„Erstaunlich viele Firmen hatten Krisenpläne in den Schubladen“
BVMW-Repräsentant Klaus Zeiler dazu, wie die kleinen und mittelständischen Firmen in der Region durch die Krise kommen
SPAICHINGEN/KREIS TUTTLINGEN - Was machen die Corona-Krise und der zeitweilige Lockdown mit der heimischen Wirtschaft? Regina Braungart hat sich mit dem Repräsentant des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Klaus Zeiler, unterhalten.
Herr Zeiler, jüngst sagte mir ein aufmerksamer Beobachter, er habe das Gefühl, es werde derzeit auf hohem Niveau gejammert. Einerseits gibt es noch relativ wenig Insolvenzen bei uns und auch die Entlassungen halten sich in Grenzen, gleichzeitig wird von der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 100 Jahren gesprochen. Wie erklären Sie diese Wahrnehmungsdiskrepanz?
Diese Diskrepanz nehme ich selbst auch wahr. Mit unseren 3,6 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen sind wir traditionell sehr breit aufgestellt in Deutschland, was übrigens weltweit als Vorbild gilt. Diese breite Aufstellung ist in Krisensituationen Gold wert. Wir haben viel weniger diese „Klumpenbildung“, wie es die Schweizer nennen, sondern eine breite Streuung. Zudem haben wir durch Föderalismus und kommunaler Selbstverwaltung ein sehr engmaschiges Netz an Fördermöglichkeiten mit kurzen Wegen. Und natürlic: Wir kommen in die Corona-Krise aus einer wirtschaftlich sehr, sehr starken Position.
Das bedeutet, wir machen es ganz gut in Deutschland?
Der Erfolg gibt uns recht. Ja. Aber es ist noch nicht vorbei.
Andererseits: Während der Kurzarbeitsphase darf man ja nicht entlassen. Glauben Sie, dass anschließend die Betriebe sagen: „Och, wir haben doch relativ gut performt, auch mit 80 oder 90 Prozent, jetzt werden wir mal ein paar Mitarbeiter los und sparen die ein?“
Zunächst: Das Kurzarbeitergeld kann zwölf Monate bezogen und auf Grund der Corona-Krise in Ausnahmefällen bis zu 21 Monaten ausgedehnt werden. Für das WorstCase-Szenario des Herbstes, wenn die Auftragsbücher abgearbeitet sind, haben wir auch ganz klare Forderungen. Diese Forderungen lauten:
Die kleinen und mittelständischen Unternehmen müssen nicht mit Finanzpflastern, sondern mit strukturellen Verbesserungen unterstützt werden, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, wir müssen unsere hohen Energiekosten senken, die Unternehmenssteuerreform sollte umgesetzt werden, Soli-Abschaffung für alle, Deckelung der Sozialversicherungsabgaben auf 40 Prozent und eine langfristige Senkung der Mehrwertsteuer auf 15 Prozent. Das sind unsere klaren Forderungen um das Worst-Case-Szenario abzuwenden.
Das kann ja dann aber erst sein, wenn es soweit ist?
Nein, im Vorfeld.
Warum?
Sie müssen den Unternehmen eine Perspektive zeigen. Wenn ein Unternehmen bereits in eine Situation kommt zu überlegen, ob es sich von zwei oder drei von seinen 20 Mitarbeiten trennen soll, weil es nicht weiß, wie es weiter geht, dann ist es zu spät.
Würden die Unternehmen es dann auch akzeptieren, wenn man sagte, „Okay, das ist ja alles Steuergeld,
das bezahlen ja auch diejenigen, die da bei Ihnen arbeiten. Also alles was an Erlösen obendrauf kommt, wird dann nach der Überwindung auch wieder voll an Steuern abgezogen?“Das wäre doch fair.
Kann ich die Frage umgehen? (lacht)
Nein...
Im Ernst, wir haben In diese Richtung keine Umfragen gemacht und wissen nicht, wie die Unternehmer dazu stehen. Aber wir reden hier von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Sie zum Beispiel die neun Milliarden für die Lufthansa betrachten, die dann planen 20 000 Leute zu entlassen. Das ist in meinen Augen Wahnsinn. Aber sehen Sie, diese kleinen und mittelständischen Unternehmen bei uns sind teilweise seit Generationen hier verwurzelt und machen das mit Herzblut. Und sie haben in Gegensatz zu diesen großen Unternehmen eine regionale Verpflichtung. Es spricht sich schnell ’rum, wenn jemand in Spaichingen fünf Leute entlässt und sich gleichzeitig einen neuen Porsche kauft. Deshalb ist es auch unsere Forderung, ganz klar zwischen Großunternehmen und kleinen und mittelständischen zu differenzieren.
Aus Ihrer Erfahrung: Wie gehen die hiesigen Unternehmen mit der Corona-Krise um? Wie haben Sie es geschafft, auch die Betriebe darauf einzustellen?
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Homeoffice wurden ja wahnsinnig schnell geschaffen und die Firmen vor Ort haben das teilweise innerhalb von wenigen Tagen digital umgesetzt. Das war ein Meisterwerk. Zudem haben erstaunlich viele Firmen interne Krisenpläne in der Schublade gehabt.
Ach was!
Ja, ich war selbst erstaunt. Bei den großen Konzernen ist das Usus, teilweise Pflicht, zum Beispiel in der Pharmaindustrie. Wir haben ja nicht die erste Pandemie. Wir hatten BSE, SARS, Vogelgrippe, Schweinepest, MERS. Überraschend viele Unternehmen hatten daher Pläne in der Schublade und mussten nicht bei Adam und Eva anfangen. Die kleinen Unternehmen haben zum Beispiel schnell Abstandsregeln geschafft, denn stellen Sie sich vor, das Gesundheitsamt hätte ihnen den Laden geschlossen!
Ich habe auch nicht mitbekommen, dass bei uns ein Unternehmen geschlossen worden wäre. Sie?
Nein. Ich selbst hatte mich ja auch darauf eingestellt. Wenn ich Unternehmen besuche, achte ich selber auf die Standards und warte nicht darauf, bis das jemand für mich tut. Grundsätzlich haben viele Firmen die Zeit produktiv genutzt, Prozesse optimiert, sich des Themas Digitalisierung angenommen, neue Geschäftsideen entwickelt. Und mehrheitlich sind sie nicht in Panik verfallen, sondern haben besonnen reagiert.
Vermutlich geht diese Frage über Ihre Erfahrungen bei den Unternehmen hinaus. Aber was die letzte, die Finanzkrise, so prekär für die Mitarbeiter gemacht hatte, war ja oft, dass die Menschen ihre Häuser auf der Basis von Überstunden und Schichtzulagen gebaut hatten, was damals weg fiel. Das scheint mir diesmal nicht der Fall zu sein, oder? Was bekommen Sie mit?
Die Leute bekommen ja Kurzarbeitergeld und die Unternehmen können das aufstocken, was auch viele machen. Kurzarbeitergeld ist ein sehr, sehr gutes Instrument.
Gibt es auch kleine und mittelständische Unternehmen hier, die boomen?
Ja, ich bin darüber wirklich selber überrascht. In manchen Branchen ist es eher wie ein Wirtschaftswunder, als eine Krise. Der Bereich Gesundheit gehört dazu, alles, was mit IT zu tun hat, Logistiker, Onlinehändler, aber auch Nischen wie Fahrradhändler und Zaunbauer, die können sich nicht retten. Auch das Handwerk und Baugewerbe teilweise. Wenn die Leute daheim sind und auch nicht in den Urlaub fahren, wollen sie es daheim wenigstens gemütlich haben oder sich um Renovierungen kümmern, die jahrelang angestanden haben.
Wir haben bei unseren Recherchen auch einige Firmen gefunden, die einfach blitzschnell umgeswitcht sind und statt Sicherheitsscheiben jetzt Corona-Abstands-Scheiben gemacht haben oder statt Schreibtische Krankenhausbetten oder statt Geschenkartikeln Masken. Haben Sie das auch beobachtet?
Ja, es gab viele Firmen, die in diesem Bereich auch eigene Ideen gehabt haben. Was auch sehr viel zugenommen hat, sind Kooperationen. Das ist auch eine der Hauptaufgaben, die ich regional habe, ich bringe Unternehmen zusammen. Wenn ich weiß, das eine Unternehmen kann sich vor Arbeit nicht retten und das andere hat gar keine, dann bringe ich die Unternehmen zusammen. Dieses Umswitchen ist sehr viel passiert. Das ist auch eine der Stärken des Mittelstandes. Für größere Unternehmen ist das schwieriger.
Wie ist die Stimmung unter den Unternehmen?
Wir haben mit dem Verband im Juni eine Umfrage gemacht und zirka 80 Prozent waren überzeugt, dass sie durch die Krise kommen, wenn auch mit Einbußen. Das deckt sich mit lokalen Umfragen, die ich gemacht habe. Über die Hälfte glaubt sogar ohne Einbußen.
Und interessanterweise hat in dieser Umfrage kein einziger gesagt, er gehe im Gegenteil davon aus, dass er pleite geht, das fand ich sehr spannend.
Ich glaube auch, dass wir in Deutschland, wo wir doch in vielen Bereichen etwas miesepetrig unterwegs sind, im Wirtschaftsbereich einen unglaublichen Optimismus haben. Wenn man ehrlich ist, haben wir ja auch 70 sehr gute Jahre ohne sehr große Rückschläge gehabt, sodass wir schon fast ein übergroßes Selbstvertrauen haben.
A Propos Lernen aus der Krise. Sie meinten im Vorgespräch, dass viele Firmen vielleicht gelernt haben, dass es ja gar nicht nötig ist wegen eines halbstündigen Meetings quer durch Europa zu fliegen, sondern, dass es auch digital geht. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass bisher wirklich ein generelles Umdenken über die Art des Wirtschaftens stattgefunden hat. Soll nach der Krise alles einfach so weiter gehen wie bisher? Mit all den Folgen auch der Globalisierung für Klima, Überhitzung der Wirtschaft, Überlastung der Menschen?
80 Prozent der Unternehmen gehen ja davon aus, dass sie ein gutes und tragfähiges Geschäftsmodell haben. An diesem Modell werden sie auch erst einmal grundsätzlich nichts verändern. Aber in den meisten Fällen findet ein Umdenken statt, wie man optimieren kann und Nachhaltigkeit ist ein großes Thema. Und es ist schick in vielen Branchen oder sogar unabdingbar, um überhaupt Geschäftsbeziehungen einzugehen.
Aber da wird ja auch viel gelogen oder greengewasht. Jetzt hätte man die Chance grundsätzlich umzudenken – so denkt sich jedenfalls Lieschen Müller das.
Ich persönlich als Mensch hätte mir das auch gewünscht. Vielleicht hat es ein Zeitfenster gegeben, aber ich glaube nicht daran. Man muss auch sagen, dass viele Unternehmen aus einer gewissen Notwendigkeit der Branche handeln. Für uns in BadenWürttemberg ist Innovation andererseits immer grundsätzlich ein Thema. Diese Ausrichtung hängt aber auch von der Struktur der Firma ab. Von einem Unternehmer, der vielleicht in fünf, sechs Jahren in Rente geht, und dessen Unternehmensnachfolge nicht geklärt ist, werde ich weniger Innovationskraft erwarten können, als von einem, der Mitte 40 ist. Aber ich denke, dass es inzwischen bis in alle Unternehmen durchgedrungen ist, dass man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz auseinandersetzen muss.
Glauben Sie, dass es da viel Kompetenz gibt bei den Unternehmen?
Ja. Es gibt auch viel Unterstützung. Allein bei uns im Verband gibt es 60 Kommissionen, in denen sich Unternehmen eigenständig treffen. Auch für die Digitalisierung gibt es seit Jahren viel Förderung und viel Geld. Aber dieser ganz große Wurf, den Sie im Kopf haben? - Ich weiß es nicht.
Die ständige Forderung nach billiger Energie, zum Beispiel, widerspricht dem ja.
Die Stromsteuer ist sehr hoch. Der Strompreis muss ja nichts damit zu tun haben, wo der Strom her kommt. Ein direkter Nachweis, dass ein höherer Preis auch Nachhaltigkeit fördert, ist nicht gegeben.
Das heißt, dann müsste man eigentlich die Stromsteuer auf echten Ökostrom herabsetzen?
Genau! Was in diesem Zusammenhang vielleicht auch wichtig ist: Quasi alle Unternehmen stellen gerade ihre Lieferketten auf den Prüfstand, das ist sehr auffällig. Sie haben gemerkt, dass es ganz unsinnige Abhängigkeiten gibt, zum Beispiel, etwas hier herzustellen, in China verpacken und dann wieder zurück schicken zu lassen. vielleicht wird Globalisierung ein Verlierer sein von Corona. Der Drang zum Regionalen ist zu spüren.
Sie sind ja viel im Gespräch mit den Unternehmensführern. Haben Sie das Gefühl, dass diese auch als Individuen nachdenklicher geworden sind?
Ja, absolut. Es gibt niemanden , der mir gesagt hat, dass jeder Tag Lockdown schlimm war. Bis Mitte April war das für manche, die es sich leisten konnten, tatsächlich eine Erleichterung, aus dem Hamsterrad raus zu kommen. Wir hatten in manchen Bereichen vor Corona in einem Paradies gelebt. In anderen gab es aber schon Kurzarbeit. Bei denen wirkte die Krise wie ein Brandbeschleuniger. Viele haben die Zeit wirklich genutzt, grundsätzlich zu überlegen, wie es weiter geht, wo wir hinwollen, und ganz sicher werden nicht alle wieder in das Hamsterrad zurück kehren. Man muss ja auch sehen, das Durchschnittsalter des baden-württembergischen Unternehmers ist Mitte 50, da werden Werte wie Lebensqualität wichtiger. Die allermeisten haben sich vorgenommen, gestärkt aus der Krise heraus zu kommen. Und die Bundesregierung hat es extrem gut gemacht. Ich habe mal im Mai eine kleine Umfrage gemacht, in welchem Land die Unternehmer jetzt am liebsten leben wollten. Herausgekommen ist: 100 Prozent Deutschland.