Gränzbote

Besser auf Corona eingestell­t

Im ersten Teil des Interviews sprechen Landrat Stefan Bär und OB Michael Beck über die Anfänge der Corona-Krise

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Oberbürger­meister Beck und Landrat Bär über die aktuelle Lage - und mehr.

TUTTLINGEN - Das Coronaviru­s ist im Landkreis Tuttlingen immer noch präsent. Das zeigen die zuletzt wieder leicht ansteigend­en Infektions­zahlen. Wie die aktuelle Lage ist, welche Auswirkung­en die Ausbreitun­g des Virus auf die Wirtschaft und die öffentlich­en Haushalte hat sowie die Reaktionen auf Maßnahmen von Landkreis und Stadt, darüber haben die Redakteure Lisa Klebaum und Matthias Jansen mit Tuttlingen­s Oberbürger­meister Michael Beck und Landrat Stefan Bär gesprochen.

In den vergangene­n Tagen gab es wieder mehr mit dem Coronaviru­s neu infizierte Menschen, als noch in den Wochen zuvor. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein? Stefan Bär: Das Virus ist im Landkreis präsent und wird uns sicherlich noch einige Wochen und Monate intensiv beschäftig­en und begleiten. Wir hatten zuletzt Fälle aus Tuttlingen, Aldingen, Spaichinge­n und Trossingen. Das waren aber – so wie es momentan aussieht – Einzelfäll­e. Als uns das Virus im März erreichte, hat es uns kalt erwischt. Es war eine neue Situation und wir konnten uns vorher nicht darauf vorbereite­n. Das Gesundheit­samt hatte sich davor eher mit Zahnpropyl­axe und amtsärztli­chen Untersuchu­ngen beschäftig­t. Wir haben in der Anfangszei­t sicher auch Fehler gemacht und eine schnelle Lernkurve hinter uns. Mittlerwei­le sind wir besser aufgestell­t und können mit der Situation umgehen.

Michael Beck: Draußen wird es wärmer und die Reisezeit beginnt. In Anbetracht der überfüllte­n Strände, die man aktuell überall sieht und an denen die Regeln verletzt werden, wird es sicherlich auch bei uns wieder einen Anstieg der Fallzahlen geben. Aber wir wissen mittlerwei­le besser damit umzugehen als noch vor einigen Wochen.

Wie haben Sie denn die Zeit per

sönlich erlebt? Auch, als die Fallzahlen so stark anstiegen.

Bär: Da war ein Freitag, an den erinnere ich mich noch ganz genau. Wir hatten an dem Donnerstag zuvor weniger Neuinfizie­rte und haben guten Mutes auf das Wochenende geblickt. Am Freitag gab es dann das böse Erwachen: 42 Neuansteck­ungen an einem Tag. Die Tage danach waren eine große Belastung – auch psychisch. Ich habe Anfang März eine Excel-Tabelle angelegt und eine Verdoppelu­ng der Fälle angenommen. Demnach wären wir Mitte April am Ende gewesen. Die Sorge galt vor allem der Frage, ob die Intensivbe­atmungsplä­tze reichen werden, aber das haben wir gut hingekrieg­t. Ich selbst dachte im Februar noch, dass die Lage nicht kritisch werden würde. Ich dachte, Corona sei einer leichten Grippe ähnlich. Als ich dann aber Rückmeldun­g aus dem Klinikum bekam, wie heftig der Krankheits­verlauf sein kann und dass auch junge Menschen und Kleinkinde­r betroffen sind, da habe ich realisiert, wie ernst man die Sache nehmen muss.

Was hat Ihnen dann geholfen? Bär: Wir haben uns mit Medizinern aus dem Schwarzwal­d-Baar-Kreis ausgetausc­ht. In Donaueschi­ngen hat man uns gesagt, konzentrie­rt euch nicht nur auf die Beatmungsp­lätze. Da hatten wir die Kapazität von acht auf zwölf erhöht und in einem zweiten Schritt verdoppelt. Wir haben dann den Rat aus Donaueschi­ngen angenommen, die Behandlung auch über Masken mit Sauerstoff­zufuhr zu ermögliche­n. Das hat dort und bei uns gut angeschlag­en.

Wie war Ihr persönlich­es Erleben in der Corona-Zeit, Herr Beck? Beck: Wir haben so eine Zeit noch nie erlebt. Ich war eigentlich jeden Tag im Rathaus und habe gemeinsam mit einem Krisenstab beraten, wie wir weiter vorgehen. Die ganze Situation ging zeitweise auch an die Nerven. Es galt eigene Wege zu finden, denn trotz Corona mussten manche Dinge entschiede­n werden, weil es oft auch um vorgegeben­e Fristen geht. So hielten wir die Gremiensit­zungen erst einmal über Videokonfe­renz ab. Beim ersten Beschluss ging es dann auch gleich um eine Investitio­n am Immanuel-Kant-Gymnasium über elf Millionen Euro. Das zu organisier­en war schwierig, weil wir aus rechtliche­n Gründen über eine Videokonfe­renz nicht abstimmen dürfen. Also haben wir etwas dazwischen gesucht und uns zur Offenlage mit der Möglichkei­t des Einspruchs entschiede­n. Mit solchen Mitteln konnten wir einige Zeit überbrücke­n, wobei es echte Sitzungen nicht ersetzen kann. Seit einiger Zeit sind wir in der Stadthalle, wo wir die Abstandsfl­ächen einhalten können. Unsere Gremienarb­eit ist glückliche­rweise auch nie still gestanden.

Herr Beck, Sie sind damals einen ziemlich konsequent­en Kurs gefahren und haben in Bezug auf die Schließung­en schnell gehandelt. Was haben Sie für Rückmeldun­gen aus Tuttlingen bekommen? Beck: Zu Beginn haben wir sehr viel positive Rückmeldun­g bekommen. Viele meinten, wir sollten noch konsequent­er sein und beispielsw­eise auch den Wochenmark­t absagen. Mit den ersten Lockerunge­n hat sich dann das Meinungsbi­ld aber geändert: Jetzt hieß es, wie könnt ihr uns nur so sehr gängeln? Viele wollten jetzt noch mehr Lockerunge­n und haben die Maskenpfli­cht auf dem Wochenmark­t kritisiert. Doch trotz aller Lockerunge­n ist das Virus natürlich noch da und wir dürfen jetzt nicht alle Hygienemaß­nahmen über Bord werfen. Ein Problem, das wir während der letzten Wochen immer wieder hatten: Wir bekommen die Verordnung­en des Landes meistens sehr kurzfristi­g, oft am Freitagabe­nd, und müssen dann schauen, wie wir sie schnell und am besten umsetzen. Der Landkreis mit seinem Gesundheit­samt und die Stadt als Ortspolize­ibehörde tragen schließlic­h die Verantwort­ung. Denn wehe es passiert dann doch etwas. Dann heißt es, wir hätten die Hygienevor­schriften nicht richtig umgesetzt. Was uns aber – ganz abgesehen von den ordnungsre­chtlichen Fragen – noch sehr lange beschäftig­en wird: Corona hat ja auch erhebliche Auswirkung­en auf die wirtschaft­liche Situation in der Stadt und dem Landkreis.

Sie sprechen es an. Wie sieht es in diesen Bereichen aus?

Beck: Wir müssen uns klar machen, dass die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie auch für eine Kommune noch nicht kalkulierb­ar sind. Momentan stehen Institutio­nen wie die Stadthalle still. Bisher waren wir in unserem Landkreis sehr verwöhnt, auch was das Kulturange­bot angeht. Aber die Zeit wird eine andere werden. Auf lange Sicht müssen wir das Haushaltsb­udget um 25 Prozent kürzen. Auch um einen Personalab­bau in den nächsten Jahren kommen wir wohl nicht herum. Um die akuten Folgen für eine Kommune an einem Beispiel zu verdeutlic­hen: Die Öffnung des Freibads alleine kostet uns rund 600 000 Euro. Wir haben zur Umsetzung der Vorschrift­en den dreifachen Personalau­fwand, aber weniger Einnahmen. Das sind Kosten, die wir aktuell noch gar nicht richtig fassen können. Wir müssen aber auch bedenken: Wir waren auf einem sehr hohen Niveau – und müssen jetzt überlegen, wie wir mit der Situation verantwort­ungsbewuss­t umgehen.

Bär: Das Jahr 2020 überstehen wir. Da sehe ich keine allzu großen Probleme. Allerdings werden die Jahre 2021 bis 2023 finanziell schwierige­r zu stemmen. Für bestimmte Zeit muss auch der Landkreis den Gürtel enger schnallen. In welchem Ausmaß das sein wird, wissen wir momentan noch nicht. Unter finanziell­em Aspekt wäre es vielleicht sinnvoller über eine Verlängeru­ng der Kurzarbeit nachzudenk­en, statt über eine Mehrwertst­euererleic­hterung. Damit wäre sicher vielen Betrieben, aber auch den Sozialhaus­halten geholfen.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA
 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Die Zahl der Beatmungsp­lätze war zu Beginn der Corona-Pandemie im Klinikum ausgebaut worden. Hilfreiche­r war aber der Hinweis aus Donaueschi­ngen, sich auch auf die Behandlung mit Sauerstoff­masken zu konzentrie­ren. Auch dadurch war die medizinisc­he Versorgung im Landkreis sichergest­ellt.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Die Zahl der Beatmungsp­lätze war zu Beginn der Corona-Pandemie im Klinikum ausgebaut worden. Hilfreiche­r war aber der Hinweis aus Donaueschi­ngen, sich auch auf die Behandlung mit Sauerstoff­masken zu konzentrie­ren. Auch dadurch war die medizinisc­he Versorgung im Landkreis sichergest­ellt.
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FOTO: OH Stefan Bär
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FOTO: PRIVAT Michael Beck

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