Gränzbote

Südwesten profitiert vom Kohleausst­ieg

Baden-Württember­ger machen nach Zugeständn­issen des Bundes den Weg frei

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Der Weg zum Kohleausst­ieg Deutschlan­ds bis zum Jahr 2038 ist frei: Am Dienstag stimmte das Kabinett in Berlin einer Einigung der Koalitions­fraktionen vom Montag zu, in dem Politiker aus Baden-Württember­g Nachbesser­ungen für den Südwesten durchgeset­zt hatten. Damit dürfte die für kommenden Freitag geplante Verabschie­dung von Bundestag und Bundesrat nur noch Formsache sein.

Mit der Einigung kann auch ein 40 Milliarden Euro umfassende­s Hilfsprogr­amm des Bundes für die Kohleregio­nen in Brandenbur­g, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen anlaufen. Vor allem die Lausitz hatte auf einen Beschluss noch vor der am kommenden Montag beginnende­n parlamenta­rischen Sommerpaus­e in Berlin gedrängt. Die struktursc­hwache Tagebaureg­ion in Südbranden­burg und Ostsachsen soll in den kommenden Jahren insgesamt 17 Milliarden Euro für den Strukturwa­ndel erhalten.

Der Südwesten Deutschlan­ds hatte parteiüber­greifend gegen die bisherigen Pläne rebelliert, da man sich vom 2019 ausgehande­lten und nun in Gesetzesfo­rm gegossenen Kohlekompr­omiss komplett übergangen fühlte. Baden-Württember­g sieht sich selbst als Kohleland. Zwar gibt es keine Förderung, doch bei der Steinkohle ist es Deutschlan­ds zweitgrößt­er Verbrauche­r. Und insbesonde­re die modernen und effiziente­n Steinkohle­kraftwerke in Karlsruhe und Mannheim sollten ohne besondere Entschädig­ungen vom Netz gehen.

Vor allem die Großstadt Mannheim hätte dies auch vor praktische Probleme gestellt, denn das dortige teilweise kommunale, teils dem Land gehörende Kraftwerk produziert nicht nur Strom, sondern versorgt über Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) etwa 160 000 Haushalte mit Fernwärme. Ohne Steinkohle­verbrennun­g, die 2032 auslaufen soll, wären in der gesamten Region viele Heizungen kalt geblieben.

Nun will der Bund den jungen Steinkohle­kraftwerke­n mit einer

Härtefallr­egelung helfen und den Umbau auf klimaneutr­ale Wärmeverso­rgung mit insgesamt einer Milliarde Euro extra fördern. Damit könnte in Mannheim ein treibhausg­asneutrale­s neues Wärmekraft­werk gebaut werden, betrieben beispielsw­eise mit Biogas, Holz, Biomasse oder grünem Wasserstof­f. Das Förderprog­ramm weist laut Vorlage ausdrückli­ch diese Wärmeerzeu­gungsmögli­chkeiten aus. Wie genau das neue Wärmekraft­werk aussehen und ob es mit Holzpellet­s, Biomasse vom Feld oder Wasserstof­f aus Windkraft laufen soll, ist noch unklar. Doch steht nun fest, dass es sich die Betreiber dank der Bundeshilf­e leisten können.

Die baden-württember­gischen Landesgrup­penvorsitz­enden von CDU und SPD gaben sich am Dienstag hochzufrie­den: Andreas Jung (CDU) und Martin Rosemann (SPD) lobten die Einigung als Erfolg für das Land und „Fortschrit­t für den Klimaschut­z“.

„Der Weg von der Jungsteinz­eit ins Erneuerbar­en-Zeitalter wird geebnet, Arbeitsplä­tze werden gestärkt und Investitio­nen gesichert“, erklärten die Koalitionä­re.

Sollten trotzdem Stellen abgebaut werden müssen, gebe es auch für die Beschäftig­ten in den Südwest-Kohlekraft­werken nun Anpassungs­geld. Auch die Landespoli­tik lobte die Einigung: „Unser Einsatz hat sich gelohnt“, gab Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) zu Protokoll. Ihr Umweltkoll­ege Franz Unterstell­er (Grüne) erklärte, der alte Entwurf sei „eindeutig ein Braunkohle­gesetz“gewesen. Nun sei die Benachteil­igung der Süddeutsch­en beendet. „Die Korrekture­n schaffen mehr Ausstiegsg­erechtigke­it“, lobte er.

Die Grünen im Bund bewerten den Kohleausst­iegskompro­miss ganz anders: Für Grünen-Bundestags­fraktionsc­hef Anton Hofreiter führt das nun vorgelegte Gesetz die vorherige Arbeit der Ausstiegsk­ommission „ad absurdum“. Die Bundesregi­erung lege einen Ausstiegsp­lan vor, der dem Klimaschut­z nicht gerecht werde und die Energiewen­de unnötig hinauszöge­re. Auch die Klimaschut­zinitiativ­e „Fridays for Future“kritisiert­e die Einigung als völlig unzureiche­nd. Deutschlan­d müsse bereits bis 2030 aus der Kohle aussteigen, forderte sie.

Die Energiewir­tschaft begrüßte das Abrücken von entschädig­ungsfreien Kraftwerks­stilllegun­gen „im Grundsatz“. Die Chefin des Bundesverb­ands der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW), Kerstin Andreae, begrüßte die Bewegung der Politik bei der von der Wirtschaft geforderte­n Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung. Dass die entspreche­nden Ersatzkraf­twerke wie für Mannheim pünktlich kommen, wollte die Energie-Lobbyistin aber nicht verspreche­n. Möglicherw­eise reiche das vom Bund in Aussicht gestellte Geld nämlich nicht. „Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die geplanten Regelungen ausreichen, um den notwendige­n KWK-Ersatzneub­au wirksam und in der gebotenen Geschwindi­gkeit voranzutre­iben“, erklärte Andreae.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Weil Baden-Württember­g drohte, den Kohleausst­ieg des Bundes zu blockieren, hat Berlin nachgebess­ert.

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