„Antikörper machen nur einen Teil der Immunität aus“
RAVENSBURG - Untersuchungen zeigen, dass Antikörper nach einer überstandenen Coronavirus-Infektion weniger werden. Bislang ist man davon ausgegangen, dass Menschen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 immun sind. Was diese Erkenntnisse für eine mögliche Neuinfektion und eine Impfung bedeuten, erklärt der Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Daniel Hadrys.
Die ehemals infizierten Mitarbeiter der bayerischen Firma Webasto werden regelmäßig auf Antikörper gegen das Coronavirus getestet. Aktuell haben sie so gut wie keine Antikörper mehr im Blut. Gibt es möglicherweise keine Immunität gegen das Coronavirus?
Es gibt mittlerweile mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen aus verschiedenen Ländern und auch Deutschland, die zeigen, dass nach nachgewiesener Sars-CoV-2-Infektion Antikörper gegen das Virus rasch, innerhalb weniger Wochen, stark abnehmen oder sogar nicht mehr nachweisbar sein können (30%). Offenbar gibt es einen gewissen Zusammenhang zwischen der Schwere der Symptomatik und einer längeren Antikörperpersistenz. Das bedeutet zunächst, dass ein gesicherter Antikörpernachweis beweist, dass eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht wurde. Das Fehlen von Antikörpern schließt allerdings nicht aus, dass eine frühere Infektion stattgefunden hat. Somit ist ein zeitweise diskutierter „Immunitätsausweis“, in dem Antikörperbestimmungen eingetragen werden, nicht sinnvoll. Über Antikörper wird nicht zuletzt auch deshalb viel geredet und geschrieben, weil sie technisch leicht im Labor quantitativ bestimmt werden können. Sie machen aber nur einen Teil der Immunität aus, und man kann auch aus dem Verschwinden von Antikörpern nicht direkt schließen, dass keine Immunität mehr besteht. Auch im Bereich der antikörperproduzierenden Zellen gibt es „Gedächtniszellen“(BLymphozyten), die dazu führen können, dass bei einem erneuten Kontakt mit dem gleichen Virus viel rascher Antikörper gemacht werden als bei der ersten Infektion. Leider wissen wir noch nicht genau, welche Bedeutung den verschiedenen „Armen“unseres Immunsystems bei der Abwehr der Sars-CoV-2-Infektion genau zukommt. Sehr wichtig wird es zukünftig sein zu verfolgen, inwieweit es Zweitinfektionen gibt und noch wichtiger, ob es Zweiterkrankungen gibt, denn die Verhinderung von Zweiterkrankungen ist ja ein entscheidender Nachweis von Schutz.
Was bedeutet das für eine mögliche Impfung gegen das Coronavirus?
Es wäre uns trotz des eben Gesagten allen viel lieber, wenn Antikörper nach Infektion regelmäßig lange nachweisbar wären. Für eine Impfung bedeutet es, dass diese möglichst eine bessere schützende Antikörperantwort
hervorrufen sollte als eine Infektion. Das ist nicht unmöglich, sondern zum Beispiel bei der Papillomvirusimpfung der Fall, wo die Impfung viel mehr schützende Antikörper hervorruft als die natürliche Infektion. Weiterhin wäre es sehr gut, wenn eine Impfung nicht nur Antikörperbildung anregen, sondern auch die anderen „Arme“des Immunsystems aktivieren würde.
Welche Mechanismen hat der Körper noch, um sich vor einer erneuten Infektion mit dem Coronavirus zu schützen?
Unser Immunsystem ist das Ergebnis einer langen Evolution und ungeheuer vielfältig angelegt. Zunächst besitzen wir ein System der angeborenen Immunität. Diese kann sofort nach Infektion „loslegen“und besteht aus spezialisierten Blutzellen – Lymphozyten – aber auch löslichen Eiweißen, wie zum Beispiel den Interferonen. Die natürliche (angeborene) Immunität ist sehr wichtig, kann das Infektionsproblem aber hier nicht allein lösen. Weiter haben wir die äußerst wirksame sogenannte T-Zell-Immunität. Die „Player“sind hier wieder verschiedene andere spezialisierte T-Lymphozyten, die zum Beispiel virusinfizierte Zellen erkennen und zerstören können. Diese Zellen benötigen für ihre volle Funktionsfähigkeit allerdings zunächst einen Viruskontakt (Antigenkontakt) und brauchen danach einige Tage für ihre Aktivierung. Nach der Aktivierung bilden sich auch hier „Gedächtniszellen“, die bei einem erneuten Kontakt mit dem Erreger/Antigen sehr rasch aktiv werden können. Wir kennen die Beiträge der verschiedenen „Immunteilysteme“bei dieser Abwehrleistung noch nicht genau.