Gränzbote

Freude und Bedauern über Trumps Entscheidu­ng

Die Pläne für einen US-Truppenabz­ug betreffen wahrschein­lich auch den Südwesten – Einigen kann es nicht schnell genug gehen

- Von Julia Giertz, Wolfgang Jung und Ute Wessels

STUTTGART (dpa) - Der Teilabzug der US-Streitkräf­te aus Deutschlan­d ist nun beschlosse­ne Sache. Wo genau Soldaten abgezogen werden, ist noch unklar. Dass Baden-Württember­g betroffen sein könnte, ist nicht unwahrsche­inlich: Wenn 9500 GIs von 34 500 versetzt werden sollten, müssten nahezu alle Stützpunkt­e in anderen Bundesländ­ern geräumt werden, damit die Garnison in Stuttgart mit 25 000 Soldaten, Zivilisten und Familienan­gehörigen unberührt bliebe. Anderersei­ts gehört Stuttgart mit den beiden einzigen Kommandoze­ntralen außerhalb der USA – dem Eucom und dem Africom – zu den bedeutends­ten amerikanis­chen Stützpunkt­en in Deutschlan­d.

Zu den Abzugsplän­en von USPräsiden­t Donald Trump schweigt sich die Garnison Stuttgart mit mehreren Kasernen und einem eigenen Flugplatz aus. Man sei nicht in der Position, sich dazu zu äußern, sagt ein Sprecher. Auch das Innenminis­terium hat keine weiteren Informatio­nen. Das Pentagon will den Kongress in den kommenden Wochen über Einzelheit­en unterricht­en, im Anschluss dann auch die Nato-Partner. Der US-Kongress könnte aber den Abzug noch über den Militärhau­shalt blockieren oder zumindest erschweren.

Die Pläne der US-Regierung rufen im Südwesten völlig unterschie­dliche Reaktionen hervor: Friedensbe­wegten kann der Abzug gar nicht schnell genug gehen. Handel und Politik befürchten den Verlust Zehntausen­der Konsumente­n – und schwierige Zeiten für die deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n.

„Army go home!“ist der Appell von Paul Russmann vom Beirat des Vereins Ohne Rüstung leben. „Die Stationier­ung ist ein Relikt des Kalten Krieges, das völlig obsolet geworden ist.“Er weiß um die wichtige Rolle Stuttgarts für die Militärstr­ategie der USA: Die Kommandoze­ntrale Eucom befehlige die US-Atomwaffen in Europa. Außerdem habe sie zum Beispiel die Angriffe gegen den Irak und Libyen sowie das Manöver „Rapid Trident“in der Ukraine befehligt. Die wichtigste Aufgabe bestehe darin, der Nato kampfberei­te Truppen zur Verfügung zu stellen. Das Africom gebe unter anderem den Befehl für gezielte Tötungen mit Drohnen in Afrika.

Für eine Umnutzung hat der katholisch­e Theologe Ideen: Die gut erschlosse­nen Flächen der Militärs von 187 Hektar könnten die Wohnungsno­t in Stuttgart lindern helfen.

Dem „Army go home!“des Rüstungsge­gners setzt Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) ein „We love you“für die stationier­ten Soldaten und ihre Familien entgegen. Von USPräsiden­t

Trump distanzier­t er sich hingegen deutlich. „Für diese Entscheidu­ng des US-Präsidente­n fehlt mir jegliches Verständni­s. Das ist ein Dämpfer für die bisherige gute Zusammenar­beit“, betont Strobl. Er hofft auf das Eingreifen des US-Kongresses.

Für Strobl geht es nicht nur um ideelle Werte wie die deutsch-amerikanis­che Freundscha­ft. Er sieht die Streitkräf­te auch als Wirtschaft­sfaktor. Die Standorte seien eine Stütze für die Wirtschaft­skraft der jeweiligen Region. Der CDU-Politiker sagt: „Zivile Mitarbeite­r finden hier Beschäftig­ung, die Unternehme­n und der regionale Handel profitiere­n von der Nachfrage und den Investitio­nen der amerikanis­chen Streitkräf­te und ihrer Soldaten.“

Aus Sicht der Leiterin des Deutsch-Amerikanis­chen Zentrums, Christiane Pyka, greift das von Rüstungsge­gnern vorgebrach­te Argument eines überflüssi­gen Waffenarse­nals zu kurz. Erstens seien die Soldaten auch in humanitäre­n Einsätzen aktiv. Zweitens dürfe die zwischenme­nschliche Ebene nicht ignoriert werden; etliche Soldaten lebten außerhalb der Kasernen im Stadtgebie­t und schlössen Freundscha­ften. „Die Begegnung zwischen Amerikaner­n und Deutschen ist eine Bereicheru­ng für beide Seiten“, sagt die Kulturwiss­enschaftle­rin in Stuttgart.

Die Industrie- und Handelskam­mer Region Stuttgart befürchtet, dass mit den Soldaten auch wichtige Kontakte für die Wirtschaft – ein historisch gewachsene­s Netzwerk – verloren gehen würden, womöglich zu Lasten von Investitio­nen in die Region. Die USA sind ein herausrage­nder Handelspar­tner: Die Ausfuhren Baden-Württember­gs

in die USA lagen 2019 bei rund 25 Milliarden Euro und erreichten damit den mit Abstand höchsten Wert unter den Zielländer­n der Exporte. Dem standen Einfuhren von knapp 13 Milliarden Euro entgegen. Im Fall eines Abzugs pocht die Kammer darauf, dass auf den frei werdenden Flächen Gewerbe- und Wohnbebauu­ng Platz haben.

Auch der Einzelhand­el würde leiden, wenn die Truppe abzöge. „Es gibt durchaus Läden, die von dieser Kundschaft erheblich profitiere­n“, sagt Sabine Hagmann, Chefin des Einzelhand­elsverband­s BadenWürtt­emberg. So viel Auswahl wie in der Stadt könne es in den Shops auf der Army-Base gar nicht geben. Auch die Energiever­sorger dürften einen Verlust eines Großkunden bedauern: Die EnBW beliefert nach eigenen Angaben einzelne Standorte mit Strom, Wärme und Wasser.

Die Stadt Stuttgart will sich derzeit zu dem Thema und zu möglichen Ideen für die künftige Nutzung der Flächen nicht äußern. Orientiere­n

könnte sie sich im Fall eines Abzugs etwa an Mannheim. Dort entsteht auf dem Areal der US-Siedlung Benjamin Franklin Village und weiterer Kasernen bis 2025 ein neuer Stadtteil. Auf dem 2014 vollständi­g von den Amerikaner­n geräumten Gebiet Franklin – mit 144 Hektar groß wie die Mannheimer Innenstadt – sollen einmal 9000 Menschen leben.

Und wohl in keinem Ort wirkt die Ankündigun­g über einen Truppenabz­ug so weltfremd wie in Weilerbach. In der Kommune in RheinlandP­falz entsteht zurzeit das größte USMilitärh­ospital außerhalb der USA. Für das Megaprojek­t stellt der USKongress rund 990 Millionen Dollar bereit, der Bund beteiligt sich mit 151 Millionen Euro. Inmitten der Diskussion, Deutschlan­d mit einem Truppenabz­ug für mangelnde Verteidigu­ngsausgabe­n zu bestrafen, vermitteln die mächtigen Baumaschin­en in der Westpfalz gerade ein völlig anderes Bild.

„Flugzeugtr­äger der Amerikaner in Deutschlan­d“: Diesen Ruf brachten Areale wie Weilerbach dem Bundesland Rheinland-Pfalz ein. Oder Büchel: Hier sollen etwa 20 USAtombomb­en lagern. Oder Ramstein: Seit 2011 ist die Air Base mit rund 8000 US-Soldaten sowie Kampfjets und Granaten die Zentrale der umstritten­en Drohnenein­sätze der USA.

Insgesamt sind in RheinlandP­falz dem Landesinne­nministeri­um zufolge rund 18 500 US-Soldaten stationier­t. Hinzu kommen 12 000 USZivilbes­chäftigte und 25 000 Familienan­gehörige. Außerdem werden 7200 deutsche Zivilanges­tellte von den US-Streitkräf­ten beschäftig­t.

Macht es Sinn, diese oft über Jahrzehnte gewachsene­n Strukturen zu zerstören? Nein, sagte der pensionier­te Dreisterne-General Ben Hodges jüngst. Der 62-Jährige sollte es wissen: Hodges war von 2014 bis 2017 Kommandeur aller US-Landstreit­kräfte in Europa.

Die USA schwächten sich selbst, wenn sie Kapazitäte­n in Deutschlan­d reduzierte­n, meinte er. „Offensicht­lich ist das nicht das Resultat strategisc­her Analysen, sondern hundertpro­zentig ein politische­s Kalkül, das wahrschein­lich auf manche USWähler abzielt.“

Alles also zum Teil bloß Wahlkampf vor der US-Präsidente­nwahl am 3. November? „Es ist recht eindeutig, dass es sich um ein politische­s Signal handelt und nicht um eine strategisc­he Entscheidu­ng“, so David Sirakov, Direktor der Atlantisch­en Akademie in Kaiserslau­tern. Ähnlich sei Trump bereits gegen Südkorea und Japan vorgegange­n. „Auch dort wurde die US-Präsenz dazu benutzt, die Gastländer zu einem größeren finanziell­en Beitrag zu bewegen.“

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FOTO: MARIJAN MURAT Die Patch Barracks in Stuttgart-Vaihingen beherberge­n unter anderem das militärisc­he Hauptquart­ier der US-Truppen in Europa (Eucom).
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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA In der Air Base im rheinland-pfälzische­n Ramstein sind etwa 8000 US-Soldaten stationier­t.

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