Freude und Bedauern über Trumps Entscheidung
Die Pläne für einen US-Truppenabzug betreffen wahrscheinlich auch den Südwesten – Einigen kann es nicht schnell genug gehen
STUTTGART (dpa) - Der Teilabzug der US-Streitkräfte aus Deutschland ist nun beschlossene Sache. Wo genau Soldaten abgezogen werden, ist noch unklar. Dass Baden-Württemberg betroffen sein könnte, ist nicht unwahrscheinlich: Wenn 9500 GIs von 34 500 versetzt werden sollten, müssten nahezu alle Stützpunkte in anderen Bundesländern geräumt werden, damit die Garnison in Stuttgart mit 25 000 Soldaten, Zivilisten und Familienangehörigen unberührt bliebe. Andererseits gehört Stuttgart mit den beiden einzigen Kommandozentralen außerhalb der USA – dem Eucom und dem Africom – zu den bedeutendsten amerikanischen Stützpunkten in Deutschland.
Zu den Abzugsplänen von USPräsident Donald Trump schweigt sich die Garnison Stuttgart mit mehreren Kasernen und einem eigenen Flugplatz aus. Man sei nicht in der Position, sich dazu zu äußern, sagt ein Sprecher. Auch das Innenministerium hat keine weiteren Informationen. Das Pentagon will den Kongress in den kommenden Wochen über Einzelheiten unterrichten, im Anschluss dann auch die Nato-Partner. Der US-Kongress könnte aber den Abzug noch über den Militärhaushalt blockieren oder zumindest erschweren.
Die Pläne der US-Regierung rufen im Südwesten völlig unterschiedliche Reaktionen hervor: Friedensbewegten kann der Abzug gar nicht schnell genug gehen. Handel und Politik befürchten den Verlust Zehntausender Konsumenten – und schwierige Zeiten für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
„Army go home!“ist der Appell von Paul Russmann vom Beirat des Vereins Ohne Rüstung leben. „Die Stationierung ist ein Relikt des Kalten Krieges, das völlig obsolet geworden ist.“Er weiß um die wichtige Rolle Stuttgarts für die Militärstrategie der USA: Die Kommandozentrale Eucom befehlige die US-Atomwaffen in Europa. Außerdem habe sie zum Beispiel die Angriffe gegen den Irak und Libyen sowie das Manöver „Rapid Trident“in der Ukraine befehligt. Die wichtigste Aufgabe bestehe darin, der Nato kampfbereite Truppen zur Verfügung zu stellen. Das Africom gebe unter anderem den Befehl für gezielte Tötungen mit Drohnen in Afrika.
Für eine Umnutzung hat der katholische Theologe Ideen: Die gut erschlossenen Flächen der Militärs von 187 Hektar könnten die Wohnungsnot in Stuttgart lindern helfen.
Dem „Army go home!“des Rüstungsgegners setzt Innenminister Thomas Strobl (CDU) ein „We love you“für die stationierten Soldaten und ihre Familien entgegen. Von USPräsident
Trump distanziert er sich hingegen deutlich. „Für diese Entscheidung des US-Präsidenten fehlt mir jegliches Verständnis. Das ist ein Dämpfer für die bisherige gute Zusammenarbeit“, betont Strobl. Er hofft auf das Eingreifen des US-Kongresses.
Für Strobl geht es nicht nur um ideelle Werte wie die deutsch-amerikanische Freundschaft. Er sieht die Streitkräfte auch als Wirtschaftsfaktor. Die Standorte seien eine Stütze für die Wirtschaftskraft der jeweiligen Region. Der CDU-Politiker sagt: „Zivile Mitarbeiter finden hier Beschäftigung, die Unternehmen und der regionale Handel profitieren von der Nachfrage und den Investitionen der amerikanischen Streitkräfte und ihrer Soldaten.“
Aus Sicht der Leiterin des Deutsch-Amerikanischen Zentrums, Christiane Pyka, greift das von Rüstungsgegnern vorgebrachte Argument eines überflüssigen Waffenarsenals zu kurz. Erstens seien die Soldaten auch in humanitären Einsätzen aktiv. Zweitens dürfe die zwischenmenschliche Ebene nicht ignoriert werden; etliche Soldaten lebten außerhalb der Kasernen im Stadtgebiet und schlössen Freundschaften. „Die Begegnung zwischen Amerikanern und Deutschen ist eine Bereicherung für beide Seiten“, sagt die Kulturwissenschaftlerin in Stuttgart.
Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart befürchtet, dass mit den Soldaten auch wichtige Kontakte für die Wirtschaft – ein historisch gewachsenes Netzwerk – verloren gehen würden, womöglich zu Lasten von Investitionen in die Region. Die USA sind ein herausragender Handelspartner: Die Ausfuhren Baden-Württembergs
in die USA lagen 2019 bei rund 25 Milliarden Euro und erreichten damit den mit Abstand höchsten Wert unter den Zielländern der Exporte. Dem standen Einfuhren von knapp 13 Milliarden Euro entgegen. Im Fall eines Abzugs pocht die Kammer darauf, dass auf den frei werdenden Flächen Gewerbe- und Wohnbebauung Platz haben.
Auch der Einzelhandel würde leiden, wenn die Truppe abzöge. „Es gibt durchaus Läden, die von dieser Kundschaft erheblich profitieren“, sagt Sabine Hagmann, Chefin des Einzelhandelsverbands BadenWürttemberg. So viel Auswahl wie in der Stadt könne es in den Shops auf der Army-Base gar nicht geben. Auch die Energieversorger dürften einen Verlust eines Großkunden bedauern: Die EnBW beliefert nach eigenen Angaben einzelne Standorte mit Strom, Wärme und Wasser.
Die Stadt Stuttgart will sich derzeit zu dem Thema und zu möglichen Ideen für die künftige Nutzung der Flächen nicht äußern. Orientieren
könnte sie sich im Fall eines Abzugs etwa an Mannheim. Dort entsteht auf dem Areal der US-Siedlung Benjamin Franklin Village und weiterer Kasernen bis 2025 ein neuer Stadtteil. Auf dem 2014 vollständig von den Amerikanern geräumten Gebiet Franklin – mit 144 Hektar groß wie die Mannheimer Innenstadt – sollen einmal 9000 Menschen leben.
Und wohl in keinem Ort wirkt die Ankündigung über einen Truppenabzug so weltfremd wie in Weilerbach. In der Kommune in RheinlandPfalz entsteht zurzeit das größte USMilitärhospital außerhalb der USA. Für das Megaprojekt stellt der USKongress rund 990 Millionen Dollar bereit, der Bund beteiligt sich mit 151 Millionen Euro. Inmitten der Diskussion, Deutschland mit einem Truppenabzug für mangelnde Verteidigungsausgaben zu bestrafen, vermitteln die mächtigen Baumaschinen in der Westpfalz gerade ein völlig anderes Bild.
„Flugzeugträger der Amerikaner in Deutschland“: Diesen Ruf brachten Areale wie Weilerbach dem Bundesland Rheinland-Pfalz ein. Oder Büchel: Hier sollen etwa 20 USAtombomben lagern. Oder Ramstein: Seit 2011 ist die Air Base mit rund 8000 US-Soldaten sowie Kampfjets und Granaten die Zentrale der umstrittenen Drohneneinsätze der USA.
Insgesamt sind in RheinlandPfalz dem Landesinnenministerium zufolge rund 18 500 US-Soldaten stationiert. Hinzu kommen 12 000 USZivilbeschäftigte und 25 000 Familienangehörige. Außerdem werden 7200 deutsche Zivilangestellte von den US-Streitkräften beschäftigt.
Macht es Sinn, diese oft über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen zu zerstören? Nein, sagte der pensionierte Dreisterne-General Ben Hodges jüngst. Der 62-Jährige sollte es wissen: Hodges war von 2014 bis 2017 Kommandeur aller US-Landstreitkräfte in Europa.
Die USA schwächten sich selbst, wenn sie Kapazitäten in Deutschland reduzierten, meinte er. „Offensichtlich ist das nicht das Resultat strategischer Analysen, sondern hundertprozentig ein politisches Kalkül, das wahrscheinlich auf manche USWähler abzielt.“
Alles also zum Teil bloß Wahlkampf vor der US-Präsidentenwahl am 3. November? „Es ist recht eindeutig, dass es sich um ein politisches Signal handelt und nicht um eine strategische Entscheidung“, so David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern. Ähnlich sei Trump bereits gegen Südkorea und Japan vorgegangen. „Auch dort wurde die US-Präsenz dazu benutzt, die Gastländer zu einem größeren finanziellen Beitrag zu bewegen.“