Schienenpakt für den Deutschlandtakt
Bund möchte die Bahn aufwerten – Im Südwesten gibt es jedoch Probleme mit Tunneln
BERLIN/STUTTGART - Bahnkunden sollen künftig schneller ans Ziel kommen und es sollen mehr Güter von der Straße auf die Schiene geholt werden. Das sind die Kernpunkte eines Schienenpakts, den Politik, Gewerkschaften, Bahn und Verbände am Dienstag in Berlin unterzeichnet haben. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte, die Schiene könne Verkehrsträger Nummer 1 werden. Zentrales Element der Pläne ist der Deutschlandtakt, an dem bereits seit Jahren gearbeitet wird. Er soll die wichtigsten Knoten im Bahnnetz wie Stuttgart, Ulm oder München im 30-Minuten-Takt anbinden. Damit würden auch die Verbindungen mit Regionalzügen etwa ins Allgäu oder an den Bodensee besser.
Dafür fehlten aber bislang etwa am Stuttgarter Bahnhof noch Verbesserungen des Schienennetzes. Dort soll ein neuer Tunnel gebaut werden, der die Fahrzeit von Mannheim in die Landeshauptstadt verkürzt. Diesen Tunnel fordern Verkehrspolitiker im Südwesten bereits seit Langem, nun wird er – wenn überhaupt – erst nach 2030 fertig.
Matthias Gastel (Grüne), Bundestagsabgeordneter und Verkehrsexperte, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, in den Plänen des Bundes fehle ein für die Region wichtiger Neubau, ein Tunnel für die Gäubahn aus Richtung Zürich und Singen vor dem Stuttgarter Flughafen. Der sei jedoch wichtig, um den Deutschland-Takt einzuhalten. „Nur mit guten Anschlüssen in Stuttgart, Singen und Zürich verbessert sich der Bahnverkehr im gesamten Südwesten“, sagte Gastel. Ein solcher Tunnel könne eine historische Chance sein, so Guido Wolf (CDU), Vorsitzender des Interessenverbandes Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn: „Das wäre ein großes und umfangreiches Projekt. Die Vorteile für die Gäubahn, aber auch für die Anlieger wären erheblich.“
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte zu der Idee: „Das ist sicher ein sehr interessanter Vorschlag, er kommt halt erst jetzt“, so Kretschmann, Man riskiere durch die Bauarbeiten für einen solchen Tunnel, dass die Gäubahn länger als geplant vom Stuttgarter Bahnhof abgekoppelt wäre. Dies ist ohnehin ab 2025 für mehrere Jahre der Fall.
STUTTGART - Schneller durch Baden-Württemberg und Bayern, schneller durch Deutschland: Das war das große Versprechen des Bahnprojekts Stuttgart 21. Und es soll noch besser werden, haben Bund und Bahn am Dienstag in Berlin versprochen. Doch wann verbessert sich die Lage für Pendler und Fernreisende tatsächlich? Welche Probleme verursachen die schon Jahre verzögerten Bauarbeiten bis dahin?
Welche Änderungen planen Bahn und Bund? Welche Auswirkungen hätte das auf die Region?
Es gibt vor allem eine bedeutende Änderung. Sie betrifft die Schnellfahrstrecke von Mannheim nach Stuttgart. Viele wichtige Verbindungen aus und in Richtung Norden laufen über diese Trasse. Doch die Gleise für Hochgeschwindigkeitsfahrten enden wenige Kilometer vor dem Stuttgarter Bahnhof. Züge müssen dort langsamer rollen. Damit ist Stand heute der deutschlandweite 30-Minuten-Takt zwischen den wichtigen Knoten Stuttgart und Mannheim nur schwer zu erreichen. Nun könnte ein neuer Tunnel das Problem lösen. Dadurch würden viele Anschlüsse ab Stuttgart und Ulm besser, auch nach München und Lindau ginge es schneller. Aber fertig wird das Bauwerk, sollte es tatsächlich realisiert werden, erst nach 2030. Eine zweite Änderung an S 21 wünschen sich einige Verkehrspolitiker im Südwesten, doch der Bund plant ihn derzeit nicht: einen eigenen Tunnel für die Gäubahn aus Richtung Singen. Sie soll sich vor dem Flughafen Stuttgart künftig einen Tunnel mit den S-Bahnen teilen. Kritiker warnen, das werde zu eng. Andererseits hätten Gäubahn-Passagiere zunächst ein Problem: Die direkte Verbindung nach Stuttgart wäre während des Tunnelbaus noch Jahre länger gekappt als derzeit vorgesehen.
Was passiert wegen der Arbeiten an Stuttgart 21 mit der Gäubahn?
Knapp 5000 Reisende in Richtung Stuttgart nutzen die Gäubahn pro Tag. Probleme tauchen an zwei Stellen auf. Erstens kreuzt die Gäubahn kurz vor dem Hauptbahnhof die SBahn-Gleise. Diese müssen verlegt werden, um in den neuen Tiefbahnhof zu führen. Dafür würde die Trasse der Gäubahn gekappt. Damit will die Bahn im Sommer 2025 beginnen. Eigentlich sollte diese Unterbrechung der Gäubahn nur wenige Monate dauern. Denn theoretisch wären der Tiefbahnhof und der Bahnknoten am Flughafen zeitgleich fertig geworden. Die Gäubahn soll dann auf den Fildern zu Flughafen und Messe abbiegen und von dort hinab in den Stuttgarter Talkessel – sie nimmt dann also eine neue Strecke. zum Hauptbahnhof. Doch da taucht das zweite Problem auf. Am Flughagen hinken die Arbeiten dem Zeitplan hinterher. Grund sind Klagen gegen die Planungen sowie Veränderungen des ursprünglichen Plans. Derzeit gehen Experten davon aus, dass die neuen Anbindungen dort drei bis fünf Jahre später fertig werden als geplant. So lange müssten Gäste der Gäubahn ab 2025 spätestens in Vaihingen umsteigen.
Welche Lösungen sind in Sicht?
Der Bahnhof Vaihingen wird ausgebaut, das Land finanziert das mit Hilfe des Bundes. An einem neuen Bahnsteig können Regionalzüge und ICs halten, die aus Zürich oder Singen kommen. Reisende können in die S-Bahn in Richtung Flughafen/Messe oder Innenstadt umsteigen. Auch die Stadtbahnen fahren von Vaihingen aus zu verschiedenen Zielen. In der Region Stuttgart sollen deutlich mehr S-Bahnen fahren, nämlich im 15-Minuten-Takt auf allen Linien. Außerdem planen Stadt, Land und Bahn einen Übergangsbahnhof im Norden Stuttgarts. Wer in die City möchte, müsste dann nicht in Vaihingen umsteigen, sondern erst dort. Das soll den Bahnhof Vaihingen und die SBahnen dort entlasten.
Was heißt das für Fahrgäste aus dem Süden?
Berechnungen der Universität
Stuttgart zeigen, dass sich Reisezeiten aus Richtung Süden je nach Ziel verkürzen oder verlängern. Wer aus Richtung Rottweil kommt, braucht je nach Tageszeit zwischen sieben und 13 Minuten länger zum Hauptbahnhof Stuttgart. Die Fahrtzeit zum Flughafen bliebt in etwa gleich und man spart einen Umstieg. Nach Mannheim können es ab 2025 bis zu 30 Minuten mehr werden, nach Ulm wegen der neuen Schnellbahnstrecke bis zu 20 Minuten weniger. Viele Verbindungen sind aber anfälliger, weil die Fahrgäste umsteigen müssen - hat einer der Züge Verspätung, entsteht direkt eine größere Verzögerung. Zum Teil rechnet die Bahn mit einer Umsteigezeit von einer bis drei Minuten in Vaihingen. „Das kann nicht funktionieren. Hier wird vieles geschönt“, sagt Matthias Gastel, Bahnexperte der Grünen im Bundestag. Außerdem halten Kritiker das S-Bahnnetz heute schon für überlastet. Bahn und Region versprechen sich viel vom automatischen Bahnkontrollsystem ETCS. Ist es eingebaut, sollen Züge dichter hintereinander fahren können, das soll den neuen 15-Minuten-Takt ermöglichen. Dann würden doppelt so viele S-Bahnen unterwegs sein wie bisher. Derzeit gibt es außerdem noch kein Notfallkonzept für die SBahnen nach der Fertigstellung von S 21. Da alle Linien derzeit durch einen Tunnel vor dem Bahnhof führen, wäre eine Störung dort fatal.
„Wir haben schon heute bis zu zwei Störungen pro Woche und anfangs wird ETCS anfällig sein und Probleme schaffen, statt zu lösen“, moniert Matthias Lieb vom Fahrgastbeirat des Landes. Ein Nadelöhr ist auch die Stadtbahn ab Vaihingen. Diese wäre laut eines Gutachtens Stand heute mit den zusätzlichen Passagieren überlastet.
Welche weiteren Vorschläge gibt es?
Fahrgastverbände fordern: Die Gäubahn-Trasse kurz vor dem Hauptbahnhof in Stuttgart so zu sichern, dass sie auch während der Verlegung der S-Bahngleise weiterfahren kann. „Eine viele Jahre andauernde Unterbrechung der Strecke und ein zusätzlicher Umstieg in Stuttgart-Vaihingen müssen unbedingt vermieden werden“, sagt auch Grünen-Verkehrsexperte Gastel. Doch das lehnt die grün geführte Stadt Stuttgart kategorisch ab. Der Grund: Auf dem Gelände soll ein neues Stadtviertel entstehen, die Stadt hat die Flächen der Bahn für mehr als 420 Millionen Euro abgekauft. Weil die Bahn längst mit der Freigabe des Areals im Verzug ist, muss sie jährlich rund zwölf Millionen Euro an die Stadt zahlen. Dort sollen auch 6500 Wohnungen entstehen, etwa die Hälfte als günstige Sozialwohnungen. Würden die Gäubahngleise dort jahrelang weiter liegen, könnte die Stadt nicht bauen.