Gränzbote

CSU lässt sich im Kampf gegen XXL-Bundestag Zeit

Dobrindt hält Einigung auch im September für machbar

- Von Klaus Wieschemey­er und dpa

BERLIN - Die Hauptstadt am 30. Juni 2020: Das ganze politische Berlin erzählt, dass nur wenige Tage bleiben, um das Wahlrecht zu ändern und einen Riesenbund­estag mit möglicherw­eise 800 Abgeordnet­en oder mehr im kommenden Jahr verhindern.

Das ganze politische Berlin? Nein. In Bayerns Landesvert­retung sitzt an diesem Dienstag CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und sagt staunenden Journalist­en, dass es diese Woche noch keine Bundestags­entscheidu­ng über eine Wahlrechts­reform geben werde. Man könne einen Kompromiss auch noch nach der Sommerpaus­e im September finden, sagt er. Da sei die CSU sogar bereit, die Zahl der bisher 299 Wahlkreise im Land zur Bundestags­wahl 2021 zu reduzieren, um ein XXL-Parlament zu verhindern. Das sei machbar, aber eine „schwierige Operation“, sagt Dobrindt. Will heißen: Ein solcher Neuzuschni­tt würde auch die bisherigen Kandidaten­aufstellun­gen hinfällig machen. Die Parteien müssten neu wählen. Wer das nicht wolle, könne das „kluge Modell“wählen, das die Christsozi­alen nach langem Schweigen am Tag vorher vorgestell­t haben: Demnach sollen die Wahlkreise 2021 bleiben, wie sie sind, doch die Abgeordnet­enzahl auf 699 gedeckelt werden, aktuell sind es 709. 2025 soll eine große Reform mit weniger Wahlkreise­n folgen.

Für die anderen Parteien steht fest: Kommt diese Woche keine Einigung zustande, droht der Bundestag bei der Wahl im Herbst 2021 weiter zu wachsen. Auch Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus hält das für „unabweisba­r“.

Noch am Wochenende hatte er deshalb ein Konzept vorgelegt, welches die Schwesterp­artei umgehend als „verfassung­swidrig“ablehnte. Denn das Brinkhaus-Modell könnte dazu führen, dass ein Politiker zwar die meisten Stimmen aller Bewerber im Wahlkreis bekommt, doch trotzdem nicht nach Berlin darf. Eine solche „Kappung von Direktmand­aten“hält auch der Verfassung­srechtler Udo Di Fabio in einem Gutachten für die CSU für eine Missachtun­g des Wählerwill­ens.

Also läuft die Uhr weiter, und der Ton wird schärfer. SPD-Bundestags­vize Thomas Oppermann droht – Groko hin oder her – notfalls für einen Vorschlag von FDP, Linken und Grünen zu stimmen, weshalb Dobrindt ihn „besonderen Klugscheiß­er“tauft. Immerhin habe Oppermann früher als SPD-Fraktionsc­hef auch keine Reform hingekrieg­t.

Beobachter halten es für möglich, dass es doch noch zu einer Reform in letzter Minute kommt. Am späten Dienstagab­end hieß es aus Fraktionsk­reisen, die Union habe sich zu einer gemeinsame­n Linie durchgerun­gen und wolle sich noch in dieser Woche mit der SPD abstimmen. Die Alternativ­e – ein aus allen Nähten platzendes Parlament – wäre kaum vermittelb­ar. Die Lösung könnte eine Kombinatio­n verschiede­ner Hebel sein, denn auch die Größe des Bundestags hängt von vielen Faktoren ab: Von den 299 Wahlkreise­n, aus denen (bisher) je ein mit Erststimme­nmehrheit gewählter Direktkand­idat kommt. Und an den Überhangun­d Ausgleichs­mandaten, die für alle Bundestags­parteien entstehen, weil das Verhältnis von Erstund Zweitstimm­en vor allem bei der Union nicht zusammenpa­sst.

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