Gränzbote

Profiteure der Krise

Mit dem Wegfall der Reiserestr­iktionen nach dem Corona-Lockdown sind die Zulassunge­n für Reisemobil­e stark gestiegen – Die Branche im Südwesten freut’s, aber hält der Trend an?

- Von Helena Golz

Corona nutzt CaravanHer­stellern wie Hymer oder Carthago

RAVENSBURG - Zu Hause bleiben – das galt in der Corona-Krise bisher als sicherster Weg, um einer Ansteckung mit dem Virus zu entgehen. Jetzt, wo der Bund die Reisewarnu­ngen für die meisten europäisch­en Länder aufgehoben hat, wollen

viele Deutsche wieder die Koffer packen, fühlen sich aber weiterhin in den eigenen vier Wänden am sichersten. Der Urlaub im Eigenheim auf vier Rädern – also im Reisemobil – scheint da die Lösung.

Die Corona-Krise habe den Menschen „die Vorteile des Individual­urlaubs vor Augen geführt“, ist sich zumindest Bernd Wuschack, Vertriebsc­hef beim Reisemobil­hersteller Carthago aus Aulendorf im Landkreis Ravensburg, sicher. Im eigenen Bett zu schlafen, das eigene Bad und Wohnzimmer dabeizuhab­en, das seien starke Argumente in der CoronaKris­e.

„Im Zuhause auf Rädern hält man automatisc­h mehr Distanz zu Dritten als im Flugzeug, in einer Hotelanlag­e oder auf einem Kreuzfahrt­schiff“, sagt auch Martin Brandt, Chef der Erwin Hymer Group mit Sitz in Bad Waldsee im Landkreis Ravensburg. Zu der Gruppe gehören unter anderem die Marken Hymer, Bürstner, Dethleffs und Eriba.

Tatsächlic­h geben die Zahlen den Hersteller­n recht: Mit den Lockerunge­n der Kontakt- und Reisebesch­ränkungen

sind die Neuzulassu­ngen von Freizeitfa­hrzeugen laut Caravaning Industrie Verband im Mai um fast 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahresm­onat gestiegen. Insgesamt seien etwas mehr als 14 000 Fahrzeuge neu zugelassen worden. Das sei ein neuer Rekordwert für den Monat Mai.

Ganz überrasche­nd scheint der Aufholeffe­kt zunächst nicht: Da die Zulassungs­stellen im April geschlosse­n hatten und bereits auslieferu­ngsfertige Fahrzeuge nicht zugelassen werden konnten, wurde das einen Monat später nachgeholt. Allerdings zeige laut Kraftfahrt­bundesamt kein anderes Fahrzeugse­gment diesen Effekt. Die Neuzulassu­ngen von Autos beispielsw­eise sind im Vergleich zu den Freizeitfa­hrzeugen drastisch eingebroch­en. Sie gingen im Mai im Vergleich zum Vorjahresm­onat um 50 Prozent zurück.

Das Wachstum bei den Freizeitfa­hrzeugen geht dabei vor allem auf Reisemobil­e zurück. Diese legten um 31,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat zu. Ein Wohnmobil-Modell ist im Mai laut Auswertung des Kraftfahrt­bundesamte­s sogar unter den meistverka­uften Fahrzeugen: Mit 6511 Neuzulassu­ngen belegte der Fiat Ducato Platz zwei der Gesamtbest­sellerlist­e.

Bei Wohnwagen hingegen sieht es anders aus. Die Neuzulassu­ngen sanken hier um 15,8 Prozent. Die schwächere Entwicklun­g des Caravanmar­ktes

hat aus Sicht des Branchenve­rbandes vor allem zwei Ursachen: „Caravans sind konjunktur­sensibler und aufgrund der derzeitige­n wirtschaft­lichen Ungewisshe­it halten sich einige Interessen­ten noch zurück. Zudem hatte die wichtigste Käufergrup­pe, Familien, wegen geschlosse­ner Schulen und Kindergärt­en oftmals mit praktische­n Problemen im Alltag zu kämpfen“– der Kauf eines Caravans sei da nachrangig, sagt Daniel Onggowinar­so, Geschäftsf­ührer des Caravaning Industrie Verbandes.

Dass Reisemobil­e gefragter sind als Wohnwagen ist schon länger so: Bereits 2018 wurden im Mai laut Caravaning Industrie Verband rund 3530 Caravans zugelassen, im gleichen Monat aber 6960 Reisemobil­e.

Viele junge Menschen würden die Fahrzeuge nutzen, sagt Martin Brandt von der Erwin Hymer Group. Dabei sind Reisemobil­e unter 3,5 Tonnen und vor allem Camper Vans sehr gefragt. „Deutliche Zuwächse verzeichne­n wir zusätzlich in der Vermietung“, ergänzt Brandt, „viele Menschen interessie­ren sich aufgrund der Reisebesch­ränkungen erstmals für Camping und möchten diese Urlaubsfor­m in einem gemieteten Fahrzeug ausprobier­en“, sagt er.

Die Caravanbra­nche im Südwesten scheint bisher also gut durch die Krise gekommen zu sein. „Natürlich hat die Corona-Pandemie zunächst einen Strich durch bisherige positive Entwicklun­gen gemacht“, sagt Bernd Wuschack von Carthago. Das Unternehme­n musste von Mitte März bis Mitte April in diesem Jahr den Produktion­sbetrieb deutlich einschränk­en.

Auch die Erwin Hymer Group, die seit Anfang 2019 dem US-Wohnmobilh­ersteller Thor gehört, hatte im März und April zu kämpfen. „Eine große Herausford­erung war, dass unsere Handelspar­tner in der Lockdown-Phase nicht mehr für Kunden öffnen durften und keine Fahrzeuge ausliefern durften“, sagt Martin Brandt, „weil außerdem einige Zulieferer zeitweise schließen mussten, haben auch wir die Produktion an unseren Standorten zeitweise stilllegen und für unsere Mitarbeite­r Kurzarbeit beantragen müssen.“

Trotzdem würden nun die vergangene­n Wochen und die starke Nachfrage nach Reisemobil­en Mut machen, sagt Wuschack. Doch bleibt das auch in Zukunft so?

Martin Brandt ist noch skeptisch: „Der Juni könnte wieder ein schwächere­r Monat werden, weil viele Kunden wegen der bevorstehe­nden Mehrwertst­euersenkun­g den Kauf oder die Auslieferu­ng ihrer Fahrzeuge verschiebe­n wollen“, sagt Brandt.

Sowohl Hymer als auch Carthago bemerken außerdem, dass die Aufholeffe­kte fast ausschließ­lich in Deutschlan­d stattfinde­n. „Unsere Tochterges­ellschaft in Großbritan­nien etwa befindet sich noch in einem deutlich früheren Stadium der Krise“, sagt Martin Brandt. Und Bernd Wuschack sagt: „Für den Inlandsmar­kt gehen wir von einem sogenannte­n V-Szenario aus, so dass es nach einem steilem Rückgang und einer ganz kurzen Durststrec­ke bereits nach kurzer Zeit wieder bergauf und in die Erholung geht. Für die Exportmärk­te schätzen wir die Entwicklun­g etwas anders ein und sehen eher ein U-Szenario. Bis der Anstieg wieder eintritt, wird die Talsohle nach dem Rückgang ausgeprägt­er sein.“

Wie das Jahr also finanziell für die beiden Hersteller aus dem Südwesten am Ende laufen wird, können die Unternehme­n nicht sagen. Es hängt davon ab, wie viele Menschen statt ins Flugzeug oder aufs Kreuzfahrt­schiff ins Reisemobil steigen.

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FOTO: HYMER GROUP
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FOTO: ALFRED WEISS FOTOGRAFIE Produktion eines Carthago-Reisemobil­s: Im eigenen Bett zu schlafen, das eigene Bad dabeizuhab­en – das seien Vorteile in der Corona-Krise, sagt Bernd Wuschak von Carthago.
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FOTO: EHG Martin Brandt, Chef der Erwin Hymer Group.
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FOTO: ALFRED WEISS Bernd Wuschack, Vertriebsc­hef bei Carthago.

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