Tönnies tritt ab
Umstrittener Schalker Aufsichtsratschef legt seine Ämter nieder
Nach dem Corona-Ausbruch in seinem Großschlachthof steht Clemens Tönnies in der Kritik. Nun zog der 64-Jährige Konsequenzen – jedoch nicht in seinem Unternehmen, sondern beim Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04. Bei den Königsblauen galt der Fleischfabrikant seit Jahren als der starke Mann, war bei den Fans aber spätestens seit rassistischen Aussagen im August 2019 nicht mehr unumstritten. Nun trat Tönnies mit sofortiger Wirkung als Chef des Schalker Aufsichtsrats zurück.
GELSENKIRCHEN (SID/dpa) - Ein donnernder Paukenschlag am Nachmittag markierte bei Schalke 04 das Ende einer Ära der Großmannssucht und den Aufbruch ins Ungewisse. Der einst allmächtige Patriarch und Vereinschef Clemens Tönnies legt bei den Königsblauen mit sofortiger Wirkung alle Ämter nieder. Beim bis über beide Ohren verschuldeten Bundesligisten ist somit eine Woche nach dem Abschied von Finanzboss Peter Peters nichts mehr, wie es vorher war. „Es war mir stets eine Ehre, diesem großen Club über ein Vierteljahrhundert dienen zu dürfen. Und es erfüllt mich mit Dankbarkeit und etwas Stolz, dass ich von den Mitgliedern immer wieder als Aufsichtsrat bestätigt wurde. Selbstverständlich werde ich dem FC Schalke 04 ein Leben lang verbunden bleiben“, schrieb der 64-jährige Unternehmer, der seit 1994 Mitglied im Kontrollgremium des Clubs war und diesem seit 2001 vorstand, in einem knappen Rücktrittsgesuch. Seine Aufgabe sei nun, sich „voll und ganz auf mein Unternehmen zu konzentrieren, es erfolgreich durch die schwerste Krise seiner Geschichte zu führen“. Zuvor hatte der CoronaAusbruch im Tönnies’ Fleischwerk in Rheda-Wiedenbrück bundesweit für Negativ-Schlagzeilen gesorgt.
Bei den Schalker Anhängern war Tönnies allerdings auch schon vorher wegen seiner als rassistisch ausgelegten Äußerungen über Afrika im vergangenen Jahr höchst umstritten. Erst am Samstag hatten parallel zum letzten Saisonspiel beim SC Freiburg (0:4) rund 1000 Fans auf dem Vereinsgelände gegen den mächtigen Schalke-Boss demonstriert. Am Eingang der alten Schalker Glückaufkampfbahn prangte zuletzt ein Banner mit der Aufschrift: „Keine Ausbeuter bei S04 – Tönnies Raus!“Zudem: „Keine Rassisten auf Schalke!“
Seine damaligen Aussagen über Afrika hatte Tönnies immer wieder versucht zu erklären und so verabschiedete der Verein ihn mit warmen Worten. „Als Mitglied und Vorsitzender des Aufsichtsrats hat Clemens Tönnies entscheidenden Anteil
daran, dass sich Schalke 04 in den vergangenen 26 Jahren als eines der sportlichen und wirtschaftlichen Schwergewichte in der Bundesliga etabliert hat“, teilten die Vorstände Alexander Jobst und Jochen Schneider mit. „Wir wissen, wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen ist. Dafür gebührt ihm höchster Respekt.“
Doch dürfte der Abschied des solventen Bosses die Situation bei den chronisch knappen Knappen nicht gerade verbessern: 197,9 Millionen Euro Verbindlichkeiten wies der Konzernabschluss 2019 aus – und das ohne negative Corona-Effekte.
Daher hatte Schalke schon am früheren Dienstag die Schlagzeilen bestimmt. Laut Handelsblatt nimmt der Verein eine 40-Millionen-EuroAusfallbürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Anspruch, um einen Kredit abzusichern, der für den Traditionsclub überlebenswichtig ist. Die pandemiebedingten Verluste bezifferte der eine Nummer größere Erzrivale Borussia Dortmund zuletzt auf 45 Millionen Euro, was die Höhe der erwünschten S04-Bürgschaft erklären könnte. „Es wird garantiert keine Lex Schalke 04 geben“, versicherte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet aber in der Düsseldorfer Landespressekonferenz. Jede Bürgschaft werde „nach strengen Kriterien geprüft“. Ob Tönnies' Rücktritt eine Bedingung war, blieb unklar.
Am Mittwoch soll die prekäre Finanzlage auf einer Pressekonferenz erörtert der Schalker werden. Die Nachfolge Tönnies' regelte S04 zumindest schnell: Noch am Dienstag wurde sein bisheriger Stellvertreter Jens Buchta einstimmig zum neuen Vositzenden des Kontrollgremiums gewählt. Zudem scheint der un auch personelle Umbruch von Champions-League-Träumen hin zum knallharten Sparkurs alternativlos. Im April sprach Jobst bereits von einer „potenziell existenzbedrohenden“Lage, 26,1 Millionen Euro Verlust schrieb Schalke 2018/19. Die Bürgschaft könnte das Bestehen des Vereins sichern. „Das ist nicht ehrenrührig, wohlwissend, dass die Volksseele anders empfindet“, sagte BVBBoss Hans-Joachim Watzke. Im Internet hatte sich da schon ein Shitstorm zusammengebraut.
Doch die Schalker haben bereits gegengesteuert. Laut der „SZ“führt der Verein als erster Bundesligist eine Gehaltsobergrenze für Spieler von 2,5 Millionen Euro jährlich ein. Auf Schalke geht es ums Ganze – abrupt nun ohne Clemens Tönnies.