesliga-Aufsteigers VfB Stuttgart gegen Darmstadt das Ehrentor
STUTTGART - Bei geschmeidigen 30 Grad feierte am Sonntag ein Großer des deutschen Fußballs seinen Abschied vom VfB Stuttgart. Man hätte Mario Gomez Garcia, Sohn eines spanischen Baufirmeninhabers und einer Oberschwäbin aus Unlingen, einen etwas lauteren Abschied gewünscht, zumal er vor Monaten einmal gesagt hatte, er würde einmal im Leben gerne mit einem Rockstar tauschen. Es gibt ja immer etwas, was den gegenwärtigen Zustand scheinbar noch toppen kann, auch für Fußballstars. In der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena jedenfalls war es coronabedingt gespenstisch leer, jeder Ruf der 22 Spieler hallte durchs Rund wie der Schrei eines wütenden Fuchses nachts im Wald.
Am Abend gab Gomez dann sein Karriereende bekannt. „Es war meine letzte Mission für den VfB, nachdem wir es letztes Jahr verkackt haben“, sagte der 34-Jährige bei Sky. „Es war mein Traum, meine Karriere hier zu beenden. Ich wollte den Menschen zeigen, dass es für mich im Fußball eine gewisse Romantik gibt. Für mich war die Romantik, hier, wo alles angefangen hat, aufzuhören. Ich hatte heute schon den einen oder anderen Moment etwas Pippi in den Augen.“Sein Ziel hat Gomez erreicht: „Ich wollte mich hier als Erstligaspieler verabschieden.“
Los war an seinem letzten Profispiel allerdings nicht arg viel. Die Hitze drückte, für beide Teams ging es um nichts mehr. Der VfB war bereits in der Vorwoche zu 99,999 Prozent aufgestiegen, das letzte Tausendstel war quasi perfekt, als die Kunde vom frühen 0:2 Heidenheims bei Meister Bielefeld kam. Beim VfB bemühten sie sich derweil, Gomez ein Tor aufzulegen, einmal klappte das fast, aber der 78-malige Nationalspieler und Meister von 2007 traf den Ball nicht richtig und hätte sich fast noch verletzt. Darmstadt glückte mit der ersten Chance das 0:1 (32.) durch Serdar Tursun.
Die Stuttgarter, die sehr engagiert wirkten und Gomez den bestmöglichen Abschied bereiten wollten, griffen unverzagt an – und hatten nach 42 Minuten Erfolg: Der für den angeschlagenen González eingewechselte Churlinov passte steil auf Silas Wamangituka, der legte mustergültig nach innen, wo Gomez wie so oft in seinen 17 Profijahren auf gleicher Höhe gelauert und sich abgesetzt hatte. Gomez machte das rechte Bein lang und drückte den Ball rechts ins Eck. Kein spektakuläres Tor, aber man muss es eben machen. Exakt das
– das Kaltblütige, Nervenlose, Abgebrühte, das Trainer so oft von ihren Teams vermissen – war die große Stärke des Mario Gomez. Es war sein siebtes Saisontor – und sein 319. in seiner Karriere. Dazu lief im Stadion ein Samba-Song mit dem schlichten Refrain: „Mario Gomez“. „Mario stand mal wieder da, wo man stehen muss. Das kann man einfach nicht lernen“, staunte sein Ex-Mitspieler Dennis Aogo im Sky-Studio.
VfB-Vorstandschef Thomas Hitzlsperger, bei Sky nach der Pause Co-Moderator, nannte Gomez einen „Supertypen“. „Sein Tor war perfekt inszeniert: In dem Moment, in dem seine Frau und sein Sohn ins Stadion kamen, hat er getroffen.“Richtig romantisch wurde es für Gomez, der zehneinhalb Jahre in Stuttgart verbrachte, aber nicht. Mit Chance Nr. 2 stellten die von Dimitrios Grammozis trainierten Darmstädter auf 1:2 (53.), Matthias Bader traf von der Strafraumkante. Marcel Heller verstolperte das 3:1, Gomez hätte im Gegenzug das 2:2 gemacht (61.), wäre Passgeber Wamangituka nicht im Abseits gestanden. Die letzten 24 Minuten spielte der VfB in Überzahl – Victor Palsson hatte Gelb-Rot gesehen, nur: Zählbares kam nicht heraus.
Um 17.08 Uhr ging Mario Gomez schließlich vom Feld, und es wurde doch noch halblaut in der Arena. Fast alle der 300 Anwesenden applaudierten. Und Gomez zeigte: Man kann auch unspektakulär gehen. Er, den die Boulevardmedien wahlweise Torero, Super-Mario oder Giga-Gomez nannten, klatschte die Kollegen ab, dann setzte er sich zu den Reservisten auf die Tribüne – und sah von dort das 1:3 (88.) von Tobias Kempe. Das Spiel stellte nochmals unter Beweis: Es war kein brillanter Aufstieg des VfB, es war ein glücklicher, einer, der glückte, weil Mitfavorit Hamburger SV noch häufiger patzte. Elf Zähler holte Stuttgart weniger als beim Zweitligatitel 2017. „Es war eine Zitterpartie“, räumte Hitzlsperger ein. Trainer Pellegrino Matarazzo war dennoch stolz: „Wir haben unheimlich viele Rückschläge kassiert, sind aber immer wieder aufgestanden. Und wir sind alle in einem Boot geblieben, keiner ist rausgesprungen.“
„Wiederaufstieg“stand auf den TShirts der Stuttgarter, die sich dann doch noch von einigen Hundert Fans feiern ließen, von der Tribüne aus, mit 70 Metern Sicherheitsabstand, aber mit genug Sichtkontakt, um gemeinsam zu tanzen. „Nie mehr 2. Liga“, sangen die Fans. Und: „Mario Gomez ist ein Fußballgott.“Mancher Rockstar wäre vor Neid erblasst.