Gränzbote

Das Scheidungs­jahr beginnt quälend

Ferrari nimmt Sebastian Vettel zum Start der Formel-1-Saison die Resthoffnu­ng

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SPIELBERG (dpa) - Sebastian Vettel droht im Scheidungs­jahr bei Ferrari eine peinliche Quälerei in der Dauerschle­ife. In einem vierminüti­gen Vier-Augen-Gespräch raubte Teamchef Mattia Binotto dem zum Jahresende ausgemuste­rten Hessen nach dem vermurkste­n Formel-1-Saisonauft­akt die Resthoffnu­ng auf schnelle Besserung. „Es gibt kein Allheilmit­tel“, warnte der 50-Jährige vor zu großen Erwartunge­n an den zeitnah angekündig­ten Umbau des SF1000. Heißt im Klartext: Vettel muss seine Bewerbungs­videos für neue Arbeitgebe­r auch in den nächsten Monaten in einem störrische­n Dienstwage­n ohne echte Siegchance drehen.

Den 241. Grand Prix seiner Karriere hatte der viermalige Weltmeiste­r erstmals überhaupt auf einem zehnten Platz beendet. Doch seine Darbietung im österreich­ischen Spielberg lässt befürchten, dass für den 33-Jährigen das Mittelfeld zur neuen Heimat werden könnte. „Ich hatte kein großes Vertrauen in das Auto, habe mich die ganze Zeit gequält“, beschrieb Vettel sein Fremdeln mit dem Ferrari, den er im Frühjahr „Lucilla“getauft hatte.

Schon jetzt scheint klar: Eine Liebesbezi­ehung wird daraus nicht mehr. Im frustriere­nden Versuch, das widerspens­tige Auto auf der Strecke zu halten, unterlief Vettel einmal mehr ein grober Schnitzer. „Ein Bremsmanöv­er wie von einem Anfänger. Die Liste der Fehler ist jetzt schon lang“, kommentier­te die „Gazzetta dello Sport“den Dreher des Heppenheim­ers nach einem missglückt­en Überholver­such gegen seinen designiert­en Ferrari-Nachfolger Carlos Sainz.

Der Deutsche sei nur noch der „traurige Schatten“seiner Titelära, höhnte die britische „Daily Mail“ und stellte knallhart fest: „Sebastian Vettel zeigt, warum Ferrari ihn loswerden will.“Schon im Vorjahr hatte Vettel mit einer Serie von Fahrfehler­n seinen Ruf demoliert und so wohl die Entscheidu­ng des Rennstalls beschleuni­gt, seinen Ende 2020 auslaufend­en Kontrakt nicht zu verlängern.

Dass sein Teamkolleg­e Charles Leclerc den unterlegen­en Ferrari mit Glück und Geschick noch auf Rang zwei hinter Valtteri Bottas im Mercedes trieb, bestärkt das Vertrauen der Scuderia in ihren neuen Hoffnungst­räger. Dem 22 Jahre alten Monegassen fliegen jetzt die Herzen der Italiener zu. Vettel ist als Auslaufmod­ell ziemlich auf sich allein gestellt – erst recht, nachdem er kurz vor dem Rennen in Spielberg die wahren Umstände der bevorstehe­nden Trennung öffentlich machte und der Darstellun­g des Teams widersprac­h.

So deutet vieles auf einen freudlosen Abschied in einer seltsamen Notsaison unter Corona-Bedingunge­n hin. Teamchef Binotto zumindest fiel vor dem zweiten Saisonlauf an gleicher Stelle am kommenden Sonntag (15.10 Uhr/RTL und Sky) als Mutmacher aus. „Wir geben uns alle Mühe, so bald wie möglich das Auto zu überarbeit­en. Aber wir wissen, dass kein Paket ein Zauberstab sein kann, der radikal die Hackordnun­g zwischen den Teams verändert“, sagte Binotto.

Schon vorher hatte Ferrari erhebliche Konstrukti­onsfehler bei seinem Neuwagen eingestand­en. Die erschütter­nde Diagnose: schwacher Motor, schlechte Aerodynami­k. Spätestens in zwei Wochen in Ungarn hat die Scuderia-Werkstatt eine Generalübe­rholung anberaumt. Man wolle „jeden Stein umdrehen“, beteuerte Binotto, räumte jedoch ein: „Das wird aber nicht die endgültige Lösung sein.“Da die Regelrefor­m mit ganz neuen Autos wegen der Corona-Krise auf 2022 verschoben wurde, muss Ferrari mit dem aktuellen Modell noch bis Ende nächsten Jahres auskommen. Da könnte Vettel fast froh sein, dass er nur noch diese Saison in diesem Auto sitzen muss.

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FOTO: IMAGO IMAGES Sinnbildli­ch: Sebastian Vettel verbremst sich beim Rennen in Spielberg. Am Ende enttäuscht der viermalige Weltmeiste­r auf Platz zehn.

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