„Eine langsame Art etwas vorzuführen“
Axel Lapp, Leiter der MEWO Kunsthalle, zum Werk des Künstlerduos Prinz Gholam
MEMMINGEN - Die Berliner Künstler Wolfgang Prinz, geboren 1969 in Leutkirch, und Michel Gholam, geboren 1963 in Beirut, machen in ihren gemeinsamen Performances den eigenen Körper mit Haltungen und Posen zum zentralen Element ihrer Kunst. Die MEWO Kunsthalle Memmingen hat den beiden bis 1. November eine Ausstellung gewidmet. Im Zentrum steht die Videoinstallation „Dial F for Father“(In Anlehnung an den englischen Titel des Hitchcock-Klassikers „Bei Anruf Mord“– „Dial M for Murder“). Kunsthallenchef Axel Lapp erklärt im Gespräch mit Antje Merke, was es mit dieser Arbeit auf sich hat.
Herr Lapp, wo und wann haben Sie das Künstlerduo Prinz Gholam für sich entdeckt?
Ich hatte ihre Arbeiten auf der letzten documenta 2017 gesehen – sowohl in Athen als auch in Kassel – und fand es superspannend, wie sie mit ihren Körpern umgehen.
Was begeistert Sie an deren Performances?
Die Arbeiten der beiden haben eine unglaubliche Sogwirkung. Und das scheint nicht nur mir so zu gehen, denn vor den Monitoren oder bei den Liveauftritten in Kassel standen immer sehr viele Leute fasziniert davor. Wolfgang Prinz und Michel Gholam choreografieren ja ganz bestimmte Bewegungen, die sie vorab lange recherchiert und vorbereitet haben. Da stehen dann diese beiden Männer, bewegen sich miteinander und stellen in langanhaltenden Posen Handlungen nach. Es ist eine langsame Art etwas vorzuführen. Zugleich steckt unglaublich viel Information darin, was das Ganze so spannend macht. Man kann auch nicht nur kurz zuschauen, denn dann hat man gar nichts gesehen. Stattdessen sollte man sich schon mindestens eine Viertelstunde hinsetzen, um das Wesentliche mitzubekommen.
Die Werke von Prinz Gholam nehmen Bezug auf historische Vorbilder in Kunst, Theater und Film. Ein Hintergrund, der sich dem Zuschauer nicht gleich erschließt. Wie bringen Sie diesen Aspekt in Memmingen dem Publikum nahe?
Bei uns erschließt sich dieser Hintergrund sehr wohl. Wir haben einerseits die große Videoinstallation „Dial F for Father“von Prinz Gholam mit 54 Minuten Laufzeit und daneben die riesige Vorzeichnung. Hier sind ihre Formationen und Gebärden schon mal in zahlreichen Skizzen festgehalten. Gleichzeitig zeigen wir einige der historischen Vorlagen: Da sind etwa die Lithografien und Zeichnungen von Eugène Delacroix aus seinem „Hamlet“-Zyklus, auf den sich die Künstler ganz stark beziehen. Oder den Film einer „Hamlet“-Inszenierung von Laurence Olivier aus dem Jahr 1948, auf die sie ebenfalls zurückgreifen. Wenn die Künstler ein Thema angehen, recherchieren sie nämlich erst einmal: Wo kommt das her? Sie übernehmen daraus bestimmte Körperhaltungen und Gesten, die dann in ihre Arbeiten einfließen.
Die Videoinstallation behandelt das schwierige Verhältnis zu Vaterfiguren – auch historischen. An welchen Aktionen erkennt man das? Oder spielt hier der Ort des Handelns die entscheidende Rolle?
Ort des Geschehens ist die von Kaiser Ferdinand I. im 16. Jahrhundert errichtete Hofkapelle in Innsbruck, die als Platz für das monumentale Grabmal Kaiser Maximilians I. bestimmt worden war. Um die Grabstätte herum stehen 28 lebensgroße Bronzefiguren, die den europäischen Hochadel darstellen. Maximilian I. gab damit seinen Nachfahren vor, wie sie ihm zu gedenken haben. Da ist also ganz viel Druck von dieser Vaterfigur – einem dynastischen Herrscher, der alles vorbestimmen will. Vor diesem Hintergrund platzieren Prinz Gholam ihre Handlung. Sie beziehen sich aber nicht nur auf diese eine Geschichte, sondern eben auch auf Shakespeares „Hamlet“, wo es maßgeblich um ein Vater-Sohn-Verhältnis geht. Diese verschiedenen Aspekte bringen sie dann in einen anderen Kontext. Zugleich gibt es auch persönliche Bezüge. So trägt zum Beispiel Wolfgang Prinz in der Performance ein Hemd seines Vaters. Den Künstlern geht es zwar um die Auseinandersetzung mit Vaterfiguren, aber der Zuschauer kann auch ganz andere Dinge für sich entdecken.
Was zum Beispiel?
Etwa, wie wir mit Geschichte umgehen, weil die Inszenierung ja an einem historischen Ort stattfindet. Sie rezipieren Kulturgeschichte und gleichzeitig tauchen plötzlich ganz normale Besucher auf, die sich die Kirche anschauen wollen. Das ist ja in Innsbruck ein touristischer Ort.
Um was geht es dem Künstlerduo in ihren Performances und den daraus resultierenden Videos?
Es geht ihnen darum, zu zeigen, dass Kultur nicht nur über Sprache vermittelt wird, sondern auch Gesten und Mimik über Jahrhunderte weitergegeben werden. Eine Pietà zum Beispiel können wir problemlos lesen, sie hat aber kunsthistorische Vorbilder. Wir sehen immer die Mutter mit ihrem leidenden Sohn – ob das jetzt eine Darstellung von Käthe Kollwitz oder ein mittelalterliches Altarbild ist. Eine solche Szene braucht keine Worte. Und mit solchen Bildern, die Bestandteil der kulturellen Erinnerung sind, arbeiten die Künstler.
Sind die Arbeiten aus Ihrer Sicht auch so eine Art Tableaux vivants?
Ja, in gewisser Weise sind sie das. Jede einzelne Szene ihrer Performances ist für sich betrachtet ein Tableau vivant. Wobei Prinz Gholam sich nicht verkleiden, denn sie wollen kein Theater machen und kein Spektakel aufführen. Es geht ihnen vielmehr um die Haltung und den Ausdruck der Körper. Sie stehen auch nie auf einer Bühne, sondern sie agieren immer in einem Raum, der gleichzeitig der Raum der Zuschauer ist. So kommt es auch vor, dass Besucher mitten durch eine Szene laufen. Die beiden lassen sich davon aber nicht stören.