Echte Freude in gespenstischer Atmosphäre
Thomas Müller ist beim Immer-wieder-Meister Bayern München der Mann der Saison
Entscheidungen vor leeren Rängen: Bereits am Samstag holte sich der FC Bayern nach einem souveränen 4:0 in Wolfsburg die Meisterschale ab (oben). Es war der 30. Titel für den FußballRekordmeister aus München, der achte in Serie. In die Relegation schaffte es Werder Bremen. Dort treffen die Norddeutschen auf das Überraschungsteam der 2. Liga, den 1. FC Heidenheim. Jubelbilder gibt es jedoch nicht, der FCH verlor bei Aufsteiger Bielefeld mit 0:3. Riesenfreude hingegen beim Karlsruher SC (links), der sich im Endspurt noch den Klassenerhalt in Liga zwei sicherte. Und bei Bundesliga-Rückkehrer VfB Stuttgart ließen sie Mario Gomez hochleben. Der Unlinger beendete am Sonntag seine Karriere.
WOLFSBURG - Die treibende Partykraft der ansonsten so trockenen und sterilen Meisterfeier des FC Bayern in Wolfsburg war – wie könnte es anders sein? – Thomas Müller. Der Urbayer witzelte mit der Meisterschale herum, mit Chefcoach Hansi Flick sowie Co-Trainer Hermann Gerland, dem Urgestein des Vereins, seinem Förderer. Müller veräppelte Leon „Arnie“Goretzka, in dem er auch seinen Bizeps, allerdings ein paar Nummern kleiner, präsentierte. Auf der Busfahrt zum Privatflieger ließ sich der 30-Jährige in kurzen Hosen, weißen Socken, Trainingsanzug und Sonnenbrille fotografieren – die Meistermedaille zwischen den Zähnen. „Da schaust, Serge Gnabry“, twitterte Müller an die Adresse des Mitspielers, der eher der Kategorie „Styler“(der, der den Swag aufdreht) zuzuordnen ist. Müller, die coole Socke auf seine Art, der Hobby-Pferdeflüsterer, kommt modetechnisch eher bodenständig daher.
Dafür hängen in seinem Haushalt nun neun Meistermedaillen. Müllers Neunte ist ein ganz besonderer Titel, weil sich in der Personalie des Vizekapitäns der Saisonverlauf des FC Bayern widerspiegelt. „Der Herbst war nicht einfach, sowohl für den Verein als auch für mich persönlich. Dementsprechend ist es neben meiner ersten Meisterschaft (2010, d.Red.) vielleicht mit die speziellste, die intensivste, die emotionalste“, sagte Müller nach dem 4:0 beim VfL Wolfsburg im Sky-Interview. Unter dem damaligen Bayern-Trainer Niko Kovac, der Anfang November von seinem Assistenten Flick abgelöst wurde, dachte der Mittelfeldspieler im Herbst über einen Abschied aus München nach, über einen Abschied von seinem Herzensverein FC Bayern – womöglich sogar in der Winterpause, spätestens nach Saisonende. Kovac brachte ihn im September/ Oktober sechsmal hintereinander nicht in der Startelf, bei fünf Einwechslungen kam er auf nur 76 Minuten Spielzeit. Eine bittere Phase, weil ihm die Wertschätzung des Trainers fehlte. Diese gipfelte in folgender Kovac-Aussage: „Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen.“Der Antreiber und Publikumsliebling
seines Teams wurde degradiert. Flick machte ihn sofort wieder zum Stammspieler und einem seiner Anführer, stärkte dessen Position auf und außerhalb des Platzes. Der Turnaround der Bayern samt Aufholjagd nach zwischenzeitlich sieben Punkten Rückstand war auch ein Turnaround der Thomas-Müller-Story, dessen Vertrag im April bis 2023 verlängert wurde.
„Es ist viel Negatives passiert am Anfang, wo man sich Gedanken macht“, erklärte Müller und ordnete das Ab und Auf (in dieser Reihenfolge!) ein: „Am Ende dann die Rückrunde und die Intensität der Mannschaft. Man hatte das Gefühl, dass die jungen Spieler einem zuhören, dass das dann auch Früchte trägt und wir gemeinsam Erfolg haben. Eigentlich bin ich vom Stolz immer ganz weit weg. Aber viele anderen Menschen würden dieses Gefühl wahrscheinlich als Stolz bezeichnen.“Müller, der Mister Gier des FC Bayern, erzielte in Wolfsburg das 4:0, es war sein achter Saisontreffer, der 100. der
Mannschaft. Auch wenn der Rekord von 101 Treffern aus der Saison 1971/ 72 knapp verpasst wurde – Deckel drauf, runde Sache, ein Happy End. „Wir genießen es natürlich, dass wir in einer unglaublichen Art und Weise so zurückgekommen sind“, meinte Müller, „die Rückrunde war phänomenal: 16 Siege, ein Unentschieden. Well deserved würde ich sagen.“Ein hochverdienter Meister. Besser geht’s nicht: 49 Punkte und 54:10 Tore toppen die Rückrunde der Triple-Saison (2012/13) unter Jupp Heynckes.
Eine persönliche Bestmarke knackte der Ex-Nationalspieler dann doch am letzten Spieltag. Sein feiner Pass auf Kingsley Coman leitete das 1:0 ein. Es war Müllers 21. Torvorlage der Saison, damit überholte er Kevin de Bruyne (20 Assists 2014/15). Eine weitere Zahl dokumentiert Müllers Stellenwert in der Historie des Vereins: Zum Vierten der ewigen Bayern-Torjägerliste in der Bundesliga, zu Roland Wohlfarth (119 Tore), fehlt ihm jetzt nur noch ein Treffer.